Die Kategorie der operationellen Risiken lässt sich in weitere Einzelrisiken aufgliedern (z.B. betriebs- und andere leistungswirtschaftliche Risiken, Rechts- und Reputationsrisiken) und umfasst allgemein betriebliche Risiken im Unterschied zu den Gewinn- und Verlustrisiken, die unmittelbar mit der unternehmerischen Betätigung und den dabei zu treffenden unternehmerischen Entscheidungen zusammenhängen (unternehmerische Risiken). Im Handel mit Finanzinstrumenten gehört das Risiko zu den operationellen Risiken, unerwartete Verluste im Zusammenhang z.B. mit Handlungen des Personals oder von Dritten, aufgrund technischer Fehler oder sonstiger äußerer Einflüsse zu erleiden.
Operationelle Risiken sind in vielen Fällen nicht transaktionsbedingt, weil die Risikofaktoren außerhalb der Transaktion mit einem Finanzinstrument liegen (z.B. das Reputationsrisiko).27 Die Situation ist insofern ähnlich wie bei den bei jedem Marktteilnehmer bestehenden Liquiditätsrisiken. Allerdings gibt es operationelle Risiken, die durch die Transaktion mit einem Finanzinstrument bedingt sein können (z.B. Risiko marktmissbräuchlicher Handelspraktiken des Transaktionspartners).
VI. Risiken bei der Risikobewertung (Modellrisiken)
Eine in der letzten Finanzkrise in den Vordergrund gerückte Risikokategorie sind die so genannten Modellrisiken. Banken nutzen mathematische Modelle zur Prognose künftiger Marktentwicklungen im Rahmen des Risikomanagements. Diese Modelle dienen der Bewertung von Finanzprodukten und im nächsten Schritt der Messung der Risiken des Bankgeschäfts.28 So ist z.B. die Volatilität eines Basis- bzw. Referenzwerts nicht direkt empirisch feststellbar.29 Die benötigten Parameter werden meist wieder mit mathematischen Modellen und Verfahren ermittelt.30 Dies ist jedoch seinerseits mit Risiken behaftet. Zum einen kann eine belastbare Grundlage für die Anwendung eines Modells aufgrund von Datenknappheit fehlen. Zum anderen vereinfachen Modelle die Zusammenhänge der Realität und sind deshalb nicht aussagekräftig, soweit im Anwendungsfall relevante Zusammenhänge nicht abgebildet werden.31 Modellrisiken werden in Art. 3 Abs. 1 Nr. 11 der Richtlinie 2013/36/EU (CRD IV) gesetzlich definiert und in Art. 85 RL 2013/36/EU den operationellen Risiken zugeordnet.32 Dadurch wird Begriff allerdings auf Verluste durch Fehlentscheidungen beschränkt. Genauer sind die Leitlinien der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (European Banking Agency – EBA). Danach ist zwischen einer Unterschätzung der Eigenmittelanforderung im Rahmen aufsichtsrechtlich zugelassener interner Modelle und der fehlerhaften Anwendung anderer Modelle zu trennen.33 Das Modellrisiko lässt sich weiter in Daten-, Schätz-, Spezifikations- und Verhaltens-/Anwendungsrisiken aufgliedern. Aus Art. 3 Nr. 52 RL 2013/36/EU kann insofern abgeleitet werden, dass Daten- und Anwendungsrisiken dem operationellen Risiko zuzurechnen sind, Schätz- und Spezifikationsrisiken dagegen den jeweiligen Risikoarten.34
In Hinblick auf die Erfahrungen in der Finanzkrise ist kritisiert worden, die von den Marktteilnehmern verwendeten Modelle seien aus Gründen der Datenknappheit und wegen zu stark vereinfachenden Annahmen nur bedingt aussagekräftig.35 In der Vergangenheit seien unangemessen einfache Modelle verwendet worden, die etwa in Bezug auf Ausfallrisiken von einer Normalverteilung oder der Annahme ausgingen, dass sich die Zukunft ähnlich wie die jüngere Vergangenheit verhalten würde (= Annahme konstanter Volatilitäten).36 Speziell mit Blick auf die in der Krise offen gelegten Risiken von so genannten Asset Backed Securities37 ist darauf hingewiesen worden, dass die angewendeten Modelle mit Annahmen über die Wahrscheinlichkeitsverteilung von Risiken dazu geneigt hätten, so genannte Randrisiken (tail risks) zu unterschätzen.38 Solche Modelle seien für Vorhersagen zu Krisensituationen ungeeignet. Schließlich würden Ansteckungseffekte im Wege einer individuellen Risikomessung nicht erfasst (z.B. Auswirkung von Netzwerkeffekten).39
Für einen Übergangszeitraum ist es ein Hindernis für die Verbesserung der Modelle, dass die bestehende Regulierung – wie die bisherigen Modelle – von Parametern wie Value at Risk (VaR) ausgeht, die wenig präzise sind und ihrerseits auf problematischen Annahmen über die Aussagekraft vergangener Beobachtungen, die statistische Wölbung und damit über ferne im Gegensatz zu nahen Randrisiken beruhen.40 Der Basler Ausschuss hat empfohlen, insoweit auf andere Parameter (expected shortfall) überzugehen, was in der Regulierung noch umzusetzen ist.41
