Der Rote Kolibri. Alexander Jordis-Lohausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Jordis-Lohausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748557968
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seinen Arm um die Schulter und sagte, wie immer fröhlich: „Das erste Mal ist immer arg, aber du wirst sehen, man gewöhnt sich an das unvermeidliche Blutbad. Vor allem, vergiss nicht: Um Eierspeis’ zu machen, musst du Eier zerschlagen!!“ Dann eilte er weiter und ließ mich mit meinen Skrupeln allein. Ich stürzte an die Verschanzung und kotzte mich leer.

       Kapitän und Mannschaft des gekaperten Schiffes standen, in ihr Schicksal ergeben, auf Deck und leisteten keinen Widerstand mehr, die Unsrigen, bis an die Zähne bewaffnet, umstanden sie mit Drohgebärden. Die Kaufleute wurden entwaffnet und ausgeraubt. Schmuck, Geld, Wertsachen, alles mussten sie aushändigen. Wenn sie schöne Kleider anhatten, wurden ihnen auch diese weggenommen. Sie machten in Unterkleidern keine sehr gute Figur. Wer mit seinen Wertsachen nicht herausrücken wollte, wurde dazu sehr wirksam „überredet“. Caballo war darin ein findiger Meister. Meist genügte es, den widerspenstigen Gefangenen einen Strick immer enger um den Kopf zu drehen, bis sie willig ihre Geheimnisse preisgaben. Die Ladung ihres Schiffes, sie führten wertvolles Tuch, war für Marseille bestimmt gewesen, und wurde nun auf El Indios Befehl zu uns herüber verfrachtet. Nur er bestimmte, welche Ladung zu übernehmen sei. Aber die Mermaid war nicht mehr voll beladen, sie musste also einen Teil ihrer Ladung schon woanders verkauft haben. Es bedurfte wieder einer für den englischen Kapitän nicht sehr angenehmen, aber wirksamen „Überredungskunst“ bis er mit einer beträchtlichen Summe Bargelds herausrückte. Sie war für den Einkauf von Wein und Öl bestimmt gewesen, welche er nach England hatte zurückschiffen wollen.

       Gefangene wurden nicht gemacht. Der Capitán betrieb keinen Sklavenhandel. Und doch kam es diesmal zu einer Ausnahme. Während nämlich sonst keiner auf dem gekaperten Schiff mehr aufzumucken wagte, gab es einen, der wie ein Rohrspatz schimpfte. Er ließ uns lautstark wissen, was er von uns hielt und was wir zu erwarten hätten, wenn er erst wieder zu Hause sei. Seine Kameraden wollten ihn zum Schweigen bringen, aber vergebens. An seinen Federn sahen wir, was für einen Vogel wir da gefangen hatten. Einige unserer Seeleute rissen ihm die Perücke vom Kopf und zogen ihm seinen prunkvollen Rock aus.

      „Einen Narren muss man mit dem Kolben lausen!“ riefen sie und klopften ihm lachend das Wams aus, stießen ihn in seinen hervorquellenden Bauch, drehten ihm eine Nase, rissen Possen und machten ihn so sehr zum Narren, bis er fuchsteufelswild war.

      „Gevierteilt sollt Ihr werden! Wartet nur bis ich den Zeck verständige! Der wird euch die Sohlen versengen!“ geiferte er. Unsere Männer bogen sich vor Lachen. Ich jedoch wurde hellhörig. Hatte er nicht Zeck gesagt? Ich erfuhr schließlich, dass er ein Kaufmann aus Marseille und ein Handelspartner des Zeck sei.

      „Ja, der Zeck! Der wird dir die Hölle heiß machen, du Rotznase! Am höchsten Galgen wirst du baumeln!“ Er hatte einen ganz roten Kopf und prustete vor Wut, als ich ihn ausfragte.

      „Ich glaube, dieser aufgeblasene Ochsenfrosch verdient einen guten Rüffel.“, erklärte ich El Indio, „Ich kenne seinen Kumpan in Marseille, ein richtiger Blutsauger, den ich liebend gerne schröpfen würde.“

      „Und was schlägst du vor?“

      „Dass wir ihn als Gefangenen mitnehmen und von dem Vampir Zeck Lösegeld für ihn fordern!“ Dieses Eckel sollte mir dafür büßen, dass der Zeck es gewagt hatte, meinen Vater zu Boden zu stoßen. Dies Bild aus meiner Kindheit kam immer wieder mit großer Deutlichkeit in meiner Erinnerung hoch. Es war dort wie eingemeißelt.

       El Indio und der Capitán waren zuerst nicht angetan von dem Gedanken, sich mit einem Gefangenen zu belasten, aber sie ließen sich schließlich überreden. Wir sperrten den immer noch Geifernden in ein Verlies, tief unter Deck, wo man sein Randalieren nicht mehr hören konnte.

