Meine Erfahrung ist, dass es oft einen besseren Weg gibt. Indem man durch kleine organisatorische Eingriffe den beteiligten Menschen mehr Bewusstsein über das Problem verschafft. Und wenn sie das dann nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern sogar bereit sind, selbsttätig und spontan Handlungen auszuprobieren, dann kann eine Problemlösung überraschend einfach sein. Und wesentlich preiswerter.
Lassen wir uns nicht immer blenden von der Technik. Das gilt im Übrigen nicht nur für ein verhältnismäßig kleines Problem wie die Essensversorgung in einer Universitätsklinik. Auch ein Großprojekt wie Stuttgart 21 ist ein Beispiel für Technikverliebtheit. Auch da hat die Planer und Verantwortlichen ganz stark die Liebe getrieben. »Ein unterirdischer Bahnhof!« »Unterirdisch!« »Das ist überirdisch.« »Eine Magistrale von Paris nach Budapest!« »Magistrale!« Aber die Beteiligten haben die Komplexität und Dynamik unterschätzt. Und dass es nicht nur um den Bahnhof geht, sondern um Haltungen und Empfindungen von Bürgern. Um Zeitströmungen. Um politische Stimmungen. Die Frage, ob die Menschen in der Region diesen Weg mitgehen und den Bahnhof und die damit verbundenen Umwälzungen in der Stadt mittragen, blieb auf der Strecke. So etwas bekommt man aber auch mit einer noch so gut organisierten Planung nicht heraus.
Und plötzlich waren die Betroffenen enttäuscht von den Menschen: »Die Bürger hätten sich ja früher melden können.« Tendenziell sogar ein bisschen beleidigt: »Die begreifen gar nicht, was für ein Gewinn das für die Stadt wird.«
Menschen einbinden und zu Mitgestaltern des Prozesses machen
Das ist es, was ich meine. Es reicht nicht, über die betroffenen Menschen zu sprechen. Die betroffenen Menschen müssen zu Mitgestaltern des Prozesses gemacht werden. Von Anfang an. Wenn Stadt, Land und Bahn es verstanden hätten, die Menschen in Stuttgart frühzeitiger und viel umfassender jenseits aller Planfeststellungsverfahren einzubeziehen und Fragen zu stellen, die alle betreffen, Fragen wie: »Wie überlebt die Region?« – »Wie wichtig ist der Verkehr für das Überleben der Region?«, dann wären die Stuttgarter vermutlich nicht so vehement auf die Barrikaden gegangen. Man hatte sich gegen die Intelligenz des Menschen entschieden und für die Überlegenheit der Technik. Und das geht selten gut.
Und wieder sind wir im siebten Himmel
Es ist ein Widerstreit, den ich seit Jahren erlebe. Oder besser: ein Widerstreit, an dem ich mich seit Jahren abarbeite. Ich bin ein technisch orientierter Mensch. Aber wenn man sich einen Weg durch komplexe Systeme bahnen will und das Problem systemisch betrachtet, ist auffällig, wie wenig der Mensch als denkendes und handelndes Wesen einbezogen ist. Und wie blind wir oft der Technik folgen.
Auch bei der beschlossenen Energiewende in Deutschland macht uns die Technikverliebtheit einen Strich durch die Rechnung. Wir waren im siebten Himmel, träumten davon, wie der Wind über fantastische Offshore-Windparks in der Nordsee die Energie liefert, die dann quer durch Deutschland transportiert wird, um in Bayern und Baden-Württemberg genutzt zu werden. Bei allem Respekt vor der nachvollziehbaren Entscheidung, langfristig auf erneuerbare Energiequellen zu setzen, so waren wir doch wieder viel zu emotional. Die Technik, unsere geliebte Technik wird es wieder richten.
Jetzt sind wir in der Phase der Ernüchterung nach dem ersten Liebesrausch.
Der Mensch, also der Bundesbürger, hat ein großes Problem damit, dass die Stromtrassen quer durch das Land, im schlimmsten Fall sogar direkt durch seinen Garten führen. Da ist von Liebe keine Spur.
Keine Frage: Die Liebe ist ein wunderbares Gefühl. Aber Technikverliebtheit kann nur am Anfang stehen. Der Blick für das Ganze führt zu einer »reifen« Liebe: zu den Menschen, zu den Organisationen und zur Technik. Damit das ganze System in seiner ganzen Komplexität und Dynamik nicht ins Wanken gerät. Und der erste Schritt ist immer, das »Problemsystem« zu beobachten. Schon allein die Beobachtung eines Systems verändert sein Verhalten.
