Oliver drehte sich wieder um und nahm Dominik in die Arme. Er schmiegte sich dicht an ihn. »Wir müssen uns ganz oft sehen!«, flüsterte er. »Ich hab dich lieb! Schon lange! Ich wusste nur nicht, ob du wirklich auf Jungs stehst!« Er küsste ihn so zärtlich, dass Dominik fast geheult hätte vor Glück.
Seitdem schaute sich Dominik gerne schwule Pornohefte an – aber nur zusammen mit Oliver. Und danach probierten sie immer alles selbst aus. Das taten sie einen ganzen, seligen Sommer lang. Als es zu kalt für ihr Versteck im Wald wurde, entschlossen sich Oliver und Dominik, ihren Eltern zu sagen, dass sie einander liebten. Es gab ein paar Turbulenzen, doch dann gewöhnten sich alle daran, dass Oliver und Dominik ein Paar waren, ein junges Liebespaar wie Millionen andere auch.
* * *
Anglerglück
Ich war im Urlaub in die Berge gefahren, in eine ganz einsame Gegend ohne Touristenrummel. Hatte ich mir selbst verordnet, um endlich mal richtig auszuspannen. Ich bin Filialleiter bei einer großen Lebensmittelkette. Da ist der Dienst eigentlich nie zu Ende. Immer muss man auf dem Sprung sein, immer verfügbar.
Vor zwei Monaten waren ein paar Idioten sogar in meine Filiale nachts eingebrochen und wollten die Registrierkassen und Computer klauen. Sie wurden zum Glück erwischt, aber ich stand natürlich nachts auf der Straße, zusammen mit der Polizei, und musste alles regeln. Stress pur!
Jetzt hatte ich endlich zwei Wochen Urlaub, und keine Macht der Welt hätte mich ans Handy bekommen. Ich wollte bloß Berge, Wälder, Bäche und höchstens ein paar Gämsen sehen. Das Wetter war wundervoll, es gab nur Sonne und als Verzierung am Himmel ein paar winzige, weiße Wattewölkchen.
Am ersten Tag hatte ich bloß ausgeschlafen, gegessen, auf der Terrasse meiner Pension gesessen und die Zeitungen gelesen, die die Pensionswirtin freundlicherweise für ihre Gäste ausgelegt hatte. Nicht mal zum Fernsehen hatte ich Lust. Am zweiten Tag raffte ich mich auf, mir ein bisschen die Umgebung anzusehen.
Die Pension lag idyllisch am Ende eines schmalen Gebirgstals, rund einen Kilometer weit weg vom nächsten Dorf. Ich begann mit der Erkundung, indem ich am Bach entlang aufwärts lief. Tief atmete ich die frische Bergluft ein. Die Tannen dufteten, und von weiter her, vom Dorf, wehte der herrliche Geruch frisch gemähter Wiesen.
Der Bach rauschte mir in einem erstaunlichen Tempo entgegen. Das Wasser sprang über rund geschliffene Steine, stürzte an kleinen Stromschnellen hinab und sammelte sich dann wieder in felsigen Becken. Eine Bachstelze huschte mit wippendem Schwanz über die Kiesel. Blau schimmernde Libellen jagten über der Wasserfläche hin und her. Das Sonnenlicht glitzerte in tausend Funken auf dem Wasser.
Ich ließ mich gefangen nehmen von der herrlichen Natur, blieb stehen, schaute, ging wieder ein Stück, bis sich ein neues Gebirgspanorama auftat, und verweilte wieder. Urlaub total!
Kein Mensch begegnete mir. Ich begann, über mein Leben nachzudenken. Ich war jetzt fünfunddreißig, verdiente gut, hatte eine schöne Wohnung und eigentlich keine Sorgen. Ich sah einigermaßen gut aus und hielt mich im Sportstudio regelmäßig fit. Ab und zu ein Date mit einem leckeren Kerl vervollständigte mein Glück. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass mir etwas fehlte. Ich wusste eigentlich nicht, was es war.
Meine Gedanken wurden unterbrochen. Ich hörte ein merkwürdiges Sirren in der Luft. Zuerst dachte ich, dass irgendein grässliches, stechwütiges Insekt im Anflug sei. Dann entdeckte ich die Ursache: Eine Schnur flog durch die Luft und landete auf dem Wasser. Eine Schnur?
Ich ging ein paar Schritte weiter. Der Bach machte an ein paar größeren Felsen eine kleine Biegung. Hinter den Felsen stand ein Mann mit einer Angelrute. Ich blieb stehen und schaute ihm zu.
