Oliver Shanti & Friends
„Tai Chi Too” (1996)
Oliver Shanti ist oberaktiv. Doch ob als Weltenbummler, Labelchef, Produzent, Komponist oder Musiker: Sein Ziel bleibt stets die „unmittelbare Verbesserung der Wirklichkeit“. So steht es im Labelkatalog, daran arbeitet Shanti auch auf „Tai Chi Too“, einem 70-minütigen Versuch, mit schönen Klängen den Geist des Himalaya einzufangen – etwas, dem Shanti sich zweifellos aufrichtig widmet. Der Mann ist kein Trittbrettfahrer des New Age, sondern Mitbegründer. In genreüblicher Romantisierung der Dritten Welt webt er einen Kaschmirklangteppich am Rande der Muzak. Das tut gut, zumindest irgendwem. Und ein Süßklang von beinah Cretu’scher Tiefe wie „Sacral Nirvana“ wird sicher ein Tophit in Teesockenkreisen, vielleicht gar in weltlichen Charts. Die Radioversion ist zur Sicherheit schon mal drauf.
Paul K & The Weathermen
„Now and at the Hour of our Death, Amen” (1996)
Zweimal die Woche gibt Paul Kopasz Heimspiele in Lexington/Kansas, einmal davon akustisch – wie hier. Der manische Songwriter, einer der besten und erfolglosesten der Welt, umgibt sich mit Hausband sowie einer gewissen Christin Johnson. Das ist ein Fehler, denn sie singt wie June Carter, die für eine Stunde dem Altersheim entfloh. Ihre antipodische zweite Stimme zu Pauls Leadgesang hat genau jenen verstaubten Nashville-Touch, den der Exeinbrecher immer mied. Aber auch die Restband ist nicht ganz fit. Ein unentschieden zwischen lahm und langweilig schwankendes Album – die Songs sind großartig, die Durchführung alles andere. Immerhin macht’s mal wieder Appetit auf Pauls 92er-Geniestreich „The Killer in the Rain“.
Pete Droge & The Sinners
„Find a Door” (1996)
Als der Schlaks aus Portland letzten Sommer ein Clubkonzert in Hamburg gab, gab es manch Entflammten im Publikum, der ihm ein „Pete, I love you!“ zuflötete. So dünn und androgyn er ist, so selbstbewusst kann er rocken. Noch sein 1995 hitgekrönter Verzweiflungsschwur „If you don’t love me I’ll kill myself“ wurde überdröhnt vom Triumphgesang der freien Entscheidung. Dabei ging allerdings unter, dass Droges Debüt „Necktie Second“ ein Songwriteralbum mit vielen nachdenklichen Momenten war. „Find a Door“ aber knirscht vor Rock. Ein sämiger Strom von Gitarren fließt ständig, auch die Langsamkeit ist oft elektrifiziert, und seine Tourband The Sinners ackert wie die Lightversion von Crazy Horse. Nur ein neuer Brecher wie „If you don’t love me …” fehlt. Und zwar schmerzlich.
Peter Maffay
„Maffay ’96 Live” (1996)
Engel, Carlton, Diez: Keiner in Deutschland hat eine bessere Band als Peter. Warum nur zieht der Exschnulzenheini und aktuelle Rocksänger Meister ihres Fachs an wie das Licht die Motten? Weil er die Wandlung zur Rockgröße schaffte, spotte, wer wolle. Und trotzig spielt Maffay live auch wieder „Du“, doch nicht ohne die akzeptierte Schnulze „Can’t help falling in Love“ vorwegzuschicken. Das zeugt von Souveränität – und verweist grinsend auf die Häme, die seine Schmachtfetzen oft ertragen mussten, während etwa Phil Everley als Künstler durchging. „Maffay ’96 live“ ist ein klasse Karrieremedley und ein Medley seiner Lieblingsklassiker dazu. Doch wenn er Elvis oder Beatles spielt, zeugt das nur von Einflüssen, nicht von Größenwahn. Denn auch wenn er die beste Band hat: Der gut geerdete Maffay hebt nicht ab.
