Geschickt vertuschter Lobbyismus ist nur eine von vielen ethischen Verfehlungen der Politik und der Wirtschaft gleichermaßen. Er ist jedoch eine, die in besonderem Umfang und unter dem Deckmantel des Schweigens stattfindet. Jeder weiß, dass es ihn gibt, und doch weiß kaum jemand, wie er funktioniert – weil Lobbyisten entweder ganz und gar unsichtbar bleiben, oder sich durch pseudoethisches Marketing in Wertediskussionen einbringen, die zur Ablenkung von ihren äußerst unethischen Geschäftspraktiken dienen. Wenn solche Praktiken gezielt durch die Politik befördert werden und ganze Konzerne zum Erfolg führen, ist es nicht verwunderlich, dass derartige Methoden sich noch bis in die kleinsten Verästelungen von Unternehmensstrukturen fortsetzen, unter denen letztlich noch der einzelne Angestellte zu leiden hat.
Was über Jahrzehnte hinweg unter dem Deckmantel des Schweigens im großen Stil betrieben werden konnte, kommt heute allerdings vermehrt ans Licht der Öffentlichkeit. Meldungen über Korruptionsskandale sind inzwischen auch im Wirtschaftsteil der Zeitungen an der Tagesordnung. Immer geht dabei der Schaden zu Lasten des gesellschaftlichen Wohlstands, oft genug aber auch zulasten der Wohlstands des Einzelnen; um individuelle wie gemeinschaftliche Sicherheit. Gespielt wird in jedem Fall mit den Werten, die die gesellschaftliche Aufgabe von Wirtschaft wie von Politik ausmachen.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Wirtschaftsethik mehr noch als die Ethik anderer gesellschaftlicher Bereiche in diesen Tagen als Widerspruch in sich betrachtet wird: Wirtschaft und Ethik, das bringt in der Öffentlichkeit kaum noch jemand zusammen. Die Krise der Ethik findet ihr Epizentrum in der Krise der Wirtschaftsethik.
Und doch liegt meine Hoffnung für die Ethik inmitten ihrer Krise nicht zuletzt genau hier: in der Wirtschaft. Bevor wir uns jenen Funken der Hoffnung inmitten des Gerölls der Wirtschaft alter Schule zuwenden, gilt es allerdings noch genauer hinzuschauen, wie die Vertreter jener alten Schule unseren Unternehmen täglich Schaden zufügen. Das geschieht nämlich schon weit unterhalb der Ebene des wirtschaftspolitischen Lobbyismus, in Unternehmen aller Art, tagtäglich, in unser aller Umfeld, innerhalb unseres persönlichen Radars. Nur hinschauen müssen wir selbst.
3 Management: Ein Missverständnis
Ein wahrhaft großer Mann wird weder einen Wurm zertreten noch vor dem Kaiser kriechen. (Benjamin Franklin)
Begleiten Sie mich in die Geisterbahn der alten Schule der Unternehmensführung: Willkommen in den ethischen Untiefen des seelenlosen Managements. Willkommen in einer Arbeitswelt, die – unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung – selbst inmitten von Finanzkrisen und Aufruhr an den Märkten noch heute für Millionen von Arbeitnehmern an der Tagesordnung ist.
Low Performers: Die Pockets der Schnarchnasen
Wenn Bruno M., Sachbearbeiter in der Verwaltung eines großen deutschen Industriekonzerns, morgens zur Arbeit geht, könnte er genauso gut direkt in den Park gehen und sich in die Sonne legen – der Effizienzgewinn seiner Firma wäre in etwa der gleiche. Bruno M. trinkt erst einmal einen Kaffee, und plaudert in der Teeküche eine Runde mit der attraktiven Sekretärin. Dann beantwortet er einige aufgelaufene Korrespondenz (von der Vorwoche) mit Rückfragen, ohne auch nur die fraglichen Akten zu konsultieren. Nach seiner Mittagspause telefoniert er ausgiebig mit seiner Frau, bevor er zwei Stunden lang veraltete Vorgänge aussortiert. Schließlich verbringt er die restliche Zeit bis zum Feierabend damit, sein E-Mail-Postfach aufzuräumen, weil die IT-Abteilung wegen knapper Serverkapazitäten alle Angestellten dazu aufgefordert hat. Dann geht Bruno M. nach Hause.
Überspitzt? Vielleicht. Unrealistisch? Keineswegs. Solche Schnarchnasen wie Bruno M. bremsen die Effizienz unserer Wirtschaft auch heute noch in ungeahntem Ausmaß – sie sind ein Fossil jahrzehntealter, grob hierarchischer Unternehmensstrukturen, die in Großkonzernen vielerorts noch immer unverändert an der Tagesordnung sind.
