IV. Entwicklung makroökonomischer Risiken
Abgesehen davon, dass die Risiken, die mit dem Einsatz von Finanzinstrumenten verbunden sind, sich in einzelnen Transaktionsbeziehungen auswirken, können sie auch dazu beitragen, dass sich das gesamtwirtschaftliche Risiko erhöht (sog. makroökonomische Risiken).78 Dann bilden sich im Extremfall systemische Risiken aus (Abschn. 1). Allerdings können im weiteren Verlauf dieser Arbeit auch Risiken, die unterhalb eines systemischen Risikos verbleiben, relevant werden (Abschn. 2).
1. Systemische Risiken
Als systemisches Risiko wird das Risiko einer Störung des Finanzsystems mit möglicherweise schwerwiegenden negativen Auswirkungen auf das Finanzsystem und die Realwirtschaft bezeichnet.79 Das Verständnis systemischer Risiken ist zumindest in seinen Grundzügen einheitlich, im Detail allerdings unterschiedlich. Als Voraussetzung für die Entstehung systemischer Risiken wird in der Regel das Bestehen von „Risikokanälen“ genannt, über die Risiken für andere Marktteilnehmer erhöht werden, sodass es letztlich zu unkontrollierbaren Ansteckungseffekten und damit zu einer Gefährdung der Stabilität des Finanzsystems kommt.80
a) Risikokanäle
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Verträge, die Finanztransaktionen zugrunde liegen, als Risikokanäle wirken können, wenn die vertragliche Risikoverteilung unvollständig ist. Dies kann dazu führen, dass die vertragliche Gefahrtragung oder die wechselseitigen Informationspflichten nicht dem entsprechen, was die Transaktionspartner jeweils erwarten.
In der ökonomischen Literatur ist die Annahme, dass Finanztransaktionen Risikokanäle eröffnen können oder zumindest ein Faktor von mehreren sind, der zur Eröffnung von Risikokanälen beitragen kann, zwar ebenfalls geläufig.81 Die Forschung geht insgesamt jedoch von weiteren Faktoren aus, die sich bei einer Realisierung von Risiken auf Zahlungsflüsse auswirken können, etwa die Verfügbarkeit marktrelevanter Informationen, makroökonomische Rückkopplungen oder sich selbst bestätigende Erwartungen.82 In einigen Veröffentlichungen werden daneben bzw. statt dessen auch einzelne Marktteilnehmer als solche und deren offene Positionen als „Risikokanäle“ bezeichnet.83 Demgegenüber wurde in einer Arbeit ein eher verhaltensbezogenes Begriffsverständnis zugrunde gelegt, in der der Vertrauenseinbruch infolge von Liquiditätsproblemen einer Bank, deren Reaktion (Liquiditätshortung), am Markt stattfindende Notverkäufe und Ausfälle als „Risikokanäle“ bezeichnet wurden.84 Nicht selten werden auch nicht näher eingegrenzte „Verbindungen“ als Risikokanäle bezeichnet.85
Die uneinheitliche Begrifflichkeit dürfte indessen dem hier vertretenen Konzept eines Risikokanals nicht entgegenstehen, sondern vielmehr dem Schwerpunkt der jeweils untersuchten Fragestellungen geschuldet sein. Denn während das Interesse dieser Arbeit auf den Auswirkungen liegt, die speziell der Einsatz von Finanzinstrumenten haben kann, kam es in den angeführten bisherigen Untersuchungen auf eine nähere Eingrenzung der möglichen Risikokanäle nicht an.