Mit einer kleinen Störung beginnt die Diagnose
Das ist Regel Nummer eins: Schauen Sie genau hin! Dann finden Sie die Lösung. Die gute Lösung. Die kleine Lösung. In dem erzählten Beispiel war es ja nicht unsere Absicht, durch die Zettel »Das Essen ist 45 Minuten warm« schon die Lösung zu finden. Es war eher unsere Annäherung an das Problem. Allerdings wollten wir damit nicht nur »messen«. Unsere Absicht war es auch, das System ein wenig zu »stören«. Eine kleine Störung eines eingefahrenen Ablaufs schafft das Fundament für eine gute Diagnose des Systems.
Schon allein die Beobachtung eines Systems verändert sein Verhalten.
Und wir vertrauten darauf, Anregungen von den beteiligten Menschen zu erhalten, wie das Problem gelöst werden könnte. Ich halte nichts davon, eine Lösung überzustülpen, also top-down zu erklären, wie es zu laufen hat. Damit entgehen einem nicht nur die wertvollsten Ideen, es funktioniert schlichtweg nicht. Jedes Problem hat seine eigene Komplexität. Um die zu durchschauen, brauchen Sie den Hinweis der mit dem Problem vertrauten beziehungsweise der unter dem Problem leidenden Mitarbeiter. Und dann empfehle ich, zu stören, ein »bisschen im Weg zu stehen«. Unsere »Störgröße« – also der Zettel – initiierte ja nichts weniger als einen Lern- und Innovationsprozess.
Untersuche und beobachte komplexe Systeme stets so, dass die beteiligten Akteure durch die Beobachtung von selbst – eigenwillig und eigenständig – eine Lösung in die Wege leiten können.
Das sollten Sie tun, bevor Sie das teure IT-System einführen. Oder andersherum: Wenn Sie erst das IT-System einführen, dann wird es in der Regel danach noch teurer, weil das IT-System bei einem lebenden System nie ausreichend oder vollständig »verstehen« kann, wie das System wirklich funktioniert.
2.DIE RICHTIGE MUTTER
Wie die Suche nach einem Ersatzteil zeigt, worauf es ankommt: auf Logistik, auf Details – und auf einen klaren Blick im Chaos
Wenn es etwas gibt in meinem Leben, was mir in vielerlei Hinsicht den Weg bereitet hat, ist das sicher auch die Erfahrung beim Militär. Einerseits hatten wir damals alle die Erfahrung der Trümmer in den Knochen, kaum ein junger Mensch meiner Generation, der als Kind oder als Kleinkind nicht Gewalt und existenzielle Ängste der Eltern erlebt hat. Kaum einer, der nicht wusste, was es heißt, in zerstörten Gegenden aufzuwachsen. Und kaum einer, der nicht wusste, was deutsche Soldaten angerichtet hatten. Trotzdem war es sinnvoll und wichtig in der jungen Bundesrepublik, eine Armee aufzubauen, die Bundeswehr. Für mich stand außer Frage, Teil der Bundeswehr zu werden.
Natürlich wollte ich dabei sein. Wir waren vom Ostblock bedroht. Der Kalte Krieg trat in eine immer wieder beängstigende Phase. Und für mich wie für einen Teil meiner Generation war die Bundeswehr eine Aufgabe zur Stärkung der Demokratie. Vielleicht wollten wir diesem Land auch etwas wie Würde zurückgeben. Anders als viele meiner Altersgenossen sah ich im Militär nichts Verwerfliches. Einem antimilitaristischen Kurs konnte ich mich nicht anschließen, auch wenn ich das Spannungsfeld Mensch und Technik, gerade im militärischen Bereich sehr sensibel betrachtete.
Aber: Einfach nur Dagegensein, das schien mir zu wenig. Auf der anderen Seite sah ich in der Technikverliebtheit des Militärs durchaus eine Gefahr. Gern und selbstverständlich setzte ich mich schon damals zwischen die Stühle – ohne mich dabei wirklich unwohl zu fühlen.
Mit der Bundeswehrzeit verbinde ich aber vor allem die frühe Erfahrung, das zu erkennen, worauf es ankommt: auf die kleine