Selbst Krisen und schlechte Auftragslagen können dieser Sorte Mitarbeiter in der Regel nichts anhaben – sie kleben wie angewachsen in ihren Pockets im Schatten der Produktivkraft, weil sie völlig unauffällig bleiben und selten Rechenschaft ablegen müssen. In der Regel halten sie jene Abteilungen besetzt, die selbst die toughste Geschäftsführung gern ignoriert, weil sie Bereiche betrifft, die vermeintlich keinen Effizienzgewinn bringen, sondern dem bloßen bürokratischen Funktionieren von Unternehmen dienen. Eine Self-fulfilling Prophecy: Die Mitarbeiter in diesen Zeitlupen-Pockets setzen schließlich auch alles daran, dass das so bleibt.
Low Performance als Lebensaufgabe
Da die Low Performer bevorzugt in wenig kontrollierten Arbeitsbereichen sitzen, sind solche Abteilungen oft regelrechte Horde der Faulheit. Diese Zusammenrottungen entstehen keineswegs zufällig, sondern habe meist mit dem Charakter der Arbeit zu tun, die aufgrund überholter Unternehmensstrukturen in den fraglichen Abteilungen anfällt: „Drückebergerei ist … verbreitet, wo es Mobbing gibt, Leute gefrustet und lustlos sind und keine interessanten Aufgaben haben. Mit einem weiteren Modewort heißt ein solches Syndrom dann ‚Boreout‘, nicht zu verwechseln mit Burnout – die Leistung sinkt aus Langeweile statt durch das Ausgebranntsein. Häufig seien das Bereiche, die wenig Veränderung erleben, in denen die Mitarbeiter alles ‚schon immer so gemacht‘ haben und sich in ihrer Position sehr sicher fühlen“ , zitiert Spiegel online die Karriereberaterin Doris Brenner.
Selbst wenn man ihnen auf die Spur käme: Meist sind diese Kollegen mit ihrer Minderleistung so lange unter dem Radar durchgetaucht, dass ihre Dienstjahre das Unternehmen im Falle einer Kündigung empfindlich teuer zu stehen kämen – teurer manchmal, als ihr Gehalt die paar Jahre bis zur Rente noch weiterzuzahlen. Und bis dahin haben sie genügend Zeit, Jüngere in ihren Club aufzunehmen.
Von Leidenschaft für den Job kann bei diesen Arbeitnehmern meist keine Rede sein. Das ist allerdings auch nie ihr Ziel gewesen: Angestellte wie diese suchen sich ihren Arbeitsplatz, sogar ihren Beruf gezielt daraufhin aus, dass sie mit möglichst wenig Aufwand bei möglichst hohem Gehalt einen maximal sicheren Posten bis zur Rente einfach blockieren können. Ihnen geht es nicht um die Ziele des Unternehmens, persönliche Bestätigung oder gar Erfüllung im Job – ihnen geht es einzig und allein um Absicherung. Und es gibt in den meisten Großkonzernen der alten Schule in Deutschland genügend Nischen, in denen diese Schnarchnasen die Zeit bis zur Rente absitzen können, ohne jemals wirklich etwas Nennenswertes geleistet zu haben.
Komplex ist nicht gleich ausgereift
Klar ist: Herausragende Unternehmenserfolge sind so nicht zu erzielen. Die Low Performer sind ein Grund dafür, warum die schwerfälligen Konzerne mit ihren bremsenden Hierarchien nur noch selten die Urheber von Innovation in jenen Bereichen sind, auf die es an den Märkten der Zukunft verstärkt ankommt, nämlich bei Kunden- und Anwendernutzen, strategischer Handlungsfähigkeit, interner Kommunikation und Kooperationsmanagement. Diese Rolle haben längst die Entrepreneurs, die kleinen Startups, immer öfter sogar studentische Gründer übernommen.
Die Unternehmen alter Schule zeichnen sich also, vereinfacht formuliert, dadurch aus, dass sie vor Jahrzehnten erzielte Erfolge nur noch verwalten, anstatt Innovation zu riskieren und damit bisherige Erfolge aufs Spiel zu setzen. Innovationen kaufen sie maximal ein, indem sie Ideen oder gleich ganze Startups aufkaufen und sich deren fertig entwickelte Erfindungen einverleiben. Ihre Strukturen sind meist so komplex und überdiversifiziert, dass das Top-Management ohnehin kaum eine Ahnung hat, was seine Angestellten so treiben. Dass solche Strukturen sich dennoch über Jahrzehnte halten und sogar immer weiter ausdifferenzieren konnten, hat einen einfachen Grund: Diese Komplexität ist ein optimaler Nährboden für die ungestörte Postenverwaltung der höheren Gehaltsstufen.
Verantwortlich für das Ausheben und gründliche Umstrukturieren jener Pockets der Faulheit wäre auf dem Papier meist das mittlere Management mit dem Instrument der Personalführung. Genau die jedoch ist in großen Unternehmen häufig eine Achillesferse. Wie die Financial Times Deutschland berichtete,