b) Risikoerhöhung und Ansteckungseffekte
Die weiteren Merkmale einer Risikoerhöhung und des Auftretens von Ansteckungseffekten lassen sich im Kontext dieser Arbeit ebenfalls vor dem Hintergrund einordnen, dass die vertragliche Risikoverteilung nicht abschließend ist. Zugleich ist allerdings erforderlich, dass die Möglichkeit, die betreffenden Risiken zu beeinflussen, überhaupt in der Sphäre der Transaktionspartner liegt.86 In der ökonomischen Forschung werden die Merkmale der Risikoerhöhung und des Auftretens von Ansteckungseffekten meist gleich behandelt und jedenfalls nicht trennscharf unterschieden.87
Eine Risikoerhöhung dürfte nach den Ausführungen in den vorausgegangenen Abschnitten insbesondere bei solchen Finanztransaktionen in Betracht kommen, die entweder komplexe Leistungsbeziehungen haben oder die gar keinen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben, sondern bei denen die Verschiebung von Risiken unmittelbarer Vertragsgegenstand ist (Derivatetransaktionen). Im Fall der Risikoverschiebung dürfte es insbesondere problematisch sein, wenn durch das übertragene Risiko kein schon vorhandenes, gegenläufiges Risiko ausgeglichen wird, weil die Transaktion in solchen Fällen das Gesamtrisiko im Markt erhöhen kann.88
Die Untersuchung systemgefährdender Ansteckungseffekte und die Ermittlung von deren Auslösern (Marktschocks) sind seit der jüngsten Finanzkrise Gegenstand intensiver Forschung.89 Dasselbe gilt für die spezielle Rolle von Banken und anderen Finanzintermediären als Risikoüberträgern. Die bisherige Forschung hat zur Ermittlung von Faktoren und Methoden geführt, die genutzt werden können, um Ansteckungsverläufe modelltheoretisch nachzubilden.90 Eine grundlegende Annahme ist dabei, dass Ansteckungseffekte vor allem dann auftreten, wenn bei einzelnen Marktteilnehmern große, komplexe oder viele Risiken konzentriert sind oder wenn solche Risiken bei vielen Marktteilnehmern parallel auftreten. Auf Grundlage dieser Annahme dürften Transaktionen mit Finanzinstrumenten mindestens in den folgenden zwei Ausprägungen zur Ausbreitung von Risiken im Sinne einer – unter Umständen systemgefährdenden – Ansteckung beitragen können:
• Zum einen können Finanzinstrumente dazu beitragen, dass Finanzmarktakteure durch ihre Interaktion so verflochten sind, dass sich besonders große, komplexe oder viele Risiken bei der Gesamtheit dieser Finanzmarktakteure konzentrieren, die sich bei einem oder mehreren Finanzakteuren in einer bestandsgefährdenden Weise realisieren können, was zu einer Systemgefährdung führen kann. Die betreffenden Finanzmarktakteure können in dieser Situation nicht mehr aus dem Markt austreten (Too Connected To Fail – TCTF).
• Zum anderen können Finanzinstrumente zu ähnlich gelagerten Anlagen genutzt werden, sodass die betroffenen Finanzmarktakteure sich gleichartigen Risiken aussetzen, auch ohne dass sie untereinander verflochten sind. In diesem Fall kann sich eine bestandsgefährdende Realisierung dieser Risiken bei der Gesamtheit der betroffenen Finanzmarktakteure systemgefährdend auswirken. Die Finanzmarktakteure können hier ebenfalls nicht mehr aus dem Markt austreten (Too Many To Fail – TMTF).
In den beiden genannten Situationen kann es für Anleger, die in Finanzinstrumente investiert hatten, oder für deren Kapitalgeber bei einer Realisierung der betreffenden Risiken erforderlich werden, ihre ursprünglichen Annahmen über das Risikoprofil ihrer jeweiligen Finanztransaktionen zu korrigieren. Die Korrektur wird dann gerade deshalb erforderlich, weil die vertraglichen Verbindungen zwischen den Marktteilnehmern Risikokanäle eröffnet hatten, durch welche die betreffenden Risiken externalisiert worden sind oder über die es zu einer Risikoverkettung gekommen ist. Allerdings ist zu beachten, dass Finanzmarktteilnehmer natürlich auch außerhalb von Transaktionen, in deren Rahmen es zu Risikoexternalisierungen oder -verkettungen kommt, entweder in Bezug auf Risiken verflochten oder gleichartigen Risiken ausgesetzt sein können. So können z.B. auch bewusst vertraglich übernommene Risiken zu einer Risikoerhöhung im Markt und zu Ansteckungseffekten beitragen.
Außerdem ist es denkbar, dass Anleger oder deren Kapitalgeber, wenn sie – etwa aufgrund