Dessen ungeachtet sind die von den Marktteilnehmern angewendeten Modelle infolge der Finanzkrise verbessert worden, wodurch sich einige der genannten Probleme vermindert haben. So werden in den moderneren Modellen so genannte Heavy-tailed-Verteilungen zugrunde gelegt, die extremen Ereignissen mehr Wahrscheinlichkeit zuordnen. Es gibt Modelle mit variabler Volatilität (z.B. GARCH-Prozesse) und eine genauere Modellierung von Abhängigkeiten mittels dazu geeigneter mathematischer Funktionen (sog. copulae).42 Allerdings bleiben Herausforderungen. So stehen für Krisenszenarien häufig zu wenige Daten für eine robuste Modellbildung zur Verfügung.43 Die Wahl und der Einsatz von Modellen sind selbst mit Unsicherheit behaftet.44 Außerdem ist die Aussagekraft der Modelle beschränkt. Denn Modelle treffen stets nur Aussagen für modellierte Marktzustände und erlauben darüber hinaus keine Ableitungen.45 Außerdem lassen sich aus ihnen Aussagen nur nach Maßgabe des Prognosezeitraums ableiten.46 Ebenso bleibt, soweit Abhängigkeiten durch Korrelationen abgebildet werden, Raum für problematische Annahmen in Bezug auf Konstanz und Linearität.47 Das Schätzen und Kalibrieren der Parameter von komplizierten Modellen aus empirischen Daten bleibt allgemein mit erheblichen Schwierigkeiten befrachtet.48
Davon abgesehen wird von Expertenseite bemängelt, es werde dem Umstand zu wenig Rechnung getragen, dass der Mensch bei der Entwicklung und Anwendung einen nicht zu unterschätzenden Risikofaktor darstelle. Es herrsche weiter die Annahme vor, dass Krisen stets auf exogenen Schocks und nicht auf dem Verhalten der Marktteilnehmer beruhen.49 Außerdem sei es immer noch selbstverständlich anzunehmen, dass man perfektes Wissen über einem Modell zugrunde liegende Wahrscheinlichkeitsverteilungen habe.50 Modelle würden auf falsche Risikofaktoren aufgebaut und außerhalb liegende Risikofaktoren nur in geringem Umfang berücksichtigt.51 Die Modelle seien ferner zu wenig spezifiziert.52 Die Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolge in der Praxis nur zögerlich und lückenhaft.53 Insbesondere sei es in der Praxis weiterhin üblich, Abhängigkeiten nur in Form von Korrelationen zu erfassen. In Extremsituationen (Tail-Ereignissen) könne aber eine hohe Korrelation mit geringer Tail-Abhängigkeit (und umgekehrt) einhergehen. Die gesamte Abhängigkeit lasse sich anhand der schon angesprochenen Funktionen (copulae) beschreiben. Bei wenigen verfügbaren Daten bestehe die Herausforderung darin, die parametrische Familie der genutzten copula richtig auszuwählen. Dazu müssten die für die Abhängigkeiten relevanten Eigenschaften des Problems sorgfältig untersucht werden.54 Es finden sich unterschiedliche Einschätzungen dazu, in welchem Umfang copulae in der Praxis überhaupt bekannt sind und wie sie eingesetzt werden.55
Der Umfang des Problems der Modellrisiken sowie der praktische Umgang mit den Risiken durch die Marktteilnehmer bleiben somit von Unsicherheit geprägt. Aus der aufsichtsrechtlichen Perspektive erscheint insofern bedeutsam, dass es aufgrund der zuvor genannten Faktoren nicht ausgeschlossen werden kann, dass es je nach Marktteilnehmer zur Anwendung unterschiedlicher Modelle oder zumindest zu unterschiedlichen Modellannahmen kommen kann.56 Die Ergebnisse aus der Anwendung der bisher verwendeten Modelle dürften insbesondere mit Blick auf Krisenszenarien auseinanderlaufen. Dies erscheint hinnehmbar, soweit Modelle im alltäglichen Handel genutzt werden, ist aber problematisch, wenn daraus Ableitungen für Krisenszenarien vorgenommen werden.57
15 Art. 4 Abs. 1 Nr. 141 VO 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung 646/2012, ABl. L 176 vom 27. Juni 2013, S. 1, in der Fassung der Verordnung (EU) 2019/876 zur Änderung der Verordnung 575/2013 in Bezug auf die Verschuldungsquote, die strukturelle Liquiditätsquote, Anforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten, das Gegenparteiausfallrisiko, das Marktrisiko, Risikopositionen gegenüber zentralen Gegenparteien, Risikopositionen gegenüber Organismen für gemeinsame Anlagen, Großkredite, Melde- und Offenlegungspflichten und der Verordnung (EU) Nr. 648/2012, ABl. L 150 vom 7. Juni 2019, S. 1. 16