Phil Collins
„Dance into the Light” (1996)
Collins ohne Genesis klingt wie Genesis mit Collins, zumindest fast – was uns sorgenvoll um die Zukunft der sitzengelassenen Restcombo bangen lässt. Phil jedenfalls enttäuscht all jene, die hofften, ohne den Druck der verbeamteten Supergroup kehrte er zurück zu seiner Jazzvergangenheit. Im Bandprojekt Brand X nämlich, viele wissen’s gar nicht mehr, tobte er sich einstmals aus, entwarf Jazzrockskulpturen von bezwingender Eigenständigkeit. Dem nähert er sich zumindest einmal: „Just another Story“ ist ein wunderbar behendes Improvisationsstück mit pieksender Trompete. Collins zeigt, was er kann und kennt: Latinpop („Wear my Hat“) und vor allem sattsam bekanntes flockiges Tralala mit Chartsgarantie. Perfekt, aber über weite Strecken so aufregend wie Nebel in London. Ausnahme: seine Verpoppung von Dylans „Times they are a-changin’“. Die regt wirklich auf. Mich.
Ramshackle
„Depthology” (1996)
Der Titel stimmt: Ramshackle aus London lehren Tiefenkunde. Und erzählen von Sachen, die man in der Tiefe finden kann. Den Weg hinab bahnen mächtige Basspflüge, unterwegs irrlichtern Doors-Samples („The End“) durch die Gänge, und sehr tief unten, wenn die Räume sich weiten zu dunklen, kathedralischen Höhlen, plinkert verloren und geborgen zugleich eine akustische Slidegitarre, während Steve Roberts Soulstimme uns Dinge zuraunt. Diese Platte ist wie ein unterirdischer Ozean voller Geheimnisse und Verlockungen. Müsste man oberirdische Begriffe wählen, so stünden TripHop, Dub, Blues und Soul verschämt bereit – verschämt, weil sie alle nicht so viel von Tiefenkunde verstehen. Im Gegensatz zu Ramshackle und ihren Gästen. Mit auf Expedition nämlich sind so altgediente Höhlenforscher wie Jah Wobble und Steve Winwood.
Robert Forster
„Warm Nights” (1996)
Manches lernt man erst lieben, wenn es verloren geganen ist, wahrscheinlich sogar das meiste. Etwa die Go-Betweens. Anfang der 90er gingen Robert Forster und Grant McLennan still auseinander, und erst jetzt grämen wir uns schwer. Eine große Band seien sie gewesen, meint nun mancher, der damals ohne Not schwieg. Forster und McLennan jedenfalls überboten sich seither mit Soloalben von einsamer Klasse: So luftigleicht schrieb sonst keiner, nicht mal Lloyd Cole. Auf „Warm Nights“ steckt Forster seine grüblerische Melancholie in erstaunlich witzige Arrangements – wenn die Tuba tubt, Orgel und Geigen schmelzen, dann scheint er sich ein wenig selbst auf den Arm zu nehmen. Die klangliche Vielfalt tut den hinreißenden Songs jedenfalls gut. Und wir haben die Chance, einen meisterlichen Songwriter in der Zeit seines Schaffens hochzuschätzen. Und nicht erst posthum.
Screaming Trees
„Dust” (1996)
Schon zu Grungezeiten waren sie jene Seattle-Band, die das große Wüten um sie herum nicht vom Schreiben großer Melodien abhalten konnte. Doch wenn der Lärm regiert, vermag Finesse nicht zu siegen. Jetzt sind Grunge und Cobain tot und Deep Blue Something in den Charts; jetzt kommt die Zeit für die Melodiker aus Seattle. Zumal sie ihrem Sound, vier Jahre nach „Sweet Oblivion“, mithilfe von Mike McGready (Pearl Jam) oder Benmont Tench (Tom Petty) schroffe Kanten geben. Der Produzent George Drakoulis kleckst in die neue Rauheit noch Farben von Orgel, Mellotron und Cello. Ein Rockalbum mit Zug nach oben. Und Hooklines wie die aus „All I know“ oder „Witness“ ziehen kräftig mit.
Seven Mary Three
„American Standard” (1996)
Das kennt man ja: Da spielt sich eine Band jahrelang den Arsch ab, tourt durch jede Collegemensa und kriegt dennoch keinen Zeh auf den Boden. Plötzlich aber – o Wunder – feiert man sie als das nächste große Ding. Welcome, Seven Mary Three, Hoffnung Nr. 17 (oder 18?)! Ihr habt begriffen, worauf es ankommt, seit Ex-Underdog-Kollegen wie Hootie & The Blowfish nach einem Jahr harter Arbeit Millionäre wurden. Lektion gelernt, Strategie übernommen. Nach unverkennbaren Ecken und Kanten sucht man heute, da das Alternative längst Mainstream ist, leider vergeblich – alle Songs könnten auch von der Konkurrenz kommen. Angenehm zu hören, nette Gitarren, doch nichts, was individuell erscheint. „Wir haben uns nie ums Image