Sachlich bildet die Verfassungsgeschichte den Schwerpunkt des Werks. Sie steht insofern in der Tradition der älteren deutschen Verfassungsgeschichtsschreibung, als für E. immer das Modell des späten Ständestaates leitend bleibt und zur Interpretation früherer Verfassungszustände dient. Dabei werden die Stände nicht als Träger öffentlicher Herrschaft, sondern als von der einheitsstaatlichen Gewalt mit bestimmten Rechten versehene soziale Schichten verstanden. Dies führt zu einer, von der jüngeren Geschichtswissenschaft revidierten, |128|einseitigen Deutung der relativen Herrschaftsverhältnisse der Frühzeit und des Mittelalters, die in dem Satz gipfelt, daß es bis zum späten Mittelalter „keine andere öffentliche Gewalt in Deutschland gegeben … (habe) als die königliche selbst“. Andererseits befähigt es E. auch zu einer genauen Beschreibung des Entstehens der ständischen Verfassung selbst, die für die spätere Forschung maßgebend geblieben ist. Neben dem verfassungsgeschichtlichen hat vor allem auch der privatrechtsgeschichtliche Teil des Werks – „die erste innere Geschichte des deutschen Privatrechts … allein für sich schon eine Großtat“ (Landsberg) – Bedeutung, weniger die Strafrechtsgeschichte, für die erst Wilhelm Eduard Wildas „Strafrecht der Germanen“ in einem Teilbereich eine maßgebliche Darstellung brachte.
E.s zweites bedeutendes Werk, die „Einleitung in das deutsche Privatrecht“, behandelt das geltende Recht. Die ihm zugrunde liegenden rechtstheoretischen Vorstellungen decken sich zwar zum Teil mit → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) „geschichtlicher Rechtswissenschaft“ – E. firmierte ja auch immer als „Mitbegründer“ der historischen Rechtsschule –, gleichwohl sind die Unterschiede zwischen den Lehren → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) und E.s nicht zu verkennen. Fremd steht E. vor allem dem romantischen „Volks“-Gedanken → SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) gegenüber. Dabei hätte die Volksgeistlehre an sich eine bequeme Lösung für das Grundproblem des deutschen Privatrechts abgegeben: zu begründen, weshalb es trotz des Mangels an geschriebenen gemeinprivatrechtlichen Quellen ein gemeines deutsches und nicht nur viele partikulare Privatrechte gebe. E. entnimmt die Begründung aber nicht der abstrakten Lehre von der Rechtsentstehung aus dem Volksbewußtsein, sondern der konkreten geschichtlichen Situation in Deutschland: „Da das ältere deutsche Recht eine ursprüngliche Einheit … in den Instituten des Rechts hatte, indem diese nie so weit voneinander abweichen, daß sie sich nicht als Modificationen eines und desselben deutschen Instituts betrachten ließen (…); da ferner eben daher auch im Mittelalter ein gemeines Recht, welches allen Localrechten zum Grunde lag, unter dem Namen des Landrechts in ganz Deutschland angewendet wurde (…), so läßt sich bei allen Rechtsinstituten, die schon dem Mittelalter angehören und in unserem heutigen Recht noch vorkommen, ihre ursprüngliche Natur allgemein bestimmen, und dabei leicht das Besondere, welches schon in jener Zeit hie und da bemerkt wird, von dem trennen, was den Character des Instituts überhaupt ausmacht.“ Die partikularen Bestimmungen beruhen also auf „denselben leitenden Principien“, und die Aufgabe der wissenschaftlichen Bearbeitung des deutschen Privatrechts ist es, „nach |129|den Principien, von welchen die vorkommenden Rechtsbestimmungen abhängen, die Institute des deutschen Rechts zu sondern, und aus jenen die Natur eines jeden derselben zu bestimmen“. Diese Prinzipien sind in ihrer geschichtlichen Entwicklung zu verfolgen, besonders sind die durch das römische Recht nicht verdrängten Institute deutschen Ursprungs zu untersuchen, die den Hauptstoff der deutschprivatrechtlichen Wissenschaft bilden.
Neben diesen Arbeiten sind vor allem E.s „Grundsätze des Kirchenrechts“ zu erwähnen, die wie die anderen Werke naturrechtliche durch historische Betrachtungsweise ablösen und neben dem zunächst einflußreicheren Lehrbuch Emil Ludwig Richters den Neubeginn der Kirchenrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert darstellen.
Hauptwerke: Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 4 Bde., 1808, 1812, 1819 und 1823 (51843/44). – Einleitung in das deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehnrechts, 1823 (51845, Ndr. 2000). – Grundsätze des Kirchenrechts der Katholischen und der Evangelischen Religionspartei in Deutschland, 2 Bde., 1831 und 1833.
