Fällt Ihnen bereits etwas zum Ausgangsfall auf? Die EQ-Faktoren scheinen dem Ex-Bürgermeister gefehlt zu haben. Die Empfehlung des Rates, er möge Seminare zur Personalführung besuchen, ist gut gemeint. Allerdings sind solche charakterlichen Auffälligkeiten eher nicht über Fortbildungen therapierbar.
(2) Exzellente kommunikative Fähigkeiten und Vertrauen in Mitmenschen: Wer Bürgermeister werden will, braucht exzellente kommunikative Fähigkeiten und sollte den Kontakt mit Menschen, inner- und außerhalb des Rathauses, lieben und ihnen vertrauen.
Gerne erinnere ich mich an eine Szene, als ich mit einem Bürgermeister, der mit einer sehr satten Mehrheit wiedergewählt wurde, zu Fuß auf dem Weg zu seinem Rathaus war. Etwas abseits vom Hauptweg sah er eine Mitarbeiterin, die in einem besonders gekennzeichneten Bereich rauchte. Er entschuldigte sich bei mir und ging zu der Mitarbeiterin, die ebenso überrascht schien wie ich. Wollte er der Mitarbeiterin das Rauchen ausreden? Nein, er gratulierte ihr zum Geburtstag, sagte, dass er später zu ihr kommen werde. Zugegeben, die Zahl der Verwaltungsmitarbeiter war nicht so groß, gleichwohl war ich sehr beeindruckt vom guten Gedächtnis und der Empathie.
Vertrauen vor allem in seine Mitarbeiter scheint selbstverständlich, ist es jedoch nicht. Tatsächlich wird mir bei vielen Inhouse-Seminaren eher von einer Misstrauenskultur berichtet. So muss etwa in einer Stadt jeder von einem Bauingenieur geprüfte Balkonausbau bis zur Dezernentenebene, nach bereits erfolgter zweifacher Prüfung, vorgelegt werden. Eine groteske Absicherung. Und in Fällen, in denen es auf eine wirkliche Rückendeckung durch die Stadtspitze ankommt, werden Mitarbeiter eher alleine gelassen. Spätestens seit dem Love-Parade-Unglück in Duisburg, bei dem sich der ehemalige Oberbürgermeister leider schnell aus der Verantwortung ziehen konnte, wissen und fürchten Mitarbeiter, wie schnell man im Zweifel mit den Folgen des Handelns alleine gelassen werden kann. Dies hat in vielen Städten die Folge, dass ein Misstrauen in beiden Richtungen herrscht. Dies verhindert nicht selten ein „echtes“ Delegieren: Idealerweise werden Aufgaben vertrauensvoll abgegeben, nicht zurückgeholt, und Fehler von Mitarbeiter werden nicht als Weltuntergang tituliert, sondern gemeinsam durchgestanden und Mitarbeiter nach außen verteidigt. Die Realität sieht häufig leider anders aus:
Der Personalrat einer Kommune hatte mich gefragt, ob wir eine anonymisierte Befragung aller Mitarbeiter durchführen können, bei dem es auch um eine Zufriedenheitsabfrage mit dem Bürgermeister und weiteren Führungskräften ging. Dies geschah, sehr zum Groll der Stadtspitze, die zum Teil verheerende Kritik erntete.14 Dass schlechte Führungskräfte solche Befragungen wie der Teufel das Weihwasser fürchten, erscheint nachvollziehbar; sie sollten jedoch zum Standard innerhalb jeder Stadt werden, damit Führungskräfte sich stetig verbessern können.
(3) Strategisches Denken und Arbeitseinsatz:
Dass ein Bürgermeisterjob keine 08/15-Tätigkeit ist und lange Arbeitstage und Wochenendarbeit einschließt, dürfte auf der Hand liegen. Was nicht selbstverständlich ist, ist die Kunst des strategischen Denkens: Welche Schwerpunkte sollen verwaltungsintern, welche Themen für die Bürger in den nächsten Jahren umgesetzt werden? Diese Punkte sind, sofern eine Wiederwahl angestrebt wird, von immenser Bedeutung. Bei den Bürgermeistern, die wenig Verwaltungsund Führungserfahrung haben, mangelt es hieran häufig. Realistisch braucht ein Verwaltungsneuling ein bis zwei Jahre, um sich mit dem System Kommunalverwaltung überhaupt zurecht zu finden, dann sollte bereits die erste Umsetzung des Strategieplans initiiert werden, sofern die Wahlzeit, wie zum Beispiel in Niedersachen, mit fünf Jahren sehr kurz ist.15 Idealerweise werden Verwaltungsmitarbeiter und Ratsmitglieder auf dieser Entwicklungsreise frühzeitig eingebunden und mitgenommen.
