Das Segnen mit dem Heiligenbilde war nicht sehr wirkungsvoll. Stepan Arkadjewitsch stellte sich in komisch feierlicher Haltung neben seiner Frau auf, nahm das Heiligenbild, hieß Ljewin sich bis zur Erde verneigen, segnete ihn mit einem gutmütigen, etwas spöttischen Lächeln und küßte ihn dreimal. Das gleiche tat dann auch Darja Alexandrowna und fuhr darauf schleunigst ab, nachdem sie vorher den für die Wagen festgesetzten Fahrplan schnell noch einmal wieder umgestoßen hatte.
»Nun, dann wollen wir es so machen: bringe du ihn in unserm Wagen hin, und Sergei Iwanowitsch ist wohl so gut, zum Hochzeitsmarschall zu fahren und uns nachher den Wagen zu schicken.«
»Schön, sehr gern.«
»Ich fahre sofort mit ihm hin. Ist dein Gepäck schon weggeschafft?« fragte Stepan Arkadjewitsch.
»Jawohl, jawohl«, antwortete Ljewin und befahl Kusma, ihm beim Ankleiden behilflich zu sein.
3
Eine große Volksmenge, namentlich aus Frauen bestehend, umgab das Tor der für die Trauungsfeier hell erleuchteten Kirche. Die nicht weit genug nach der Mitte hatten vordringen können, drängten sich um die Fenster und blickten, einander stoßend und sich zankend, durch deren Gitter.
Mehr als zwanzig Wagen bildeten bereits auf der Straße nach Anweisung der Schutzleute eine lange Reihe. Ein Polizeioffizier stand, ohne Rücksicht auf die starke Kälte, in glänzender Uniform ohne Mantel am Eingang. Unaufhörlich kamen noch mehr Wagen vorgefahren, und blumengeschmückte Damen, die Schleppen mit der Hand tragend, und Herren, die Uniformmützen oder die schwarzen Hüte abnehmend, traten in die Kirche ein. In der Kirche waren bereits beide Kronleuchter und sämtliche Kerzen vor den Heiligenbildern angezündet. Die goldenen Heiligenscheine auf dem roten Untergrunde des Ikonostas, das Silber der Kronleuchter und Armleuchter und die Fliesen des Fußbodens und die Teppiche und die Kirchenfahnen auf den Chorestraden und die Altarstufen und die alten, schwarz gewordenen Bücher und die Leibröcke und die Chorhemden – alles war von Licht übergossen. Auf der rechten Seite der Kirche, in dem bunten Gewühl von Fräcken und weißen Halsbinden, von Uniformen und samtenen und seidenen Damenkleidern, Haaren, Blumen, entblößten Schultern und Armen und hoch hinaufreichenden Handschuhen, wurden mit gedämpfter Stimme lebhafte Gespräche geführt, die in der hohen Kuppel einen seltsamen Widerhall erweckten. Jedesmal, wenn der kreischende Ton der sich öffnenden Kirchtür sich vernehmen ließ, verstummte das Gespräch in dem dichten Schwarm, und alle schauten sich um in der Erwartung, das eintretende Brautpaar zu erblicken. Aber die Tür hatte sich schon mehr als zehnmal geöffnet, und jedesmal war es entweder ein verspäteter Gast, Herr oder Dame, gewesen, der sich dann auf der rechten Seite zu der Gruppe der Eingeladenen gesellte, oder eine Zuschauerin, die den Polizeioffizier zu täuschen oder auch zu erweichen gewußt hatte und sich nun dem links stehenden Haufen der fremden Teilnehmer anschloß. Die Hochzeitsgesellschaft sowohl wie die Fremden hatten bereits alle Stufen der Erwartung durchgemacht.
Anfänglich hatte man gemeint, der Bräutigam und die Braut müßten ja jeden Augenblick kommen, und hatte dieser Verspätung weiter keine Bedeutung beigemessen. Darauf hatte man angefangen, immer häufiger nach der Tür hinzusehen und darüber zu reden, ob auch nicht etwas vorgefallen sei. Dann aber wurde diese Verspätung allmählich peinlich, und die Verwandten und Gäste suchten sich den Anschein zu geben, als dächten sie gar nicht an den Bräutigam und seien ganz mit ihren Gesprächen beschäftigt.
