Es gibt also durchaus gute Gründe dafür, warum die Pockets der Low Performer wachsen und gedeihen können. Und selbst wer eine Stelle vielleicht noch brennend für die neue Aufgabe angetreten hat, kann aufgrund falscher Personalführung immer noch zum Low Performer werden.
Die schwarzen Ritter der Kennzahlen
Die Schuld nur beim mittleren Management zu suchen, greift allerdings deutlich zu kurz. Werte wie ein innerliches Brennen für die Aufgabe, das Bedürfnis nach beruflicher Erfüllung, oder – im besten Fall – eine persönliche Begeisterung für die Mission des Unternehmens, das immer in irgendeiner Form den Menschen dient, für die es produziert oder Dienstleistungen erbringt, fallen neu eingestellten Mitarbeitern nicht einfach zu. Wie in der Politik, der Kirche oder jeder anderen Position mit Vorbildfunktion können Werte auch innerhalb eines Unternehmens nur dadurch transportiert werden, dass sie gelebt und vorgelebt werden. Wenn einem Abteilungsleiter jedoch täglich aus der Chefetage suggeriert wird, dass allein die Benchmarks zählen – wie soll er da ein Gefühl dafür entwickeln, was seine Mitarbeiter tatsächlich für ihre Aufgabe entflammt? Noch einmal Carsten Steinert: „Wenn Führung im Top-Management keine Rolle spielt, fühlt sich die mittlere Ebene schlecht behandelt“, weshalb das mittlere Management oft gar keine Veranlassung sehe, Führungsqualitäten zu entwickeln. Von den Auswirkungen solcher Unternehmensführung auf das Betriebsklima können sich Millionen von Arbeitnehmern in Großkonzernen täglich ein Bild machen – wenn sie nicht schon selbst zu den Abgestumpften gehören.
Low Performance auf Unternehmens- wie auf Individualebene ist also ein klares Managementproblem. Und damit ist es, so ungern die schwarzen Ritter der Kennzahlen das auch eingestehen mögen, ein klares Werteproblem. Die Manager in den fraglichen Positionen haben allerdings ganz andere Probleme, als sich um renitente Mitarbeiter zu kümmern. Wenn Ihr Chef Ihnen nicht vorlebt, dass Sie ihre Mitarbeiter für Ihre Aufgabe begeistern müssen – und können! – werden Sie wahrscheinlich nicht geneigt sein, sich die Mühe selbst zu machen. Im Zweifel handeln Sie sich womöglich noch Ärger dafür ein, dass Sie sich um ihre so genannten Soft Skills kümmern, anstatt die Zahlen aufzupolieren und notfalls ein paar Stellen zu streichen, um die Benchmarks zu erreichen.
Benchmarking ist das Lieblingstool der Unternehmensführung alter Schule. Kennzahlen lassen sich wunderbar seifig argumentieren und suggerieren bei Bedarf in jeder Präsentation, man wolle es mit den Besten der Branche aufnehmen (wenn man nicht laut selbst geschönten Statistiken sowieso schon dazugehört). Damit aber lässt sich kein Blumentopf mehr gewinnen, wenn es auf strategische Unterschiede zur Konkurrenz ankommt statt auf bloß numerische Vergleichswerte, wie auch die Unternehmensberatung McKinsey kürzlich in ihrem Newsletter mahnte: „Good strategies … emphasize difference – versus direct competitors, potential substitutes, and potential entrants – not industry-wide best practices.“
Die blinde Zahlengläubigkeit ist in Zeiten global ausdifferenzierter Märkte jedoch dem Untergang geweiht. Schon deshalb, weil keine westliche Firma es billiger machen kann als die Chinesen. Akzeptieren Sie es besser heute, denn es wird noch lange Zeit so bleiben. Wettbewerbsvorteile liegen heute nicht mehr in den Bereichen, die sich benchmarken lassen, sondern in werteorientierter Produktinnovation und Personalführung. Doch dazu später mehr.
Das Verantwortungsdogma: Ein Egotrip
Unter Umständen glaubt Ihnen die Chefetage nicht einmal, wenn Sie Schwachstellen in der Personaldecke anführen. Sie mögen doch gefälligst, wird Ihr Chef Ihnen dann sagen, mal die Verantwortung für die schwachen Leistungen Ihrer Abteilung übernehmen. Und schubst Sie damit in eine der fiesesten Fallen, in die man im Laufe eines Managerlebens geraten kann: das Verantwortungsdogma.
