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Um überhaupt Kenntnis von etwaigen Schadensersatzansprüchen zu erlangen, ist die Identifizierung möglicher Kartelle erforderlich. Dies kann durch ständige Überwachung der Aktivitäten der Kartellbehörden (sog. Monitoring) sowie ergänzend durch eigenes Screening der Lieferantenbeziehungen erfolgen.
1. Monitoring der Aktivitäten der Kartellbehörden
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Bestandskräftige Entscheidungen der Kartellbehörden erlauben den Geschädigten einen in der Beweisführung günstigen Folgeprozess. Ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid einer Wettbewerbsbehörde stellt den Kartellrechtsverstoß auch für Zivilgerichte verbindlich fest, und es besteht der Anschein bzw. die Vermutung, dass dieser zu einem Schaden geführt hat.10 Durch regelmäßige Sichtung von Presseberichten zu neuen Kartellentscheidungen kann ein erster Eindruck gewonnen werden, ob das Unternehmen betroffen ist.11
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Doch auch wenn ein Kartell identifiziert ist, gestaltet sich die Informationsbeschaffung grundsätzlich als schwierig.12 Kartelle sind in der Regel geheim, so dass die Geschädigten keinen Zugang zu den Informationen haben, die für die erfolgreiche Einklagung des ihnen durch ein Kartell entstandenen Schadens erforderlich sind. Zudem werden immer mehr behördliche Verfahren einvernehmlich durch Settlements beendet; Angaben zu den kartellrechtswidrigen Absprachen fallen dann in der Regel denkbar knapp aus. Der Zugang zu Informationen ist indes der Schlüssel zum Erfolg, da die Geschädigten im Prozess die Schadenskausalität nachweisen13 und Anknüpfungstatsachen für die gerichtliche Schadensschätzung darlegen14 müssen.
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Kartellbeteiligte sowie Dritte können im Wege eines Auskunftsanspruchs gemäß § 33g GWB gerichtlich zur Offenlegung von Informationen verpflichtet werden.15 Behördliche Quellen, wie die Akteneinsicht bei den Kartellbehörden oder die Offenlegung von Verfahrensakten der zu einem Kartell ermittelnden Staatsanwaltschaften16 sind gemäß § 89c Abs. 5 GWB subsidiär.17 Das Gericht kann gemäß § 89c Abs. 1 GWB auf Parteiantrag auch von den Wettbewerbsbehörden Akteneinsicht fordern, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Informationen nicht mit zumutbarem Aufwand von einer anderen Partei oder einem Dritten zu erlangen sind.18 Werden außergerichtliche Verhandlungen mit Kartellbeteiligten geführt, sollten diese zudem verpflichtet werden, relevante Informationen herauszugeben. Wichtige Informationen, mit denen der Schadensnachweis geführt werden kann, können auch bereits intern verfügbar sein. Die einzelnen Beschaffungsvorgänge müssen dazu möglichst umfassend dokumentiert sein.19
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Soweit ein Unternehmen die kartellierten Produkte nicht direkt, sondern nur mittelbar bezogen hat, ist es auf die Mitwirkung der Zulieferer angewiesen, um einen lückenlosen Schadensnachweis zu führen. In solchen Fällen sollte die Zusammenarbeit mit den Zulieferern möglichst frühzeitig umgesetzt werden. Zudem kann es auch notwendig sein, je nach Fallgestaltung weitere Dokumente und Informationen aufzubereiten.20
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Gerade in komplexen Fällen sollte angesichts der drohenden Verjährung schon vor der Beendigung der Bußgeldverfahren mit der internen Aufarbeitung des Falles begonnen werden.21 Es ist daher zu raten, bereits Hausdurchsuchungen und Verfahrenseröffnungen/-erweiterungen in das Monitoring aufzunehmen.
