Kapitel 7
Schwiegertochter zu verschenken
Am Montagmorgen saß Zoe in der Matheklausur und konnte sich kaum konzentrieren. Sie war furchtbar müde.
Zurzeit war die Schule unfassbar stressig. Die Lehrer sammelten die Zensuren im Akkord, denn schließlich tickte die Uhr. So viele Schultage lagen nicht mehr vor den Abiturienten. Die zahlreichen Leistungsfeststellungen zehrten an den Kräften aller. Wahrscheinlich wäre sie besser durch das alles gekommen, wenn sie immer noch die gleiche Einstellung zur Schule wie vor einem Jahr gehabt hätte, doch Thomas hatte ihren Ehrgeiz geweckt. Sie strebte nach einem guten Abitur. Ihr Ziel war, dass vor dem Komma eine Eins stand.
Irgendwie war es gruselig, mit welcher Geschwindigkeit das Abitur auf Zoe zuraste. Sie fühlte sich noch nicht so weit, denn je näher die Prüfungen rückten, desto unwahrscheinlicher war es, dass Fiona rechtzeitig wiederkam. Schon jetzt hatte sie so viel Unterricht verpasst, dass ein Abschluss in unerreichbarer Ferne lag. Zoe hoffte irgendwie, Fiona könnte es noch schaffen, doch mit jedem neuen Tag, an dem sich ihre Cousine nicht meldete, schwand diese Hoffnung. Zoe betete dennoch dafür, denn sie wollte nicht allein die Schulzeit beenden. Sie hatten gemeinsam angefangen und sollten es auch zusammen beenden. Zoe hatte sich seit einem Jahr darauf gefreut, ihr gemeinsames Schulabschlussbild neben das Bild ihres ersten Schultags zu stellen. Sie hatte sich sogar extra ein Kleid gekauft, das beinahe aussah wie das Kleidchen, das sie an ihrem ersten Schultag getragen hatte. Doch nun schien es so, als würde sie da allein stehen. Nur noch sie war übrig.
Irgendwie brachte sie die Klausur hinter sich. Sie hoffte, dass sie nicht völlig versagt hatte. Danach lief sie zu Geschichte. Sie baute ihren Laptop und den Beamer auf, denn nun würde sie einen Vortrag halten. Sie liebte Vorträge. Sie waren die einzige Möglichkeit, dass man gelobt wurde, wenn man die ganze Stunde redete. Dank Thomas hielt sich der Vorbereitungsaufwand für die Referate auch in Grenzen. Es gab sogar böse Zungen, die lästerten, dass Zoe lediglich mit Thomas zusammen sei, da sie beim Abitur von ihm profitiere. Das konnte sie ihnen nicht einmal übel nehmen, denn die alte Zoe hätte genau das getan. Und es war ein recht tröstlicher Gedanke, dass sie es jeden teuer bezahlen ließ, über sie zu lästern. Eigentlich könnte sie eine Strichliste führen, wie oft sie immer noch jemanden zum Heulen brachte.
Nach der Schule saß Zoe im Schneidersitz auf ihrem Bett und telefonierte mit Thomas. Er war noch auf Arbeit und machte gerade eine Pause.
»Meine Eltern sind, seit sie wissen, dass ihr Hexen seid, noch komischer drauf. Jakob, der Hassprediger, redet ihnen ein, ihr hättet etwas mit Florentins Verschwinden zu tun. Das ist doch lächerlich«, spottete Thomas vollkommen überzeugt von der Unschuld seiner Freundin.
»Wir sind Weißmagier«, stellte Zoe klar, ohne wirklich auf Thomas' Aussage einzugehen.
Er schien dies jedoch für eine Demonstration ihrer Unschuld zu halten, denn er meinte nur: »Ich werde heute dennoch zu ihnen gehen. Sie sind schließlich meine Eltern.« Aber er klang unsicher und schwieg kurz, ehe er bat: »Weil es sicher spät wird, möchte ich heute nicht mehr nach Hause fahren. Kann ich bei dir übernachten?«
»Natürlich!«, erwiderte Zoe fröhlich. Wie könnte sie sich nicht freuen, wenn ihr Freund zu ihr kam?
Thomas lachte ebenfalls, dann fragte er vorsichtig: »Würdest du mir noch einen Gefallen tun?«
»Was immer du willst!« Für ihn würde sie alles tun. Doch mit dem, was er von ihr wollte, hatte sie nicht gerechnet.
»Komm mit!«
»Du weißt, dass deine Eltern und ich nicht wirklich gut miteinander auskommen«, erinnerte sie ihn. Das war wohl die Untertreibung des Jahrtausends. Sie hoffte sehr, dass er die Bitte zurückzog. Sie wollte Herrn und Frau Fehring nicht unter die Augen treten.
»Zeig ihnen, dass ihr keine Monster seid«, bettelte Thomas traurig.
