Der Rote Kolibri. Alexander Jordis-Lohausen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Jordis-Lohausen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748557968
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Gesinnung stoßen. Glaub mir, auch die wenigen edelgesinnten Seeräuber verrohen meist und vergessen darüber ihren Edelmut. Vielleicht gelingt es dir, deine Ideale zu verwirklichen, aber ich warne dich, du wirst damit ziemlich allein dastehen. Also überleg dir’s gut.“

       Aber er hätte genauso gut den Tauben predigen können. Seine Bedenken wollte ich nicht hören. Ich schlug sie in den Wind.

      „Ich sag dir, Höllenwirt, ich will Seeräuber werden und dabei bleibt’s!!“ Ich versuchte dabei so heldenmütig wie möglich zu klingen.

      „Na gut, dann unterschreib den Wisch!“

       Er schob mir ein Pergament hin, auf das er ein paar Worte gekritzelt hatte. Als er sah, dass ich weder lesen noch schreiben konnte und fügte er hinzu:

      „Hier steht nur, dass ich dich nicht gezwungen habe, etwas zu tun, was du nicht tun willst. Es steht da auch, dass du dich auf sieben Jahre verpflichtest. Wenn die Frist abgelaufen ist, komm zu mir zurück, wenn du noch am Leben bist, dann gebe ich dich wieder frei. Wenn du nicht schreiben kannst, drück den Daumen in den roten Saft.“

       Dann nahm er ein scharfes Messer, ritzte die Kuppe meines linken Daumens an, sodass ein großer Blutstropfen hervorquoll. Den zerdrückte er mit meinem Daumen auf dem Pergament.

      „An diesen Linien wird dich jeder wiedererkennen. Ich werde morgen mit dem Capitán sprechen. Komm in drei Tagen wieder und ich werde dir Weiteres sagen. Wenn ein Ding sein soll, so schickt sich alles dazu!“

       Jetzt, wo die Entscheidung gefallen, war mir plötzlich etwas bang zu Mute. Auch wusste ich nicht, wie ich es meinen Eltern beibringen sollte. Sie würden es sicherlich nicht gutheißen. Erst dachte ich daran, mich heimlich davonzustehlen, aber das brachte ich dann doch nicht übers Herz.

      „Ich werde zur See fahren!“ sagte ich einfach, als ich drei Tage später mein kleines Bündel schnürte. Mein Vater blickte mich nur ernst an und sagte nichts, auch meine Mutter schwieg, aber ich sah die Sorge auf ihrem Gesicht.

      „Ich halte es hier nicht mehr aus!“ fuhr ich fort und erzählte ihnen von meiner Entscheidung. Alles, was sich in mir angestaut hatte, stürzte jetzt aus mir heraus. Als ich geendet hatte und unruhig wartete, was jetzt geschehen würde, trat mein Vater auf mich zu und schloß mich in seine Arme, was er sonst nie getan hatte.

      „Ich glaube, du bist jetzt alt genug, über dein Leben zu bestimmen. Es wäre nicht gut für dich noch für uns, dich hier festzuhalten.“ Er holte Atem. “Geh deinen Weg, mein Sohn, und mach deine eigenen Erfahrungen. Wenn du uns brauchst, sind wir immer für dich da.“ Ich küßte meine Mutter zum Abschied. „Gott behüte dich!“ sagte sie unter Tränen. Dann lief ich davon, so schnell ich konnte.

       So wurde ich Seeräuber. Ich war dreizehn Jahre alt.

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      Die „Schiffstaufe“

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       Die Fortuna , die von nun an für einige Jahre meine neue Heimat werden sollte, lag vor der Küste unweit des Dorfes vor Anker. Ihr langgezogener, schlanker Rumpf, mit leicht überhöhtem Achterdeck2, mit ihren drei hohen Masten, hob sich als malerische Silhouette gegen den klaren Morgenhimmel ab. Sie war etwa hundertsechzig Fuß3 lang und vierzig Fuß breit. Mit ihrer eindrucksvollen Segelfläche und einem Tiefgang von nur fünfzehn Fuß entkamen ihr auch die schnellsten Schiffe nicht, wenn sie es darauf anlegte. Der Anblick ihrer achtundzwanzig 24-Pfünder4 auf dem Kanonendeck, verstärkt durch zwölf 6-Pfünder auf dem Vorder- und dem Achterdeck hatten schon manchen Kauffahrer überredet, sich kampflos zu ergeben.

