Ich hatte im Internet über das Hexenhaus 666 recherchiert. Es wurden zu später Stunde Live Shows auf der Bühne angeboten. Kein Tanz oder Gesang, wie ich anfangs dachte. Nein! Es handelte sich um erotische Darbietungen. Aber auch hier keine sonst Üblichen, sondern entweder der Akt zwischen Männern oder mit Frauen. Das hier anwesende Publikum war entweder homosexuell oder lesbisch veranlagt. Heterosexuelle Gäste waren nicht direkt erwünscht, aber als zahlende Gäste natürlich nicht ausgeschlossen.
Natürlich war mir der Sinn dieser Bar voll bewusst. Die anwesenden Frauen waren auf der Suche nach weiblicher Begleitung und die Männer suchten einen schwulen Partner.
Klare Vorgaben. Aber nicht für mich!
Denn ich besaß keine sexuelle Ausrichtung. Ich war weder lesbisch noch heterosexuell veranlagt. Ich lebte keinerlei Sexualität aus, ausgenommen meine regelmäßigen Masturbationen. Das lag an meiner Angst, die Nähe oder den Körperkontakt von anderen Menschen zuzulassen. In der Psychologie wird dieses Problem Aphephosmophobie genannt. Davon hatte ich Claire über WhatsApp geschrieben, aber sie bestand trotzdem auf ein Treffen.
Aber warum? Erhoffte sie sich eine Freundschaft, ein sexuelles Abenteuer, eine feste Beziehung mit mir? Oder dachte sie, mich von meiner Phobie therapieren zu können?
Bei Claire handelte es sich um Dr. Claire Bourbon, einer Richterin am Landgericht München I. Sie war schätzungsweise um die dreißig Jahre alt, hatte blauschwarze lange Haare, war sehr attraktiv und selbstbewusst. Ich hatte sie in einem Eiscafé kennengelernt, als sie in der Öffentlichkeit vor meinen Augen masturbierte (siehe Band 5). Seit diesem ersten Kontakt schrieben wir uns über WhatsApp. Wir hatten sogar erotische Fotos ausgetauscht und von unseren sexuellen Phantasien erzählt. Ich mochte die Frau, aber in welcher Art und Weise konnte ich nicht sagen. Aber es fühlte sich gut an, einem anderen Menschen vertrauen zu können. Daher hatte ich dem heutigen Treffen zugestimmt. Ich war an einer Freundschaft mit Claire interessiert.
„Ihr Drink“, meinte der Keeper.
„Danke. Weil Sie trotzdem nett zu mir sind.“
Ich legte einen zwanzig Euro Schein auf die Theke.
„Trotzdem?“, fragte er.
Ich nickte. „Naja, als Mann in dieser Bar werden Sie wohl eher Männer in Ihrem Beuteschema haben. Daher bedankte ich mich, dass Sie zu mir als Frau so nett sind.“
„Ich bin nicht so“, meinte er fies grinsend. „Aber Job ist Job.“
Er packte einen grauen Lappen und polierte die Theke. „Ziemlich schlimme Dinge können Sie sich auf unserer Bühne ansehen. Wir sind ein Geheimtipp. Reiche Unternehmer und verzogenes Jungvieh kommen aus der Stadt hierher. Weiß der Himmel, woher sie es alle erfahren. Richtig wild sind sie auf die Shows.“
Ich klappte die Handtasche wieder zu. „Dient wahrscheinlich zur eigenen Stimulans.“
„Wahrscheinlich“, sagte er und spähte durch das Lokal, ob nirgends ein Glas leer war. „Ich möchte nicht wissen, wer sich hier schon alles gefunden hat. Und nicht nur für eine Nacht.“ Er nickte vielsagend. „Männer und Frauen!“
„Tatsächlich?“
„Ja. Ehrlich.“
„Prost“, sagte ich.
Er nahm den zwanzig Euro Schein und wollte mir herausgeben.
„Nein!“ Ich stoppte das Glas dicht vor meinen Lippen. „Der Rest ist für Sie.“
Dann erst trank ich. Er schielte mich von schräg unten an und leckte sich die Lippen. Der listige Zug in seinen Augenwinkeln sprach Bände.