Zoe lachte bitter über seine Naivität und widersprach: »Dass wir welche sind, haben sie bei unseren vorangegangenen Gesprächen wohl zu deutlich bemerkt.«
»Du bist vielleicht eine oberflächliche Zicke, aber du bist keine kaltblütige Mörderin. Den Unterschied werden sie erkennen. Bitte!«, flehte er.
Er merkte nicht einmal, dass es dennoch eine Beleidigung war, seine Freundin als Zicke zu bezeichnen. Zoe nahm es ihm jedoch nicht übel. Und er klang so verzweifelt, dass sie dann doch einlenkte. Aber sie würde nicht hingehen, um ihnen zu beweisen, dass sie keine Mörderin war, sondern um es ihnen vorzulügen.
»Was soll ich anziehen? Ein Etuikleid?«, schlug Zoe verführerisch vor. Sie hoffte, dass ihr Freund darauf ansprang und sie mit Komplimenten überschüttete. Doch sie wurde enttäuscht.
Thomas schwieg kurz. Er schien von der Idee gar nicht begeistert zu sein. »Nein, du weißt, dass ich dich in Kleidern wunderschön finde, aber das ist immer so übertrieben. Wir gehen in kein teures Restaurant oder die Oper, sondern zu meinen Eltern. Zieh einfach eine Jeans und ein T-Shirt an. Schmink dich nur dezent und sei einfach normal«, bat er.
Zoe war erst einmal sprachlos. Ihr hatte noch nie jemand gesagt, sie solle sich weniger hübsch anziehen. Weniger ist mehr galt für Zoe bei Klamotten nur für den Stoff. Dennoch stimmte sie zu, sich Mühe zu geben, nicht zu overdressed auszusehen.
Nachdem sie aufgelegt hatte, öffnete sie die Tür zu ihrem begehbaren Kleiderschrank, der mehr wie ein Tor zu einer anderen Welt erschien. Eine Jeans zu finden, gestaltete sich nicht sonderlich schwierig. Sie nahm eine dunkelblaue High-Waist-Hose. Sie betonte ihre Taille. Dann inspizierte sie die Pullover. Sie entschied sich für einen kurzen Pullover, in den Blusenelemente eingesetzt waren. Sie trug hellroten Lippenstift auf und flocht ihre langen blonden Locken zu einem ordentlichen Fischgrätenzopf. Danach setzte sie sich wieder aufs Bett und beschloss etwas zu lesen, bis Thomas sie abholte.
Als er ihr die Nachricht schickte, dass er vorm Haus parke, schritt sie die Stufen der Treppe nach unten. Ihre Großmutter kam ihr entgegen, die mit schneidender Stimme fragte, wo sie denn hinwolle.
Zoe war so überrascht über das plötzliche Interesse, dass sie sofort antwortete: »Thomas und ich gehen zu seinen Eltern. Er wollte, dass ich einmal mitkomme.«
»Ich habe keine Ahnung, welche Rechtfertigung du für diese Beziehung findest. Warum musst du dich den armen Eltern aufdrängen?«, kritisierte Aurora.
Zoe war den Hass ihrer Großmutter gewöhnt, doch sie war etwas überrascht, denn in den letzten Wochen hatte sie dank Thomas weniger Verachtung von ihrer Großmutter erfahren.
»Ich dachte, du findest es gut, dass ich mit Thomas zusammen bin«, gab sie zu bedenken und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
»Nur weil ich dachte, dieser Junge hätte einen guten Einfluss auf dich, aber dem scheint nicht so zu sein. Du solltest ihm sein Leben nicht noch mehr zerstören. Er hat etwas Besseres verdient als dich«, stellte Aurora klar und ließ ihre Enkelin sprachlos stehen.
Zoe war eine Weile verwirrt und ein sonderbares Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Für einen Sekundenbruchteil zuckte sogar der Gedanke durch ihren Kopf, Aurora könnte wissen, was mit Florentin geschehen war. Diesen verwarf Zoe jedoch schnell wieder. Das war unmöglich.
Als sie weiter angestrengt überlegte, fiel ihr eine andere und viel logischere Erklärung ein: Vermutlich hatte Abigail sich beschwert, dass Zoe ihre Beziehung zu Simon sabotiert hatte. Ja, so musste es sein, Fionas Schwester war so eine dumme Ziege.
Zoe setzte ihren Weg nach unten fort und verließ das Haupthaus. Draußen empfing sie die kühle Abendluft. Für Mitte März war es noch recht kalt. Sie stieg zu Thomas ins Auto. Ihr war unwohl wegen dem, was nun folgen würde. Sie fürchtete sich vor der offenen Auseinandersetzung mit den Fehrings. Das letzte Mal hatte sie sie gesehen, als Florentin noch lebte und seine Eltern erfahren hatten, wie mies sie ihn behandelt hatte. Damals hatten sie Zoe des Grundstücks verwiesen. Würde das heute genauso enden? Würde Thomas für sie Partei ergreifen?
Er