Über Jahrzehnte hinweg haben Personalverantwortliche, Berater und Trainer Führungskräften eingeredet, Sie müssten für jeden Furz, der in ihrer Abteilung entweicht, die volle persönliche Verantwortung übernehmen. Das ist ausgemachter Blödsinn, der schon Generationen von Managern in die Verzweiflung und nicht selten auch in den Burnout getrieben hat. Verantwortung ist ein unabdingbarer Bestandteil von Führung – das steht außer Frage. Und natürlich möchte ich nicht bestreiten, dass ein Manager für die Ergebnisse seiner Einheit verantwortlich zeichnet und dafür zu sorgen hat, dass sie ihren Job erledigt. Natürlich soll er Einsatz zeigen und sich um seine Projekte kümmern, als hinge seine Karriere daran. Tut sie ja auch.
Was allerdings bei der „Erziehung“ nachwachsender Managergenerationen seit Jahrzehnten aus der Tugend Verantwortung gemacht worden ist, hat gerade nichts mit Führung zu tun: die Weitergabe patriarchalischer Führungsmethoden. Manager, denen beigebracht wurde, alles und jeden kontrollieren zu müssen – und eine Generation später wieder ihre Management-Sprösslinge aufs selbe falsche Gleis zu setzen.
Es gibt verschiedene Formen der Verantwortung. Die lösungsorientierte, die werteorientierte, die teamorientierte – sie alle gehören zur Managementkultur. Allerdings kann man als Manager keinen größeren Fehler machen, als neben der operativen Verantwortung für das Geschäft auch noch die persönliche Verantwortung für die Unwägbarkeiten der Weltwirtschaft, die charakterliche Prägung seiner Angestellten und den Jahresbonus seines Chefs zu übernehmen. Das hält auch niemand lange durch, der nicht über eine eiserne Frusttoleranz verfügt. Und, mit Verlaub: Die haben die wenigsten.
Ein Manager ist kein Priester. Ein Manager ist kein Kindergartenpädagoge. Ein Manager ist vor allem nicht der Vater seiner Mitarbeiter, und darf deshalb kein Patriarch sein. Ein Manager ist ein Manager. Und ein Manager ist nicht unfehlbar. Sein Ziel kann und darf nicht sein, „Untergebene“ nach seinem Vorbild zu erziehen. Wer fürs Ego ein Alter Ego braucht, ist als Manager ungeeignet.
Für die Mehrzahl der heute aktiven jüngeren Führungskräfte, die trotz einer völlig veränderten Lebens- und Wirtschaftswelt von patriarchalischen Vorgesetzten unternehmenssozialisiert werden, bedeutet das zwei mögliche Krisenszenarien: Entweder, sie machen den Job eine Weile, haben früher oder später die Schnauze voll und schmeißen auf die eine oder Art hin – oder sie brennen innerlich aus. Oberflächlich leichter scheint vielen leider, es ihren „Vorbildern“ in der Chefetage gleich zu tun und aus dem Verantwortungsdogma einen Egotrip zu machen. Wer auf diesem Holzweg einmal angekommen ist, droht jederzeit einzubrechen. Immer wieder begegne ich bei Beratungsgesprächen oder Coachingsitzungen Führungskräften, deren Schultern unter der Last der Verantwortung krumm geworden sind – und die genau deshalb glauben, ihren Job besonders gut zu machen.
Verantwortung für alles und jeden aber ist kein Wert der Unternehmensführung – denn genau wie Sie als Manager sollte auch jeder einzelne Ihrer Mitarbeiter die Verantwortung für seine Aufgaben übernehmen. Ihre Verantwortung im Management liegt, neben den operativen Aufgaben, vielmehr darin, für die Werte Ihres Unternehmens einzustehen und deren tägliche Umsetzung sicherzustellen.
Welche Werte das sind? Eben. Genau da liegt in den meisten Unternehmen alter Schule der Hund begraben – es mangelt an operationalisierbaren Unternehmenswerten. Weshalb Ihr Chef es sich am leichtesten macht, indem er Ihnen den Alibi-Wert der Verantwortung auftischt und Sie nach seinem Vorbild erzieht: als Führungskraft, die nicht nur ihren operativen Verantwortungsbereich führt, sondern gottgleich meint, auch in die Verantwortungsbereiche seiner Angestellten und am besten auch noch in deren Privatleben eingreifen zu müssen – weil ein „verantwortungsvoller“ Chef sich nun mal um seine Schäfchen kümmert. Vor allem aber kann er, physisch erschöpft und seelisch ausgebrannt, ganz einfach zur „Verantwortung“ gezogen werden, wenn es in seinem Bereich hakt. Was sich blendend argumentieren lässt mit – Sie wissen schon, den Benchmarks.
Die großen Blockaden: Egothemen und Charakterfehler