       Sie war früher ein spanisches Orlogschiff 5 gewesen, bevor der „Capitán“, wie der Höllenwirt und alle anderen ihn nannten, sie einige Jahre zuvor in einer einsamen Bucht südlich von Alicante überrascht und in einem schnellen Enterangriff überrumpelt hatte. Diese unverhoffte Beute war für den Capitán und seine Seeräubergemeinschaft eine wichtige Prise6 gewesen, zumal sie in gutem Zustand und durch den kurzen Kampf nur wenig beschädigt war. Denn ihr altes Seeräuberschiff war langsam schwerfällig, sein Rumpf morsch geworden, und sie hatten es bald darauf verbrennen müssen. Das neue Schiff wurde auf den Namen „Fortuna“ umgetauft.

       Diese Fortuna hatte, als ich ankam, etwa 200 Mann an Bord unter dem Kommando des Capitán, des Steuermanns El Indio und eines Kanoniers, den sie Pulver-Max nannten.

       Als wir nach einer kurzen Fahrt im Ruderboot von einem Sandstrand am Fallreep7 der Fortuna ankamen, wurde ich von einem schlanken, kräftigen Kerl mit rötlichen Haaren und lachendem Gesicht empfangen.

      „Ich heiße Nikolaus und bin der Schiffszimmermann. Ich soll dich in alles Nötige einweisen, und dich dann zum Capitán bringen!“ Und er sagte und tat es mit einer Herzlichkeit, die mir wohltat. Denn ich war mir plötzlich nicht mehr ganz so gewiss wie in der Sicherheit meines Dorfes, ob ich da wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte.

      „Der Capitán“, erklärte mir Nikolaus, „stammt aus den spanischen Niederlanden und ist dort in der Tradition des Kampfes gegen die Spanier aufgewachsen. Sein Großvater war Wassergeuse8 gewesen. Er selbst ist schon jung als Seeräuber zur See gefahren, erst im Ärmelkanal und jetzt im Mittelmeer. Er hat es auch hier hauptsächlich auf die Spanier abgesehen. 'Die werden wir rupfen, solange Federn vorhanden sind', hat er mir mal gesagt. Wie viele spanische Handelsschiffe haben das zu spüren bekommen! Doch hat er es im Laufe der Jahre mit dem Unterschied zwischen spanischen und anderen christlichen Handelsschiffen nicht so genau genommen. Daher verfolgen sie uns nun fast alle, die Spanier, die Venezianer, die Neapolitaner, die Genuesen, … Sie haben uns aber bisher nicht erwischt. Die Spanier nennen ihn Capitán Diablo9, und unter dem Namen ist er im ganzen Mittelmeer bekannt.“

       Damit ließ er mich vor der Kajüte des Capitán auf dem Achterschiff allein. Ich klopfte an und trat ein. Ein prunkvoll geschmückter Raum. Alle Möbel waren aus wertvollem Holz und hätten eher in ein Schloss gepasst als auf ein Seeräuberschiff. Der Capitán saß kerzengrade hinter einem einfachen, aber eleganten Schreibtisch und musterte mich. Er hatte ein langes Gesicht mit einer großen Hackennase, sauber gestutztem Schnurrbart, Spitzbart und Allongeperücke. Er war in Samt und Seide gekleidet mit weißem Spitzenkragen. Man wäre versucht gewesen, ihn für einen Edelmann zu halten, wenn nicht eine schwarze Augenklappe sein fehlendes linkes Auge bedeckt und eine breite rote Narbe sich vom rechten Ohr über den Mund bis zum Kinn hinabgezogen hätte. So glich er letztlich doch eher einem jener unheimlichen Unholde aus den Märchen.

      „Du bist Sebastian, der neue Schiffsjunge! Ich frag dich nicht, warum du unter die Seeräuber gehen willst. Hier hat jeder das Recht auf seine Vorgeschichte. Die geht mich nichts an.“ sagte er derb, aber nicht unfreundlich. Ich war enttäuscht, denn ich hätte ihm gerne von meinem Rachegrimm auf die Pfeffersäcke erzählt. Aber er war offensichtlich nicht interessiert. Dagegen fuhr er fort:

      „Ich will dir auch keine goldenen Berge versprechen. Dagegen will ich dir gleich eins sagen, und schreib es dir hinter die Ohren: erstens, dieses Schiff ist kein Fischerboot, die Fische, die wir fangen, können gefährlich sein und wir werden nicht zimperlich mit ihnen umgehen. Wenn du dazu nicht den Mut hast, ist es besser, du schiffst dich gleich wieder aus!“ Ich nickte.

      „Zweitens, hier sind alle gleich, aber dennoch kann nur einer befehlen, und auf diesem Schiff befehle ich! Ich erwarte unbedingten Gehorsam von dir! Verstanden?“