Literatur: E.-W. Böckenförde: Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, 1961, 42–73. – R. Conradi: Karl Friedrich Eichhorn als Staatsrechtslehrer, 1987. – F. Dopke: Eichhorn als Rechtsgutachter. Seine Gutachten für Spruchkollegien, das Obertribunal und Private, Jur. Diss. Kiel, 1991. – A. Erler: Eine unbekannte Niederschrift nach Eichhorns Vorlesung „Deutsche Geschichte und Rechtsaltertümer“, in ZRG (GA) 66 (1948), 537–540. – F. Frensdorff: Das Wiedererstehen des deutschen Rechts, in ZRG (GA) 29 (1908), 1–78. – S. Gagnér: Die Wissenschaft des gemeinen Rechts und der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, in: Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jh., hrsg. von H. Coing und W. Wilhelm, I, 1974, 1–118 (54ff.). – U.-J. Heuer: Karl Friedrich Eichhorn und die historische Rechtsschule, in: Stud. über d. dt. Geschichtswiss. 1 (21969), hrsg. v. J. Streisand, 121–135. – R. Hübner: Karl Friedrich Eichhorn und seine Nachfolger, in: FS f. H. Brunner, 1910, 808–838. – K. Jelusic: Die historische Methode Karl Friedrich Eichhorns, 1936. – K. Michaelis: Carl Friedrich Eichhorn (1781–1854). Ein Rechtshistoriker zwischen Revolution und Restauration, in F. Loos (Hrsg.): Rechtswissenschaft in Göttingen. Göttinger Juristen aus 250 Jahren, 1987, 166–189. – Stintzing-Landsberg: GDtRW III 2, 253–277. – J.F. v. Schulte: Karl Friedrich Eichhorn, 1884. – J.F. v. Schulte: Karl Friedrich Eichhorn, Rede 1881. – W. Sellert: Karl Friedrich Eichhorn – „Vater der deutschen Rechtsgeschichte“, in: JuS 1981. 799–801. – Wieacker: PRG, 403f. ADB 6 (1877), 469–481 (F. Frensdorff). – HRG2 I (2008), 1244f. (I. Ebert). – Jur., 195f. (G. Dilcher). – Jur.Univ III, 78–81 (J.M. Miquel González). – NDB 4 (1959), 378f. (K.S. Bader).
S.
|130|Eike von RepgowEike von Repgow (zw. 1180 u. 1190 – nach 1232)
(um 1180/1190 – nach 1232)
Der Verfasser des Sachsenspiegels, historisch bezeugt in sechs Gerichtsurkunden von 1209 bis 1233, entstammt einer schöffenbarfreien Familie, deren Sitz Reppichau (zwischen Dessau und Köthen) war.
Eike wird als der erste deutsche Rechtsdenker bezeichnet. Darin spiegelt sich seine überragende Leistung wider: Im Land- und Lehnrecht des Sachsenspiegels hat er (seine Verfasserschaft ergibt sich aus Vers 266 der gereimten Vorrede: „Ecke von Rypchow ez tete“) das Recht seines Stammes aufzuzeichnen versucht in einer Zeit, in der die Kenntnis des Rechts nicht mehr tief im Volk verwurzelt war. Nach der Reimvorrede wurde der Sachsenspiegel zunächst lateinisch verfaßt (die Urform des Lehnrechts ist möglicherweise ein als „Auctor vetus de beneficiis“ bezeichnetes Rechtsbuch in lateinischer Reimprosa), von E. aber später auf Bitten des Grafen Hoyer von Falkenstein (Stiftsvogt von Quedlinburg, wohl ein Lehnsherr E.s) in den niederdeutschen Dialekt übersetzt. In dieser Fassung ist er, zunächst ohne die heute übliche Zählung nach Büchern und Artikeln, überliefert. Der Entstehungsort ist unbekannt, manches deutet aber auf das wettinische Zisterzienserkloster Altzelle (Landau). Auch die Entstehungszeit ist unsicher, zumal E. das Werk vielleicht nicht in einem Zuge niedergeschrieben und später auch immer wieder durch Zusätze vermehrt hat; Anhaltspunkte geben aber der Umstand, daß E. den Landfrieden König Heinrichs (VII.) von 1221 verwendet, aber den Mainzer Reichslandfrieden von 1235 nicht berücksichtigt: der Sachsenspiegel dürfte demnach zwischen 1220 und 1235 entstanden sein. Er ist damit nicht nur eines der ältesten – und das bedeutendste – deutsche Rechtsbuch, sondern auch das erste größere deutsche Prosawerk überhaupt. Inhaltlich erstreckt er sich nur auf Land- und Lehnrecht, nicht berücksichtigt hat E. das Recht der Städte, der unfreien Bauern (Hofrecht) und der Ministerialen („ez ist so mangvalt, daz ez nimant zu ende komen kan“).
Der Sachsenspiegel stellt mehr eine rechtsbewahrende als eine rechtsneuschöpfende