Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leo Tolstoi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188644
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Arkadjewitsch, der ihn energisch anrief und dringend zum Anhalten aufforderte. Mit der einen Hand hielt er das Fenster einer an der Ecke haltenden Kutsche angefaßt, aus der ein Frauenkopf unter einem Samthute und zwei Kinderköpfchen herausschauten, und mit der andern Hand winkte er seinem Schwager lächelnd zu. Auch die Dame lächelte herzlich und freundlich und winkte gleichfalls mit der Hand nach Alexei Alexandrowitsch hin. Es war Dolly mit ihren Kindern.

      Alexei Alexandrowitsch hatte in Moskau mit niemandem in Berührung kommen wollen, und am allerwenigsten mit dem Bruder seiner Frau. Er lüftete den Hut und wollte weiterfahren; aber Stepan Arkadjewitsch befahl dem Kutscher seines Schwagers zu halten und lief durch den Schnee hindurch zu diesem hin.

      »Na, schäme dich was, daß du mich gar nichts hast wissen lassen! Bist du schon lange hier? Ich war gestern bei Dussot und las auf dem Fremdenbrett ›Karenin‹; aber es kam mir gar nicht in den Sinn, daß du das wärest!« sagt Stepan Arkadjewitsch, den Kopf durch das Wagenfenster hereinsteckend. »Sonst hätte ich dich aufgesucht. Wie freue ich mich, dich wiederzusehen!« Er schlug mit einem Fuße gegen den andern, um den Schnee von ihnen abzuklopfen. »Schäme dich, daß du uns von deinem Hiersein nichts mitgeteilt hast!« sagte er noch einmal.

      »Ich hatte keine Zeit; ich bin sehr beschäftigt«, erwiderte Alexei Alexandrowitsch in trockenem Tone.

      »Komm doch mit hin zu meiner Frau; sie wünscht so sehr, dich zu sprechen.«

      Alexei Alexandrowitsch wickelte das Reisetuch ab, in das er seine gegen Kälte empfindlichen Beine eingewickelt hatte, stieg aus dem Wagen und arbeitete sich durch den tiefen Schnee zu Darja Alexandrowna hindurch.

      »Aber was stellt das vor, Alexei Alexandrowitsch? Warum lassen Sie uns so links liegen?« fragte Dolly lächelnd.

      »Ich bin sehr beschäftigt gewesen. Es freut mich sehr, Sie wiederzusehen«, sagte er in einem Tone, aus dem man deutlich heraushörte, wie verdrießlich er über diese Begegnung war. »Wie ist Ihr Befinden?«

      »Nun, und wie geht es meiner lieben Anna?«

      Alexei Alexandrowitsch murmelte irgend etwas und wollte sich wieder entfernen. Aber Stepan Arkadjewitsch hielt ihn zurück.

      »Hör mal, was wir morgen tun wollen! Dolly, lade ihn doch zum Mittagessen ein! Wir laden dann noch Kosnüschew und Peszow dazu, um ihm die Spitzen unserer Moskauer Intelligenz vorzustellen.«

      »Also bitte, kommen Sie ja!« sagte Dolly. »Wir werden Sie um fünf Uhr erwarten oder, wenn Sie wollen, um sechs Uhr. Nun, wie geht es meiner lieben Anna? Wie lange ...«

      »Sie ist gesund«, brummte Alexei Alexandrowitsch mit mürrischem Gesichte. »Es ist mir eine große Freude gewesen!« Damit ging er wieder zu seinem Wagen hin.

      »Sie kommen also doch?« rief Dolly ihm nach.

      Alexei Alexandrowitsch antwortete etwas, was Dolly vor dem Lärm der vorbeifahrenden Wagen nicht verstehen konnte.

      »Ich komme morgen zu dir!« rief ihm Stepan Arkadjewitsch noch zu.

      Alexei Alexandrowitsch setzte sich in seinen Wagen und lehnte sich so tief in eine Ecke, daß er niemand sah und von niemand gesehen wurde.

      »Ein wunderlicher Geselle!« sagte Stepan Arkadjewitsch zu seiner Frau; dann sah er nach der Uhr, machte vor seinem Gesichte mit der Hand eine Bewegung, die eine Liebkosung für seine Frau und für die Kinder bedeutete, und schritt mit jugendlichem Gange auf dem Fußweg dahin.

      »Stiwa! Stiwa!« rief ihm Dolly errötend nach.

      Er wendete sich um.

      »Ich muß ja für Grigori und Tanja Mäntel kaufen. Gib mir doch Geld!«

      »Ach, das macht nichts; sage nur, ich würde es bezahlen!« Er nickte noch einem vorbeifahrenden Bekannten vergnügt zu und war verschwunden.