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Intern müssen wirksame organisatorische Prozesse eingeführt werden, die eine optimale Anspruchsverfolgung gewährleisten. Die Dokumentation innerhalb eines Unternehmens verfolgt regelmäßig andere Ziele22 und Dokumente werden oft nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen vernichtet. Deshalb müssen frühzeitig diejenigen Daten identifiziert werden, die für den Fall eines Kartellverdachts auf dem Beschaffungsmarkt vorgehalten werden sollten. Eine zeitige Aussprache und Dokumentation eines Dokumentenvernichtungsverbots ist geeignet, die regulären Vernichtungsprozesse zu stoppen, und in einigen Jurisdiktionen auch spätestens ab Klageerhebung zwingend.23 Bei einem Schadensverdacht kann die Datenlage dann effizient aufbereitet werden. Dazu sollten etwa geschulte Mitarbeiter speziell abgestellt werden. Die betroffenen Geschäftsfelder (z.B. Einkauf, Finanzen, Buchhaltung) sollten eng in den Prozess eingebunden werden. Gleichzeitig muss die Geschäftsleitung über die Anspruchsverfolgung informiert (gehalten) werden. Bei umfangreichen Verfahren bietet es sich an, ein eigenes Projekt aufzusetzen. Hier sind alle internen und externen Schnittstellen zu regeln. Der Bedarf an externer Beratung/Dienstleistung umfasst je nach Einzelfall insbesondere externe Anwälte, Strafverteidiger, Wirtschaftsprüfer, Ökonomen und IT-Dienstleister. Soweit die Geschädigten eigene Rechtsabteilungen unterhalten, steuern diese regelmäßig die Prozesse und die Schnittstellen einschließlich der internen und externen Kommunikation.
2. Kartellscreening
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Wesentlich schwieriger ist es dagegen, verbotene Kartellabsprachen der Geschäftspartner eigenständig auszumachen. Ein Mittel zur proaktiven Kartellaufdeckung könnten sog. Screening-Methoden sein. In der Unternehmenspraxis kommen solche Methoden bislang jedoch nur begrenzt zum Einsatz. Verschiedene Herangehensweisen stehen grundsätzlich zur Verfügung:
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Erstens können Auffälligkeiten im Rahmen der Beschaffung auf mögliche Kartellabsprachen der Lieferanten hindeuten. Hierbei handelt es sich um ein sog. verhaltensbasiertes Screening. Ein starkes Indiz für Kartellabsprachen sind etwa gleichlautende Angebote bei komplexen Aufträgen, gleiche Rechen- oder Schreibfehler in den Angeboten sowie auffällig überdimensionierte Bietergemeinschaften.24 Andere Umstände, wie Treffen der Wettbewerber vor der Angebotsabgabe, Kenntnis der Preise der Wettbewerber oder eine geringere Beteiligung an Ausschreibungen als üblich, lassen ebenfalls auf ein Kartell schließen.25 Anders als Unternehmen haben sich mehrere Wettbewerbsbehörden teilweise schon intensiv mit dem Thema Screening beschäftigt.26 Entsprechende Screening-Methoden, die auf Einkaufsdaten öffentlicher Vergaben fußen, werden etwa von der britischen Competition and Markets Authority (CMA) und der schweizerischen Wettbewerbskommission (WEKO) genutzt.27 Die CMA stellt ihr „Screening-for-Cartels-Tool“, das 12 Algorithmen zur Aufdeckung von Submissionsabsprachen nutzt, kostenfrei Dritten zur Verfügung. Vergabestellen sollen so eigenständig Daten zu Geboten untersuchen und Auffälligkeiten melden können. Die WEKO nutzte ihr Werkzeug hingegen für Auswertungen ihr selbst zugänglicher Daten.28 Mittlerweile haben erste Unternehmen damit begonnen, ebenfalls verhaltensbasierte Screenings zu entwickeln und mithilfe intelligenter Algorithmen in den Einkaufsdaten zu analysieren, ob unter Lieferanten möglicherweise Kartelle bestehen. Ziel kann es dabei letztlich nur sein, ein ganzheitliches Register an Algorithmen zur Verfügung zu haben, das in der Lage ist, verschiedene Formen von Kartellabsprachen automatisiert zu identifizieren.29
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Zweitens können Marktdaten (Market Intelligence) über längere Zeiträume gesammelt und verglichen werden, um ungewöhnliche Trends und Ereignisse zu entdecken. Hierbei steigt die Indizwirkung, je größer die Abweichungen auf dem untersuchten Markt sind, und je weniger sich schlüssige Alternativerklärungen aufdrängen.
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Schließlich können Marktstruktur-Screenings durchgeführt werden, um die (abstrakte) Kartellneigung eines Marktes einschätzen zu können.30 Wesentliche Kriterien sind etwa die Marktkonzentration, Beschaffenheit der Produkte, Symmetrie der Marktteilnehmer, Marktzutrittsschranken, Markttransparenz, Kostenunterschiede der Anbieter und Produktions(über)kapazitäten.31 Die Kartellneigung ist dabei regelmäßig umso größer, je höher die Marktkonzentration ist und je vergleichbarer, d.h. homogener die Marktleistungen der Anbieter sind.
3. Abwehr und Prävention von Kartellschadensrisiken
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