b) Praktische Herangehensweise
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Bevor ein Finanzierer einen Fall in sein Portfolio aufnimmt, wird er die Erfolgsaussichten bewerten. Dafür werden regelmäßig externe (lokale) Anwaltskanzleien eingeschaltet. Alle prozessrelevanten Informationen müssen in Rahmen einer solchen Due Diligence offengelegt werden. Der Finanzierer wird neben der überwiegenden Erfolgswahrscheinlichkeit weitere Kriterien in Betracht ziehen, wie z.B. die Durchsetzbarkeit der Forderung gegenüber dem Anspruchsgegner im Erfolgsfall, voraussichtliche Verfahrensdauer und eventuelle Vergleichsmöglichkeiten, sowie die notwendige finanzielle Investition und die Anspruchshöhe.173 Prozessfinanzierer werden grundsätzlich nur einspringen, wenn das Kostenrisiko 10 % des realistischen Anspruchswerts nicht übersteigt.174 In der Regel liegt die Erfolgsbeteiligung eines Finanzierers zwischen 20 und 50 Prozent des Erlangten.175 Regelmäßig wird der Prozessfinanzierer auch eigene Vorschläge zu Prozessvertretern unterbreiten und die Finanzierung vom Renommee der Anwälte abhängig machen.
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Finanzierungsverträge sind regelmäßig komplex und den Anspruchsinhaber treffen weitreichende Pflichten. Anspruchsinhaber sind zur Prozessförderung und fortlaufenden Information der Prozessfinanzierers verpflichtet. Letztere wird regelmäßig durch eine Entbindung der von dem Anspruchsteller mandatierten Anwälte von deren anwaltlicher Schweigepflicht umgesetzt. Zustimmungspflichtig ist das Ergreifen kostenauslösender Maßnahmen, die Verfügung über die streitige Forderung etwa bei Vergleichen oder der Verfahrensbeendigung durch Verzicht oder Klagerücknahme. Die streitigen Forderungen müssen gegebenenfalls zur Sicherheit an den Prozessfinanzierer abgetreten werden. Über die umfangreiche Informationspflicht ist der Anspruchsinhaber auch verpflichtet das Verfahren fortlaufend zu unterstützen.176 Ein Kündigungsrecht besteht für den Anspruchsinhaber grundsätzlich nicht bzw. nur in sehr eingeschränktem Maße. Unterliegt der Finanzierungsvertrag deutschem Recht, wird er eine Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund enthalten, wobei wichtige Gründe im Vertrag genauer definiert werden können. Der Prozessfinanzierer erhält hingegen typischerweise die Möglichkeit den Finanzierungsvertrag zu kündigen, wenn sich die Erfolgsaussichten maßgeblich verändern.
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Nach Abschluss der Finanzierungsvereinbarung informieren die Anwälte den Prozessfinanzierer regelmäßig über den Verfahrensstand. Der Prozessfinanzierer bringt seine prozesstaktischen Erwägungen zu gerichtlichen und außergerichtlichen Handlungen ein, insbesondere zu allen kostenauslösenden bzw. den Anspruch selbst betreffenden Maßnahmen.177
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Die Rechnungstellung erfolgt in Deutschland grundsätzlich gegenüber dem Mandanten, der in der Regel bei der Finanzierung deutscher Verfahren die Umsatzsteuer trägt sofern er vorsteuerabzugsberechtigt ist und diese gesondert an die Anwälte zahlt. Der Prozessfinanzierer zahlt dann den Nettobetrag.