      7

      Der folgende Tag war ein Sonntag. Stepan Arkadjewitsch fuhr nach dem Großen Theater zur Ballettprobe, überreichte dem Fräulein Mascha Tschibisowa, einer hübschen, dank seiner Fürsprache soeben angestellten Tänzerin, den Korallenschmuck, den er ihr am Abend vorher versprochen hatte, und machte es möglich, hinter den Kulissen in der Dunkelheit, die bei Tage in Theatern zu herrschen pflegt, ihr hübsches, vor Freude über das Geschenk strahlendes Gesichtchen zu küssen. Abgesehen von der Einhändigung des Korallenschmucks wollte er auch noch mit ihr ein Stelldichein nach dem Ballett verabreden. Er teilte ihr mit, es sei ihm nicht möglich, zum Anfange des Balletts da zu sein, versprach aber, zum letzten Akte zu kommen und sie zum Abendessen mitzunehmen. Vom Theater fuhr Stepan Arkadjewitsch nach der Markthalle, suchte dort persönlich die Fische und den Spargel für das Mittagessen aus und war schon um zwölf Uhr bei Dussot, wo er drei Herren besuchen wollte, die glücklicherweise alle in diesem selben Hotel wohnten: erstens Ljewin, der unlängst aus dem Auslande zurückgekehrt war und sich nun ein Weilchen in Moskau aufhielt, zweitens seinen neuen Vorgesetzten, der eben erst dieses höhere Amt angetreten hatte und nun in Moskau eine Revision vornahm, und drittens seinen Schwager Karenin, um ihn unter allen Umständen zum Mittagessen mitzunehmen.

      Stepan Arkadjewitsch war überhaupt ein Freund vom Essen; ganz besonderes Vergnügen aber machte es ihm, ein Essen zu geben, klein, aber fein, sowohl was die Speisen und Getränke wie auch was die Auswahl der Gäste anlangte. Das Programm des heutigen Mahles gefiel ihm außerordentlich: es sollte Barsche geben, die er lebend gekauft hatte, Spargel und, als etwas Besonderes, ein wundervolles, aber ganz einfaches Roastbeef; dazu die zugehörigen Weine; dies also würden die Speisen und Getränke sein. An Gästen sollten da sein Kitty und Ljewin und, damit das nicht zu auffällig aussähe, noch eine Cousine und der junge Schtscherbazki, und als Überraschung unter den Gästen Sergei Kosnüschew und Alexei Karenin. Sergei Kosnüschew war Moskauer und Philosoph, Alexei Karenin Petersburger und Praktiker. Dazu wollte er dann, außer seinem Schwiegervater und Herrn Turowzün, noch den bekannten sonderbaren Schwärmer Peszow einladen, einen Fortschrittler, eifrigen Redner, Musiker, Historiker und überaus liebenswürdigen fünfzigjährigen Jüngling; dieser sollte gleichsam die Sauce oder Garnierung zu Kosnüschew und Karenin vorstellen. Diese beiden beabsichtigte Stepan Arkadjewitsch ein bißchen aufzureizen und aneinanderzuhetzen.

      Die zweite Rate des Kaufpreises für den Wald hatte er von dem Händler erhalten und noch nicht verausgabt; Dolly war in der letzten Zeit sehr lieb und gut gewesen, und der Gedanke an dieses Mahl machte Stepan Arkadjewitsch in jeder Hinsicht viel Freude. So befand er sich denn in der fröhlichsten Stimmung. Zwei Umstände waren allerdings einigermaßen unerfreulich; aber diese beiden Umstände gingen unter in dem Meere gutmütiger Fröhlichkeit, das in Stepan Arkadjewitschs Seele wogte und wallte. Die beiden Umstände waren folgende. Erstens war ihm tags zuvor, als er Alexei Alexandrowitsch auf der Straße getroffen hatte, dessen kühles, trockenes Benehmen ihm gegenüber aufgefallen; und wenn er diesen Gesichtsausdruck Alexei Alexandrowitschs sowie den Umstand, daß dieser ihn nicht besucht und ihm von seiner Anwesenheit keine Mitteilung gemacht hatte, mit den Gerüchten zusammenhielt, die ihm über Anna und Wronski zu Ohren gekommen waren, so mußte er auf die Vermutung kommen, daß dort zwischen Mann und Frau nicht alles in Ordnung sei.

      Das war die eine Unannehmlichkeit. Die andere kleine Unannehmlichkeit war die, daß der neue Vorgesetzte, wie alle neuen Vorgesetzten, bereits in dem Rufe eines schrecklichen Menschen stand, der früh um sechs aufstehe, wie ein Pferd arbeite und ein gleiches Arbeitsquantum auch von seinen Untergebenen verlange. Außerdem hieß es noch von diesem Vorgesetzten, er sei im Umgange ein wahrer Bär, und den Gerüchten zufolge gehörte er einer Richtung an, die der völlig entgegengesetzt war, die der frühere Vorgesetzte und bisher Stepan Arkadjewitsch selbst angehört hatten. Gestern hatte sich Stepan Arkadjewitsch ihm dienstlich in Uniform vorgestellt, und der neue Vorgesetzte war sehr liebenswürdig gewesen und hatte sich mit ihm wie mit einem guten Bekannten unterhalten; daher hielt es Stepan Arkadjewitsch für seine Pflicht, ihm nun einen Besuch im Oberrock zu machen. Der Gedanke, daß der neue Vorgesetzte ihn vielleicht unfreundlich empfangen werde, war der zweite unangenehme Umstand. Aber Stepan Arkadjewitsch hatte das unwillkürliche Gefühl, das werde sich alles schon ganz vortrefflich »einrenken«. ›Wir sind