– Die Compliance-Defense gilt für alle Unternehmen unabhängig davon, ob sie eine aufgedeckte Zuwiderhandlung dem Bundeskartellamt anzeigen oder nicht. Das Erfordernis einer Anzeige ergibt sich aus dem Gesetz nicht.
– Die Compliance-Defense gilt für alle Unternehmen unabhängig davon, ob sie einen Kronzeugenantrag gestellt haben; bei einem erfolgreichen Kronzeugenantrag als erster bedarf es dank der Bußgeldreduzierung auf Null der Compliance-Defense jedoch nicht mehr.
– Ist die Wirksamkeit des Compliance-Programms nicht durch die Aufdeckung der Zuwiderhandlung nachgewiesen, muss das Bundeskartellamt die objektiv erforderlichen Vorkehrungen ermitteln und prüfen, ob diese (i) über das vorhandene Compliance-Programm hinausgehen und sie (ii) die begangene Zuwiderhandlung verhindert oder wesentlich erschwert hätten.12 Ist beides der Fall, kommt nur noch eine Honorierung des generellen Bemühens durch eine wohl allenfalls geringfügige Senkung des Bußgelds in Betracht.
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Ein Wermutstropfen zum Schluss: Die Compliance-Defense gilt bei Zuwiderhandlungen von Mitarbeitern, nicht bei Zuwiderhandlungen der Geschäftsleitung selbst. Wegen des „top-down“-Grundsatzes13 kann ein Compliance-Programm nicht ordnungsgemäß sein, wenn der „oberste Chef“ selbst der zuwiderhandelnde Mitarbeiter ist. Hierauf weist die Gesetzesbegründung zu Recht hin. Aber auch insoweit verbieten sich vorschnelle Schlussfolgerungen: Wird das Unternehmen durch ein Kollegialorgan geleitet, trifft die „Chef-Regel“ nur auf alleinvertretungsberechtigte Vorsitzende des Kollegialorgans zu, also z.B. auf den Vorstandsvorsitzenden oder den CEO. Wird die Zuwiderhandlung dagegen von einem nicht alleinvertretungsberechtigten Mitglied eines solchen Kollegialorgans begangen – und selbst wenn dieses eine herausgehobene Stellung einnimmt –, beeinträchtigt dies allein die Wirksamkeit des Compliance-Programms nicht. Mit Gesamtvertretung hätte der Vorstand in diesem Beispiel sich ausreichend gegen die kriminelle Energie eines Einzelnen abgesichert.
1 BGBl. I 2021, 2ff. 2 Einige Gedanken zur Verteidigung finden sich in Rn. D 52ff. 3 Darauf weisen auch Ritz/Weiß, NZKart 2020, 364, 370 hin. 4 Compliance-Programme werden von der Kommission nach wie vor nicht als mildernder Umstand bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt, siehe hierzu Steger/Schwabach, WuW 2021, 138, 139f. und Rn. B 46. 5 Holzhäuser/Blome, BB 2020, 1232, 1233. 6 Es weht ein „Wind of Change“, wie Ritz/Weiß, NZKart 2020, 364 feststellen. Siehe auch die Hinweise zu den Ländern Italien, Großbritannien, Frankreich, die USA und Schweiz unter Fn. B 38. 7 BGH, Urt. v. 9.5.2017, Az. 1 StR 265/16, BB 2017, 1931 (mit Anm. Behr). 8 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 19/25868, S. 123. 9 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 19/25868, S. 122. 10 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 19/25868, S. 122. 11 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 19/25868, S. 122. 12 Die bisherigen Vorbehalte des Bundeskartellamtes gegen eine Prüfung der Wirksamkeit von Compliance-Programmen (Tätigkeitsbericht 2013/2014, BT-Drucks. 18/5210, S. 13) greifen – worauf Seeliger/Gürer, WuW 2020, 634, 635 re.Sp. zu Recht hinweisen – nicht mehr. Schon nach § 8 Abs. 1 S. 1 WRegG muss das Bundeskartellamt sich die entsprechende Expertise aneignen. 13 Siehe unten Rn. C 4ff.