       Der Capitán legte jedes Mal großen Wert darauf, die Verwundeten eines gekaperten Schiffes zu versorgen. Da hatte dann unser „Tabib“, der arabische Schiffsmedicus, in den nächsten Stunden viel Arbeit. Er musste all seine Künste aufwenden, um Leben zu retten und zerrissene Körper wieder zusammenzuflicken. Nicht in allen Fällen ist es ihm gelungen, zumal seine Mittel begrenzt waren. Bei uns waren es nur leichtere Verletzungen. Allein dem zweiten getroffenen Kanonier, einem Mann, den sie den „fetten Georg“ nannten, schnitt er eine Bleikugel aus der Schulter, wobei der Fette wie am Spieß schrie. Schlimmer sah es bei den Engländern aus, denen einige Arme, Beine, Hände oder Füße amputiert werden mussten, um die Verletzten vor dem Tode zu retten. Den Verstümmelten wurde viel Schnaps oder Theriak34 eingeflößt, nicht nur um sie zu betäuben, sondern auch um Krampf und Blutvergiftung vorzubeugen35. Dann sägte und schnitt unser Tabib mit großer Geschicklichkeit und Geschwindigkeit all das ab, was gefährdet war. Schließlich stoppte er die Blutungen mit dem Kauter36, bevor er die Wunden verband. Erbarmungslos, aber in den meisten Fällen lebensrettend. Ich konnte dem nicht lange zusehen, und bewunderte den alten, schmächtigen Mann, der diese blutigen Operationen, dem Anschein nach so völlig unberührt, eine nach der anderen, durchführte.

       Bei uns an Bord nahm Nikolaus jetzt seine Haupttätigkeit auf. Man hätte ihn als Schiffsnarr und Vorsänger, für eine Randfigur an Bord halten können. Nun merkte ich wie unabkömmlich er für den Capitán und die Fortuna war. Sogleich hatte er die kleine Schar zusammen gepfiffen, die gewohnt war mit ihm zu arbeiten. Mit ihnen stellte er die Schäden fest. Löcher im Rumpf mußten geschlossen und gedichtet werden, die Steuerung überprüft, Aufbauten repariert, Spieren37ersetzt. Kurz, von der Mastspitze bis zum Kiel war alles, was aus Holz war, -- und das war fast das ganze Schiff -- seine Verantwortung. Er gab Anweisungen, erklärte, legte selbst mit Hand an, überprüfte bis das Schiff wieder einsatzfähig war. Kein Wunder, dass der Capitán Nikolaus so manches durchgehen ließ, denn gute Schiffsbauer waren nicht leicht zu finden.

       Als die Beuteladung auf die Fortuna geschafft und die Verwundeten versorgt waren, trat der Capitán auf den Kapitän der Mermaid zu.

      „All das wäre unblutig abgelaufen, hättet Ihr Euch gleich ergeben. Immerhin, Ihr habt Mut gezeigt, so will ich Euch Schiff und Leben lassen. Das gilt für Euch alle, außer für den einen, den behalten wir bis auf weiteres als "Gast" an Bord. Teilt seinem Handelspartner Zeck in Marseille mit, dass er mir 6000 Piaster38 nach Algier überbringen lassen soll, wenn er seinen Kumpan wiedersehen will." Dann lüftete er seinen Dreispitz, verbeugte er sich mit ausgesuchter Höflichkeit und ging von Bord.

       Die Mermaid sei ein sicheres, aber schweres und langsames Schiff, erklärte mir El Indio später, mit dem wir nicht viel hätten anfangen können. Außerdem waren der Capitán und auch El Indio anders als andere Seeräuber nicht daran interessiert, mit einer ganzen Flotte auf Kaper zu fahren. Sie gehörten zu den kleinen Seefüchsen des Mittelmeers, die als Einzelkämpfer auszogen. Das war manchmal gefährlicher, aber bisher für ihn und seine Leute umso einträglicher, als der Gewinn unter weniger Seeräubern aufzuteilen war. So wurden auch diesmal alle Gold- und Silbermünzen, Schmuck und sonstige Wertgegenstände in der üblichen Weise verteilt. Jeder bekam einen Anteil, nur der Capitán und El Indio je zwei, Pulver-Max und Nikolaus je eineinhalb. Auch ich bekam einen halben Anteil und nahm mir vor, ihn mit all dem, was ich vielleicht noch bekommen würde, bei passender Gelegenheit meinen Eltern und den Fischern im Dorf zukommen zu lassen.

       Trotz des anfänglichen Schocks über das Blutbad war ich schließlich äussert zufrieden mit diesem ersten Raub. Nicht nur hatten wir einen Kauffahrer geschröpft, es war uns durch Zufall auch noch ein großer Fisch aus dem Teich des Zecks ins Netz gegangen. Letzterer würde dafür tief in seinen Goldbeutel greifen müssen. All das war für mich Genugtuung und Bestätigung, dass ich doch den rechten Weg eingeschlagen hatte.

       Es gab mir Selbstvertrauen, aber es ließ auch einen neuen Ehrgeiz in mir wach werden. Ich wollte Macht, eigene Befehlsgewalt, um meine Rachepläne in die Tat umzusetzen. Doch ließ ich es mir nicht anmerken. Ich wusste, dass dazu sehr viel Geduld notwendig war. Erstmals, war ich daher zufrieden, nun für