2.1.3Theorie der Interaktion
Der Misserfolg dieses Ansatzes hat zu verschiedenen neuen Gedanken geführt, von denen die Interaktionstheorie besonders interessant erscheint: Sie versteht Führung als Beeinflussungsprozess. Dieser Prozess kombiniert persönlichkeitsbezogene und externe Faktoren, wie z. B. die aktuellen Probleme in der jeweiligen Kommune oder die Stimmung in der Bevölkerung. Empathische Bürgermeister werden sowohl verwaltungsinterne als auch externe Herausforderungen erkennen und diese idealerweise ganzheitlich lösen. Auch hier hilft ein hoher EQ immens.
2.2Führungsstile
2.2.1Autoritär und Demokratisch
Es gibt zwei unterschiedliche Stile der Führung, von autoritär bis demokratisch. Beide werden selten in Reinkultur vorkommen, eher in diesen Abstufungen16:
Stufe 1: | Bürgermeister trifft Entscheidungen und kündigt sie an |
Stufe 2: | Bürgermeister „verkauft“ Entscheidungen |
Stufe 3: | Bürgermeister schlägt Ideen vor und erwartet Fragen |
Stufe 4: | Bürgermeister schlägt Versuchsentscheidung vor, die geändert werden kann |
Stufe 5: | Bürgermeister zeigt das Problem, erhält Lösungsvorschläge und entscheidet |
Stufe 6: | Bürgermeister zeigt Grenze auf und fordert Gruppe auf, die Entscheidung zu fällen |
Stufe 7: | Bürgermeister gestattet Mitarbeitern, innerhalb der systembedingten Grenzen frei zu handeln. |
Hier habe ich in der Praxis viele Bürgermeister schwächeln gesehen: Entweder konnte nur schwerlich auf Stufe 1 gehandelt werden, oder die Lösungsvorschläge von Mitarbeitern wurden trotz aufwendiger Befragungen – mitunter begleitet von externen Dritten – negiert. Ratsam wäre es, dass Bürgermeister sich im Vorfeld genaue Gedanken machen, welche Situationen welche Vorgehensweise impliziert und diese dann auch strikt einhalten. Insgesamt sollte ein klarer Führungsstil erkennbar sein; ein schnelles Schwanken von Kumpeltyp bei schönem Wetter und Autokrat bei leichtem Gegenwind durch den Rat, die Presse oder einem Bürgerschreiben kommt nicht gut an. Den mitunter empfohlenen situativen Führungsstil, wenn er denn so ausgelebt wird, kann ich nicht empfehlen.
Interessant war bei der Befragung der Mitarbeiter einer Kommune, dass viele den damaligen Stadtdirektor vermissten, obwohl dieser zwar einen sehr freundlichen Umgang pflegte, jedoch eindeutig den autoritären Führungsstil pflegte. Dies lag vielleicht auch daran, dass der dann amtierende Bürgermeister eher (entscheidungs-)schwach war und in seiner Führung wechselmütig erschien.
2.2.2Transaktional und Transformativ
Zwei andere Ansätze von Führung finden gegenwärtig durchaus starke Beachtung17:
Der transaktionale Führungsstil basiert auf dem Austauschprinzip: Bürgermeister klärt die Rollen und die sich daraus ergebenden Anforderungen, welche die Mitarbeiter zu erfüllen haben, um ihre persönlichen Ziele zu erreichen. Hierbei sind Wünsche, Erwartungen und Befürchtungen der Mitarbeiter zu berücksichtigen, damit die vereinbarten Ziele erreichbar sind. Dieser Ansatz könnte vor allem beim direkten Führungspersonal rund um die Stadtspitze interessant sein. Als Bürgermeister brauchen Sie unbedingt sehr gute Leute an der Verwaltungsspitze, auf die Sie sich verlassen können. Wenn Sie in der Erwartungshaltung klar machen, dass Sie eigenständige, kritikfähige und entscheidungsstarke Persönlichkeiten wünschen und fordern, ohne dass Ihre Rolle als Chef der Verwaltung angezweifelt wird, wäre das ein erstrebenswertes Ziel.
Nur schwache Bürgermeister dulden ausschließlich schwache Menschen im direkten Umfeld, um selbst nicht weiter zu verblassen.