Teil B Kartellrechtliche Risiken im Unternehmen
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Am Anfang aller Compliance-Bemühungen steht die Bestandsaufnahme: Das Unternehmen muss sich darüber klar werden, mit wem es in welcher Weise im Rahmen seiner Geschäftsprozesse agiert, bei welchen Tätigkeiten Kartellrechts-Verstöße vorkommen (könnten) und welche Bereiche relativ unkritisch sind.
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Kartellrechts-Compliance hat zum Ziel, Unternehmen vor Kartellrechts-Risiken zu schützen. Wie bei jeder Schutzmaßnahme ist vor Einführung eines kartellrechtlichen Compliance-Programms zu entscheiden, ob
– die Risiken so gering sind, dass sie vom Unternehmen akzeptiert und getragen werden können oder ob
– das Einführen von konkreten Schutzmaßnahmen angezeigt ist.
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Selbstverständlich kann eine solche Entscheidung nur dann korrekt getroffen werden, wenn Risiken und Konsequenzen zutreffend beurteilt werden. Für die Einhaltung von Kartellrechtsregeln ist das weit weniger intuitiv zu bewerkstelligen als für andere Rechtsbereiche. Dies liegt schlicht daran, dass Kartellrecht nicht abstrakt befolgt werden kann, sondern die Regeln je nach Marktumfeld, Marktposition und Geschäftsmodell eines Unternehmens andere sind. Grundsätzliche Compliance-Maßnahmen, wie insbesondere Kartellrechtsschulungen sind in einem Unternehmen also schon deshalb unverzichtbar, weil sie eine zutreffende Sachverhalts- und Risikoerfassung erst möglich machen.
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Im Anschluss an das Studium der Grundbegriffe des Kartellrechts in den Abschnitten I. bis IV. kann der Leser unmittelbar in die Analyse der im eigenen Unternehmen vorhandenen Kartellrechts-Risiken anhand der Abschnitte V. bis IX. einsteigen.
I. Einführung in das Kartellrecht
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Kartellrecht schützt den Wettbewerb und damit das freie Kräftespiel von Unternehmen auf dem Markt. Das System der Marktwirtschaft sieht funktionsfähigen Wettbewerb gleichsam als sein Herzstück oder seinen Motor an: Verbraucher profitieren von diesem System, weil Unternehmen um die Verbrauchergunst konkurrieren müssen. Der Wettbewerbsdruck führt dazu, dass Abnehmer sich aus einer breiten Angebotspalette diejenigen Güter und Leistungen auswählen können, die am ehesten ihren Vorstellungen von guter Qualität zu einem angemessenem Preis-Leistungs-Verhältnis entsprechen. Unternehmen, die im Wettbewerb bestehen, werden mit höheren Gewinnen belohnt. Unternehmen, deren Angebot nicht den Marktanforderungen entspricht, werden mit Verlusten oder gar mit ihrem Ausscheiden aus dem Markt bestraft.1
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Ein besonders wichtiger Faktor ist dabei der letztlich nur durch ausreichenden Wettbewerb geförderte, ständige Anreiz zur Innovation. Oder mit den Worten des Präsidenten des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, in einem Interview der Funke Mediengruppe am 18.1.2020:
„Neben den überhöhten Preisen ist das Schlimmste an Kartellen und Monopolen, dass die Innovationstätigkeit der Unternehmen erschlafft. Ohne Wettbewerb geben sich die Firmen keine Mühe. Ein Beispiel: Als Microsoft seinen „Internet Explorer“ an den Markt brachte, erfuhr dieser über fünf Jahre kein einziges Update. Warum? Weil die Konkurrenz fehlte. Dann kam der „Mozilla Firefox“. Heute sind wöchentliche Updates bei vielen Apps die Regel. Wettbewerb ist für Fortschritt wichtig – und Kartelle schalten diesen aus.“
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Das Kartellrecht schützt den Wettbewerb, indem es Handlungsweisen von Unternehmen verbietet oder begrenzt, von denen anzunehmen ist, dass diese wirksamen Wettbewerb behindern oder sogar ganz ausschalten.
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Das europäische