Der Protodiakon, wie um daran zu erinnern, daß seine Zeit kostbar sei, hustete ungeduldig, so daß die Fensterscheiben zitterten. Man hörte, wie auf der Chorestrade die gelangweilten Sänger bald ihre Stimme probierten, bald sich schneuzten. Der Geistliche schickte unaufhörlich bald den Küster, bald den Diakon hinaus, um nachzusehen, ob der Bräutigam noch nicht gekommen sei, und trat selbst in seinem lila Meßgewand mit dem gestickten Gürtel immer häufiger in Erwartung des Bräutigams an die Seitenpforte. Endlich sagte eine der Damen nach einem Blick auf die Uhr: »Das ist aber wirklich seltsam!« und alle Gäste gerieten in Unruhe und begannen ihrer Verwunderung und ihrer Unzufriedenheit lauten Ausdruck zu geben. Einer der Brautführer fuhr hin, um nachzuforschen, was denn vorgefallen sei. Unterdessen stand Kitty, schon längst völlig fertig, in weißem Kleide, langem Schleier und einem Kranze aus Orangenblüten, mit ihrer Schwester, Frau Lwowa, die als Brautmutter walten sollte, in dem Saale des Schtscherbazkischen Hauses, blickte durchs Fenster und wartete schon seit mehr als einer halben Stunde vergeblich darauf, daß ihr Brautführer ihr die Nach richt von der Ankunft des Bräutigams in der Kirche bringe.
Inzwischen ging Ljewin in Beinkleidern, aber ohne Weste und Frack, in seinem Hotelzimmer auf und ab, steckte alle Augenblicke den Kopf aus der Tür und blickte den Flur entlang. Aber von dem, den er erwartete, war auf dem Vorsaal nichts zu sehen, und verzweifelt mit den Armen in der Luft umherfahrend, wandte sich Ljewin zu Stepan Arkadjewitsch, der mit Seelenruhe rauchte.
»Ob sich wohl jemals ein Mensch in einer so entsetzlichen, albernen Lage befunden hat!« sagte er.
»Ja, es ist eine dumme Geschichte!« stimmte ihm Stepan Arkadjewitsch bei und lächelte ihn besänftigend an. »Aber beruhige dich; er wird es ja den Augenblick bringen.«
»Jawohl, er wird!« versetzte Ljewin, seine Wut kaum zurückhaltend. »Und diese albernen ausgeschnittenen Westen! Es ist unmöglich!« sagte er, indem er das zerknitterte Vorderteil seines Hemdes betrachtete. »Und wenn nun das Gepäck schon nach der Bahn gebracht ist, was dann?« rief er in heller Verzweiflung.
»Dann ziehst du das von mir an.«
»Das hätte ich schon längst tun sollen.«
»Habe dich doch nicht so komisch! ... Warte nur, es zieht sich alles zurecht.«
Die Sache war nämlich folgende: Als Ljewin sich zur Trauung anziehen wollte, hatte ihm sein alter Diener Kusma Frack, Weste, und was sonst nötig war, hereingebracht.
»Aber wo hast du das Hemd?« hatte Ljewin gerufen.
»Das Hemd haben Sie ja an«, hatte Kusma mit ruhigem Lächeln erwidert.
Ein reines Hemd zurückzulassen, daran hatte Kusma gar nicht gedacht, und als ihm befohlen worden war, alles einzupacken und zu Schtscherbazkis zu schaffen, von wo das junge Paar am Abend dieses Tages abreisen sollte, da hatte er es auch so gemacht und alles mit Ausnahme des Frackanzuges eingepackt.
Aber das Hemd, das Ljewin am Morgen angezogen hatte, war schon zerknittert, und Ljewin konnte es zu der modisch ausgeschnittenen Weste unmöglich tragen. Zu Schtscherbazkis zu schicken, war ihm zu weit erschienen. Er hatte nach einem Geschäft geschickt, um ein Hemd kaufen zu lassen. Der Kellner war unverrichteter Sache zurückgekommen: es sei alles geschlossen, wegen des Sonntags. Dann war in Stepan Arkadjewitschs Wohnung geschickt worden; ein Hemd war gebracht worden; aber es war viel zu weit und zu kurz. Schließlich hatte er doch zu Schtscherbazkis geschickt, um die Sachen wieder auspacken zu lassen. In der Kirche wartete man auf den Bräutigam; aber der lief, wie ein in einen Käfig eingesperrtes wildes Tier, im Zimmer hin und her, blickte alle Augenblicke auf den Flur hinaus und fragte sich in Erinnerung an die Torheiten, die er heute zu Kitty gesagt hatte, voll Entsetzen und Verzweiflung, was sie jetzt wohl von ihm denken möge.
Endlich stürzte Kusma, der dies alles verschuldet hatte, keuchend und atemlos mit dem Hemd ins Zimmer.
»Ich habe es gerade noch abgefaßt. Der Spediteur war schon dabei, die Sachen aufzuladen«, berichtete Kusma.
Drei Minuten darauf lief Ljewin, ohne nach der Uhr zu sehen, um seine Herzenswunde nicht noch mehr aufzureißen, den Vorsaal entlang.
»Damit kannst du nichts mehr gutmachen«, sagte lächelnd Stepan Arkadjewitsch, der ihm rasch, aber ohne übermäßige Hast folgte. »Es zieht sich alles zurecht, sage ich dir; es zieht sich alles zurecht.«
4
»Da sind sie! ... Das ist er! ... Welcher? ... Der jüngere doch wohl, nicht? ... Und sie ist mehr tot als lebendig, das liebe Kind!« So schwirrten in dem Zuschauerhaufen die Worte