75 Grundlegend Makatsch, CCZ 2015, 127; zu den sich stellenden steuerrechtlichen Themen vgl. Krüger, NJW 2015, 203. 76 Beispielsweise erging das Urteil des LG Düsseldorf im Zementkartellfall mehr als acht Jahre nach Klageerhebung, vgl. LG Düsseldorf, 17.12.2013, 37 O 200/09 (Kart) U, ECLI:DE:LGD:2013:1217.37O200.09KART.U.00, WuW/E DE-R 4088 – Zementkartell. 77 Im Vereinigten Königreich wurden mehr als die Hälfte der kartellrechtlichen Schadensersatzklagen verglichen und in den USA sogar beinahe jedes Verfahren, siehe die Nachweise bei Makatsch, CCZ 2015, 127 mit Fn. 5f. 78 Eine Schadensersatzzahlung ist zudem auch ein wichtiger Bestandteil der Selbstreinigung gemäß § 125 GWB. 79 Zu beachten ist, dass Art. 7 Abs. 1 und 3 der Kartellschadensersatzrichtlinie gewisse Beschränkungen hinsichtlich der Informationsverwertung enthalten. 80 Zum Verjährungsrisiko von Regressansprüchen im Gesamtschuldnerausgleich vgl. Petrasincu, NZKart 2014, 437. 81 Ein Rückgriff auf den sich vergleichenden Gesamtschuldner soll gemäß § 33f Abs. 1 Satz 3 GWB nur möglich sein, wenn von den anderen Gesamtschuldnern kein vollständiger Ersatz erlangt werden konnte. 82 Ausführlich hierzu Krüger, Kartellregress, Der Gesamtschuldnerausgleich als Instrument der privaten Kartellrechtsdurchsetzung S. 281ff.; Krüger, in: Private und öffentliche Kartellrechtsdurchsetzung durch private Schadenersatzklagen?, S. 79ff.; Makatsch/Bäuerle, in: MüKo-Wettbewerbsrecht, § 33f GWB Rn. 21f. 83 Siehe § 81d Abs. 1 Nr. 5 GWB und in der Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung S. 153; siehe auch Art. 18 Abs. 3 der Kartellschadensersatzrichtlinie und Art. 14 Abs. 2 ECN+-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Stärkung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine wirksamere Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts, ABl. v. 14.1.2019, L 11/3). 84 WEKO, Verfügung vom 19.8.2019, Untersuchung 22-0457 – Bauleistungen Graubünden. 85 WEKO, Verfügung vom 19.8.2019, Untersuchung 22-0457, Rz. 596 – Bauleistungen Graubünden. 86 Makatsch, NZKart 2020, 103. 87 Vgl. den Vorschlag zu einem Vergleiche fördernden Ansatz Makatsch/Bäuerle, WuW 2016, 341, 342ff.; Makatsch, NZKart 2020, 103. 88 § 33d Abs. 1 und 2 GWB jedoch mit Ausnahmen für Kronzeugen und kleine und mittlere Unternehmen, siehe auch Art. 11 der Kartellschadensersatzrichtlinie; Für die Zeit vor der 9. GWB-Novelle siehe in der Respr. BGH, 18.6.2009, VII ZR 167/08, NJW 2010, 60, 61. 89 Allerdings besteht für die anderen Kartellbeteiligten die Möglichkeit der Nebenintervention. § 89a Abs. 3 Satz 2 GWB enthält nun eine Kostendeckelung, wonach die Summe der Gegenstandswerte der einzelnen Nebenintervenienten den Streitwert der Hauptsache nicht übersteigen darf. 90 Im Kartellbußgeldrecht stellt § 81 Abs. 3a GWB auf den unionsrechtlichen Unternehmensbegriff ab. 91 Siehe Kersting, WuW 2014, 564, 565f.; Makatsch/Mir, EuZW 2015, 7, 8; Weitbrecht, WuW 2015, 959, 964f.; Haus/Serafimova, BB 2014, 2883, 2884; Vollrath, NZKart 2013, 434, 438; Petrasincu, WuW 2016, 330, 331; a.A. Thomas/Legner, NZKart 2016, 155; Suchsland/Rossmann, WuW 2015, 973. 92 Art. 1 Abs. 1 der Kartellschadensersatzrichtlinie stellt klar, dass der Anspruch „gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen“ i.S.d. unionsrechtlichen Unternehmensbegriffs besteht. 93 EuGH, 14.3.2019, Rs. C-724/17, ECLI:EU:C:2019:204 – Skanska. 94 So auch das LG Dortmund, 8.7.2020, 8 O 75/19 (Kart), ECLI:DE:LGDO:2020: 0708.8O75.19KART.0A; in der Lit. Bauermeister, NZKart 2019, 252, 255; Hutschneider/Bäuerle, WuW 2019, 257f.; Kersting, WuW 2019, 290 296; Richter, BB 2019, 1154, 1158; Wagener, NZKart 2019, 535, 537, wobei sich vielschichtige Detailfragen zu Zurechnung und Verschulden ergeben, so dass eine weitere Vorlage nur eine Frage der Zeit bleibt. 95 Die Kartellschadensersatzrichtlinie, die eine Harmonisierung der einzelnen Rechtsordnungen anstrebt, hat diese Frage nicht erledigt, da den Mitgliedstaaten zu vielen Regelungen ein erheblicher Umsetzungsspielraum verbleibt, vgl. Wurmnest, NZKart 2017,