Stars and Stripes hat, wenn man Rollysons Angabe in ´Marilyn Monroe Day by Day´ Glauben schenken kann, immerhin eines der Bilder verwendet und angeblich ebenfalls am 2. August 1945 auf dem Cover platziert. Allerdings findet sich im Internet weder ein textlicher noch ein bildlicher Beleg für eine solche Publikation. Dass Conover Norma Jeane am 26. Juni 1945 für Yank fotografiert, wird leider auch von Rollyson kolportiert.
Wieso Yank sich quergestellt hat, ist unklar. Möglicherweise lag es an den obengenannten technischen Unstimmigkeiten auf Conovers Fotos (Propeller falsch herum gehalten, Schraubenzieher an sinnloser Stelle angesetzt).
Falsch ist überdies, aus schon mehrfach genannten Gründen, Conovers Datierung der ersten Begegnung auf den 26. Juni 1945 (in ´Finding Marilyn´), seinen 26. Geburtstag. Die seltsame Übereinstimmung von Geburtstag und falschdatierter erster Begegnung kann kaum ein Zufall sein, ist in der Marilyn-Literatur bisher aber nicht bemerkt worden, vielleicht aus Unkenntnis von Conovers Geburtstag. Dass er diese Koinzidenz in täuschender Absicht produziert hat, ist zwar kaum vorstellbar; andererseits muss ihm bei der Niederschrift aber bewusst gewesen sein, dass dieser Tag auf seinen Geburtstag fällt, was ihm wiederum erst recht an dem Tag selbst hätte bewusst gewesen sein müssen.
Wie dem auch sei — er begegnet Norma Jeane bereits sechs oder sieben Monate vorher, nämlich im Herbst 1944.
Von den Mängeln in Conovers Darstellung unberührt ist natürlich sein Verdienst um die individuelle Entdeckung und Förderung von Norma Jeane. Mit hoher Wahrscheinkeit wäre früher oder später ein anderer Fotograf auf sie aufmerksam geworden, aber das ist Spekulation. Als 1946 der Pinup-Fotograf Bruno Bernard, um ein Beispiel zu nennen, in der Nähe seines Fotostudios auf dem Sunset Strip auf sie aufmerksam wird und sie anspricht, ist sie bereits ein geschultes Model mit entsprechendem Styling und Auftreten, was indirekt Conover zu verdanken ist, der ihr mit Rat und Tat diese Richtung weist. "Meine eigene Zukunft mit Norma Jeane war in Gefahr", sagt Dougherty später, "als dieser Armeefotograf seinen Auslöser betätigte." Conover hat ihr Talent mit sicherem Auge erkannt und ihr geraten, zugunsten einer Modelkarriere den schlecht bezahlten Fabrikjob aufzugeben, um bei ihm und anderen Fotografen als Model zu arbeiten. Er bietet ihr 5 Dollar pro Stunde, was eine deutliche Verbesserung ist gegenüber den 20 Dollar pro Woche bei Radioplane.
Die Fotos am Montageband hat Conover in Schwarzweiß und mit einer 4x5 Rollfilm Kamera gemacht, sie werden nachträglich koloriert und sind heute in dieser Version bekannt. Für die Außenaufnahmen verwendet er eine 35mm Kamera mit einem Kodachrome Film. Er ist begeistert von Norma Jeanes Girl-next-door-Charme und ihrer natürlichen Begabung für das Posieren, während sie es genießt, im Fokus einer Kameralinse und der Aufmerksamkeit eines Fotografen zu stehen. Nach dem Shooting äußert er den Wunsch, sie in ihrer Freizeit gegen Bezahlung noch öfters zu fotografieren, falls die Bilder so gut ankämen, wie er vermutet. Also gibt sie ihm ihre Telefonnummer.
Den Schwarzweißfilm kann Conover in seinem eigenen Studio entwickeln, den farbigen Kodakfilm überlässt er für diesen Zweck einem Labor von Eastman Kodak. Der für die Entwicklung und technische Prüfung des Films zuständige Inspektor fragt Conover überrascht nach dem ungewöhnlichen Model aus, denn sie wirkt so vital und glücklich, als wäre die Kameralinse ihr Liebhaber. Conover freut sich, dass ein Fotoprofi seine Einschätzung von Norma Jeanes Potential bestätigt. Sie wiederum ist hocherfreut, als Conover in die Fabrik zurückkehrt und ihr mitteilt, wie gut die Aufnahmen ankommen.
Natürlich demonstriert Norma Jeane nicht erst auf Conovers Bildern ihre exzellente Fotogenität. Auch frühere Aufnahmen durch Freunde und Familienangehörige lassen ahnen, was aus ihr einmal werden wird, ganz besonders zwei fast gleiche Fotos von 1941, von denen eines sie im Stil einer Schönheitsheitskönigin zeigt. Ihre Fotogenität muss ihr schon längst klar gewesen sein, als Conover sie in den Fokus nimmt. Mailer schreibt:
"Norma Jean (sic) hat den ersten Brennpunkt ihres Lebens gefunden ausgerechnet in der Linse einer Kamera. Sie muss noch viel lernen, was das Posieren vor einer Kamera betrifft; das Posieren selbst braucht sie freilich nicht erst zu lernen. Sie hat bereits erfahren, was hundert kleine Bewegungen ihres Körpers bei Arbeitern, Soldaten, Matrosen, Fernfahrern und Männern von der Kriegsmarine auslösen."
