Es sollten daher stets zuerst Bearbeitervermerk und Aufgabenstellung gelesen werden, da dann der Sachverhalt bereits unter diesem Gesichtspunkt studiert werden kann.
Hat man die Fragestellung (und den Bearbeitervermerk) ohne Restzweifel verstanden und so eine zielgerichtete Filtrierung vorgenommen, ist nun den Sachverhalt unter dieser voreingenommenen Optik lesen. Voraussetzung für das vollständige Erfassen des Sachverhaltes ist es, ihn wiederholt und konzentriert zu lesen.106 Es darf nichts übersehen werden. Gehen Sie möglichst unbelastet an den Sachverhalt heran und nehmen Sie sich ausreichend Zeit, um ihn voll zu erfassen. Nehmen Sie den Sachverhalt so, wie er ist. Lassen Sie nichts weg. Fügen Sie nichts hinzu.107
Wenig sinnvoll, weil häufig verwirrend und fehlerursächlich, ist es, bereits beim ersten Lesen (womöglich mehrfarbig) Kennzeichnungen vorzunehmen, da oftmals erst die wiederholte und dadurch noch genauere Beschäftigung mit Sachverhalt und Aufgabenstellung ergibt, welche Details tatsächlich von Bedeutung sind.108
Im zweiten Anlauf lesen Sie den Sachverhalt gründlich (Textmarker sparsam verwenden). Nicht wenige neigen dazu, den Sachverhalt durch Markierungen in den unterschiedlichsten schillernden Farben zu einem Graffiti mutieren zu lassen oder so viele Unterstreichungen vorzunehmen, dass letztlich der gesamte Sachverhalt gekennzeichnet ist. Erfahrungsgemäß ist hier weniger oft mehr. Ein in dieser Beziehung relativ unberührter Sachverhalt birgt nicht das Risiko, dass man hinter all den Farben und geometrischen Ausbrüchen die Fakten nicht mehr wahrnimmt und belässt damit dem Bearbeiter bis zum Schluss eine (auch optisch) unverfängliche Perspektive auf den Fall, die ein jederzeitiges unvoreingenommenes Erfassen und Überprüfen der Sachverhaltsangaben ermöglicht.109
Lesen Sie den Sachverhalt zweimal. Beim ersten Lesen „nur querlesen“ (Überblick verschaffen).
Grundsätzlich ist jede Information, die der Sachverhalt enthält, insbesondere auch Zahlen und Daten, erheblich; selten finden sich lediglich ausschmückende Anmerkungen. Echte Sachverhaltsfehler oder -lücken bilden ebenfalls eine absolute Ausnahme. Sachverhaltsangaben dürfen auf keinen Fall geändert werden. Unterstellen Sie keinen unzutreffenden Sachverhalt („Tatbestandsquetsche“).
Der Sachverhalt ist, wie er ist!
Gerade das mutmaßliche Wiedererkennen von bekannten Sachverhalten mit ihren Problematiken verleitet zu sachverhalts-losgelöster Fallbearbeitung.110 Ist der Sachverhalt unklar oder mehrdeutig, gehen Sie von einem lebensnahen Normalfall aus. Die Gefahr, die Klarheit eines gegebenen Sachverhalts zu verkennen, scheint gerade bei Anfängern groß. Es ist davon auszugehen, dass der Ersteller der Klausur genaue Überlegungen bei Fertigung des Sachverhaltes angestellt hat. Der Klausurbearbeiter sollte den Klausurfall nicht allzu misstrauisch betrachten. Entsprechende Angaben dienen in aller Regel der Klärung, nicht der Verunsicherung („Der Bearbeiter hat in der Regel nicht mit üblen Fallstricken zu rechnen“111). Der Bearbeiter muss sich davor hüten, einen Sachverhaltstext korrigierend zu bearbeiten. Keinesfalls sind Angaben „hinzuzudichten“ oder wegzulassen. Unterstellungen sind ausnahmsweise dann erlaubt, wenn es (nur) um formale Fragen geht (z. B. zu Zuständigkeiten, Formen).112 Macht der der Sachverhalt tatsächlich keine Angaben z. B. über das Erfordernis des Anfertigens eines Durchsuchungs- und Sicherstellungsprotokolls (§ 107 StPO), ist es zulässig davon auszugehen, dass die Verfahrensvorschrift beachtet wurde.113 („Der Sachverhalt macht keine Angaben, ob … ich gehe von einer Beachtung der Vorschrift aus …“).
Unablässig für jede zufriedenstellende Klausur ist das korrekte Verständnis des Sachverhaltes
In Klausursituationen ist es elementar, die Probleme des Falls zu (er)kennen. Nur wem dies in der Kürze der Zeit gelingt, der kann eine vollständige Lösung abliefern und damit gute Bewertungen erreichen.114 Die gute Klausurbearbeitung verlangt Problembewusstsein, das bei der schriftlichen Ausarbeitung in der richtigen Proportionierung der Ausführungen zum Ausdruck kommt. Im Sachverhalt besonders angesprochene Probleme müssen indes stets behandelt werden. Der Schwerpunkt der Fallproblematik muss also erkannt werden. Das Fehlen von Schwerpunkten ist ein gravierender Fehler. Es sollten nur solche Punkte problematisiert werden, die ernstlich zweifelhaft sind. Weniger wichtige und unproblematische Aspekte sind nicht im Gutachtenstil, sondern im Urteilsstil abzuhandeln. Man sollte sich dann der Auffassung anschließen, die einen selbst am meisten überzeugt. Häufig wird dabei auch die sogenannte herrschende Meinung gefunden. Man muss also nicht zu den unzähligen Problemen die hierzu vertretenen Auffassungen auswendig lernen.115
5. Gliederungskonzept (Konzeptpapier)
Eine erfolgreiche juristische Fallbearbeitung hängt im Wesentlichen davon ab, ob es dem Bearbeiter gelingt, in kurzer Zeit den Sachverhalt zu strukturieren und dabei die juristischen Probleme zu erfassen.116 Dabei hilft eine Lösungsskizze den meisten Menschen beim Schreiben. Eine gute Gliederung zeichnet sich dadurch aus, dass die Niederschrift relativ zügig erfolgen kann, weil erneute Blicke in den Sachverhalt und in das Gesetz kaum mehr erforderlich sind. Hat der Bearbeiter eine solche Gliederung vor sich liegen, kann er die Klausur praktisch ohne große Unterbrechung herunterschreiben und die Qualität der Arbeit dadurch heben, dass sie sich durch einen flüssigen Schreibstil auszeichnet. Erstellen Sie also auf separatem Blatt eine Gliederung (Konzeptpapier);117 eine Lösungsskizze ist zwar nicht Bestandteil der Klausur. Die Skizze sollte aber mit abgegeben werden, insbesondere dann, wenn die Niederschrift unvollständig geblieben ist. Unnötige Ausformulierungen einzelner Lösungsgedanken auf einem ,,Schmierblatt“ sollten möglichst vermieden werden, da die zur Verfügung stehende Arbeitszeit bei der Reinschrift benötigt wird.118
Die Zeit, die für Klausuren gegeben wird, ist in der Regel recht knapp bemessen. Die Zeitknappheit gehört zu den besonderen Herausforderungen