„Okay“, meinte er. „Sind Sie auf der Suche? Ich könnte Ihnen gute Tipps geben, oder Sie vermitteln.“
„Ach ja?“
„So wie Sie aussehen, kein Problem. Sie werden freie Wahl unter den anwesenden Damen haben.“
„Ich bin verabredet. Aber trotzdem nochmals danke.“
„Gerne, Madame. Melden Sie sich einfach bei mir, wenn sich etwas in Ihrer Abendplanung ändern sollte.“
Er nickte mir nochmals zu, dann wandte er sich ab. Hinter meinem Rücken klirrte die Tür zur Straße, ein Trupp junger Männer, der Kleidung und Gestik vermutlich homosexuell, schwärmte in das Lokal. Stühle scharrten über den Boden, es plapperte und alle lachten wild durcheinander.
Langsam entspannte ich mich. Die Bar schien unterhaltsam zu sein. Das ideale Revier für eine Psychiaterin. Es würde hier kaum einen Anwesenden geben, der keine Therapie nötig hätte. Über diese Vorstellung musste ich innerlich lächeln. Auf der anderen Seite hoffte ich natürlich, dass ich in dieser Umgebung nicht von einer Patientin oder einem Kollegen erkannt wurde. Aber mein Privatleben ging normalerweise keinen etwas an!
Wenig später trat ein athletisch gebauter Südländer – ich vermutete Spanier oder Portugiese – aus dem Durchgang hinter dem Tresen, zog sich seine eng geschnittene Hose zurecht und steuerte an mir vorbei zu den Neuankömmlingen. Ich drehte mich um und sah sie mir an. Warum verhielten sich homosexuelle Männer so eindeutig schwul? Hm.
Und schon wieder quoll ein Schub Menschen in die Bar, diesmal reife Damen in hübschen Kleidern und auffallend geschminkt. Ich spürte die neugierigen und interessierten Blicke der Frauen auf meinem Körper. Ich schien in ihr Beuteschema zu fallen. Oder überlegten sie nur, warum eine hübsche Frau allein an der Bar Theke stand?
Ich blickte auf die Armbanduhr, es war zwanzig Minuten nach einundzwanzig Uhr. Langsam begann mich die Unpünktlichkeit von Claire zu nerven. Eine Viertelstunde war okay, aber diese Grenze hatte sie bereits überschritten. Aber die Bar faszinierte mich, daher beschloss ich, noch etwas zu warten.
Die schnulzige Musik ging unter im Stimmengewirr, das lauschige Beieinander der vorher höchstens flüsternden Männerpärchen zerbrach im erregten Lärm der die Geilheit überspielenden Neugierigen.
Ich winkte dem Barkeeper.
„Ja, Madame?“
„Wann beginnen die Shows auf der Bühne?“
„Um zweiundzwanzig Uhr.“
„Danke. Bringen Sie mir bitte nochmals den gleichen Drink.“
„Ja, Madame.“
Kurz darauf stand mein zweiter Drink vor mir. Ich nippte am Glas und beschloss, etwas langsamer zu trinken, da ich Alkohol nicht gewöhnt war und auch nicht besonders viel vertrug.
Dann spürte ich ihre Präsenz!
Ich brauchte mich nicht umzudrehen, denn ich wusste es auch so. Claire stand direkt hinter mir. Der feine Duft eines exotischen Parfüms stieg mir in die Nase. Dann spürte ich ihre Nase, die sanft über meine Haare strich. Ich hörte, wie sie meinen Geruch einatmete, wie ein Raubtier auf Beutezug. Sie hatte bisher kein Wort besprochen, mich auch nicht bedrängt oder berührt. Ich bekam eine Gänsehaut auf meinen Unterarmen. Unverändert nahm sie meine Witterung auf, ich hörte ihre leisen Atemzüge.
„Du riechst nach Lust und Liebe“, hauchte sie in mein rechtes Ohr.
Ich drehte das Glas zwischen meinen Fingern und lächelte, denn ich fühlte mich geborgen, trotz ihrer Nähe. Normalerweise wäre ich einen Meter auf Abstand gegangen, da meine Phobie jeden Körperkontakt ablehnte. Aber in diesem Moment verspürte ich keinerlei Fluchtgedanken.
„Ich warte bereits seit über zwanzig Minuten, Claire“, sagte ich und versuchte etwas Strenge in meine Stimme zu legen.
„Das solltest du als Kompliment betrachten.“
„Wie bitte?“
„Ich lasse meine Verabredungen normalerweise mindestens dreißig Minuten waren. Das erhöht die Vorfreude und Spannung.“
„Weil es unsere erste Verabredung ist, werde ich dir nochmals die Verspätung vergeben. Eine zweite