Der Typ war riesig, bestimmt einen Kopf größer als ich, und ich bin mehr als eins achtzig groß. Er trug über einem Pullover eine olivgrüne Anglerweste mit lauter kleinen Taschen und dazu eine passend grüne, taillenhohe Wathose aus Gummi oder ähnlichem Material. Er stand bis zu den Oberschenkeln im Gebirgsbach und hantierte mit seiner Angelrute.
Die meisten Leute finden Angelsport langweilig. Die Angler finden ihn wahnsinnig spannend. Ich gehöre zur ersten Gruppe. Es wollte mir einfach nicht in den Kopf, wie man seine kostbare Freizeit damit verbringen konnte, still an einem See oder Fluss zu sitzen und darauf zu warten, dass so ein dussliger Fisch anbiss.
Dieser Mann saß allerdings nicht still, sondern schwang pausenlos die Rute. Sein rechter Arm kreiste aus dem Schultergelenk, damit die Angelschnur immer wieder aufs Wasser hinausflog, flach einsank und wieder zurückgezogen wurde. Mit der anderen Hand gab er Schnur zu und zog sie wieder ein.
Es dämmerte mir, dass er Fliegenfischen betrieb. Dabei fängt man mit künstlichen Insekten aus Federn und anderen leichten Materialien, die mit einem Haken versehen sind, zum Beispiel Lachse und Forellen. Im Leben würde ich so etwas nicht tun, aber dieser Typ war mit einem Eifer dabei, der mich erstaunte. Dabei sah er wirklich gut aus. Er war etwa in meinem Alter, hatte blondes, dichtes Haar und – soweit ich es unter den Anglerklamotten erkennen konnte – eine erstklassige Figur.
Ein bisschen neugierig war ich schon, warum so ein Klassekerl hier im Bach herumstand und angelte. Langsam schlenderte ich näher heran, obwohl ich wusste, dass Angler nicht gerne gestört werden. Ich stellte mich ans Ufer, in sicherer Entfernung vom quirlenden Wasser, und sah ihm zu.
Nach einer ganzen Weile drehte er sich zu mir um.
»Hallo!«, rief ich ihm durch das Rauschen des Baches zu.
»Hi!«, rief er lässig zurück und warf die Angelschnur erneut aus.
Irgendetwas musste ich sagen, wenn ich mit ihm ins Gespräch kommen wollte. »Was fängt man denn hier?«
»Forellen!«, erwiderte er.
Ich lugte verstohlen in den Fischkorb, der am Ufer stand. Es war Picknick-Proviant darin, aber kein einziger Fisch.
»Und hast du schon viele gefangen?« Die Frage war vielleicht etwas peinlich für ihn, aber nun war sie schon heraus.
Er lachte leicht. »Noch keine heute, und gestern auch nicht.«
Na, wenigstens war er ehrlich.
»Und wenn du eine fängst, was machst du dann damit?«
»Ich lasse sie wieder frei.«
Nun war ich doch ziemlich erstaunt. Ein Angler, der seine Beute wieder aussetzte? Merkwürdig.
»Warum angelst du dann?«, fragte ich neugierig.
»Um zu entspannen.«
Er zog die Angelschnur ein, nahm die bunte Kunstfliege ab und steckte sie in eine der vielen Taschen an der Weste. Langsam kam er zum Ufer gewatet. Die wasserdichte Hose endete in stabilen Gummistiefeln. Er legte die Angelrute vorsichtig auf den Felsen, löste den soliden, schwarzen Gürtel und streifte die tropfnasse Wathose ab. Darunter trug er leichte Jeans. Er kam auf mich zu und streckte mir die Hand hin.
»Stefan!«, stellte er sich vor. »Hast du auch Interesse am Angeln?«
»Ehrlich gesagt, nein!«, gab ich zu und nannte ihm meinen Namen. »Ich war nur neugierig. Dieses Fliegenfischen habe ich noch nie in Wirklichkeit gesehen, nur im Film.«
Er ließ sich nieder, packte aus dem Korb ein paar Hähnchenschenkel sowie kräftiges Landbrot aus und öffnete zwei Bierdosen. Mit einer Handbewegung lud er mich ein, sich neben ihn zu setzen.
»Lass es dir schmecken. Ich freue mich, dass ich Gesellschaft habe.« Er biss in eine Hähnchenkeule. »Weißt du, ich bin Abteilungsleiter in einem großen Industriebetrieb, und ich brauche einfach im Urlaub etwas, das mich vom Stress ablenkt. Und dieses Jahr habe ich mir das mit dem Fliegenfischen ausgedacht. Aber so richtig gelingt es mir nicht.« Er lachte.
Sympathischer Typ, dachte ich. »Wie lange machst du das schon?«
»Ach, erst seit drei Tagen.«