Conovers Bericht über ein angebliches Liebesverhältnis zu Norma Jeane, das sich aus ihrem weiteren Kontakt ergeben haben soll, ist allerdings zweifelhaft. Sie selbst hat es zu keiner Zeit bestätigt. Unglaubwürdig wirkt seine Schilderung der angeblichen Beziehung vor allem wegen des kitschigen Gehalts mancher Dialoge, die Marilyn übertrieben lüstern präsentieren. Eine Kostprobe bietet diese Szene eines Wiedersehens in einer Hotelbar in New York, 1962:
(Marilyn) "Glaub mir, ich versuche nicht jeden Mann zu verführen, dem ich begegne. Ich möchte nur Sex mit Männern, an denen mir etwas liegt. Das hat mehr Bedeutung und ist nicht nur animalisch. Man will den andern dann wirklich befriedigen. Abgesehen davon ist es für mich die schönste Art, Schlaf zu finden. Meinst du nicht?"
(Conover) Zögerlich stimmte ich zu.
"Dann komm", sagte sie vergnügt und sprang auf ihre Füße. "Gehen wir in meine Wohnung und haben Spaß."
"Warte", sagte ich. "Setz dich. Ich habe noch nicht ausgetrunken."
Vor dem Hintergrund von Conovers Behauptung, schon 1945 mit Norma Jeane an einem Strand Sex gehabt zu haben, macht der Dialog gar keinen Sinn. Erstens wäre die Aussage, dass sie "nicht jeden Mann verführt, dem sie begegnet", siebzehn Jahre nach der ersten Begegnung (Herbst 1944) und dem angeblichem Sex im folgenden Jahr völlig deplatziert. Zweitens hat Marilyn im Laufe ihres Lebens mit so manchem Mann Sex gehabt, an dem ihr persönlich nicht viel lag. Warum sollte sie Conover, mit dem sie ihm zufolge bereits intim war, also den Bären aufbinden, dass sie Sex nur unter dieser Bedingung mag? Und warum sollte sie einen früheren Liebhaber überhaupt davon überzeugen wollen, warum sie auf Sex mit ihm erpicht ist?
Erste Schritte als Model
Im Januar 1945 kehrt Jim aus Südostasien zurück. Aus einem undatierten Brief von Norma Jeane an Cathy Staub geht hervor, dass Jims Rückkehr mit dem Abbruch ihrer Tätigkeit bei Radioplane zusammenfällt (beides liegt zum Zeitpunkt der Abfassung "about three weeks" zurück). Deswegen ist seine Ankunft in den Januar datieren, in dem sie laut Brief an Grace vom Juni 1945 ihre Tätigkeit bei Radioplane beendet hat. Das Paar macht für eine Woche Urlaub in Big Bear Lake, einer kleinen Stadt in Südkalifornien, wo sie schon im Winter 1942 einen Skiurlaub verbrachten und jetzt laut Brief an Staub eine "großartige Zeit" miteinander haben. Frei von Spannungen ist die Idylle aber nicht. Jim missfällt, dass Norma Jeane mit dem Alkoholtrinken begonnen hat. Sie zeigt sich eifersüchtig, wenn er mit anderen Frauen Blackjack spielt. Über die Dringlichkeit des Kindermachens sind sie geteilter Meinung, denn damit hat es Norma Jeane nicht eilig. Ein Gespräch über ihre Modelkarriere endet für sie unbefriedigend: Jim toleriert ihre Sessions, da sie besser bezahlt sind als die Fabrikarbeit, stellt aber die Bedingung, dass damit Schluss ist und seine Frau sich ausschließlich dem Familienleben zu widmen hat, sobald der Krieg vorüber ist.
In den Wochen vor und nach Jims erstem Heimaturlaub wird Norma Jeane so häufig abgelichtet, dass sie sich von dem Honorar am 10. Februar 1945 den Rückkauf des Pianos ihrer Mutter von Ana Lower leisten kann. Begeistert von seinem neuen Model hat Conover Bilder von ihr seinem Freund Potter Hueth gezeigt, einem Zivilisten, der am Pico Boulevard ein Studio betreibt. Der junge Fotograf ist noch nicht lange im Geschäft und scheut das Risiko, die Kosten für das Model zusätzlich zu denen für die Filme, das Entwickeln, die Abzüge und die Versandkosten aufzubringen, ohne dass ein Abnehmer feststeht, also die einschlägigen Magazine in New York, Chicago und Toronto. Normalerweise erstatten angehende Models dem Fotografen die anfallenden Kosten, wovon beide profitieren: Sie erhalten ein Portfolio, mit dem sie für sich werben können, und der Fotograf Bilder, die er den Magazinen anbieten kann, wobei das Model, wenn es clever ist, sich am Erlös beteiligen lässt.
Hueth ist von Norma Jeanes optischer Verkäuflichkeit aber so überzeugt, dass er ihr anbietet, mit ihm ´on spec´ zu arbeiten und sich mit dem Honorar zu gedulden, bis Verkäufe getätigt sind. Bei einer seiner Sessions mit Norma Jeane fotografiert er sie mit einem Dalmatiner an ihrer