»Das habe ich doch nur getan, weil ich auf Papis Gesagtes eingehen wollte.«
»Mag sein, aber ...«
»Du reagierst doch nur so sensibel, weil du in der Kritik stehst.«
»Also stehe ich in der Kritik, weil ich Pech in der Liebe habe und noch nicht verheiratet bin und keine Kinder habe? Ist das als Norm in irgendeinem Gesetz verankert, dass es Kritik überhaupt rechtfertigt, oder was?«
»So hat sie das doch gar nicht gemeint ...«
»Nein, nein, Papi, ich will das jetzt genau wissen: Mal angenommen, ich würde mich dazu entschließen, Nonne zu werden, würde ich somit in gleicher Weise in der Kritik stehen wie jemand, der Steuern hinterzieht oder Kokain schnupft oder Leute abschlachtet – also jemand, der wirklich etwas Schlimmes verbrochen hat? Ich meine, sollte Kritik nicht genau daraus entstehen? Aus etwas Schlimmen?«
»Du übertreibst maßlos«, verteidigte sich Yva. »Man beurteilt einen Mörder nicht, man verurteilt ihn. Es gibt da schon einen Unterschied.«
»Es gäbe dennoch nichts daran zu bemängeln, wenn ich ins Kloster ginge.«
»Was hast du plötzlich mit dem Kloster? Strebst du an, in eines zu gehen?«, war Papi alarmiert.
»Spinnst du? Natürlich nicht!«
»Warum bleibt ihr dann nicht einfach beim Thema?« Genervt warf er sich in die Lehne des Stuhls zurück und strich sich durchs nasse Haar.
Er hatte es leger nach hinten gekämmt. Für sein Alter hatte er bewundernswert volles Haar. Und sowieso war er eine attraktive Erscheinung. Genauer gesagt sah er Harrison Ford zum Verwechseln ähnlich. Schon als kleines Kind hatte ich da einiges durcheinandergebracht. Mami erinnerte sich zu gern an das erste Mal, als ich ›ihn‹ im Fernsehen gesehen hatte, und zwar im ersten Teil von Indiana Jones. Ich war vom Sessel hochgefahren, hatte mir fassungslos die Augen gerieben und vollkommen aufgelöst geschrien: »Da! Papi!« Minutenlang hatte ich mit ausgestrecktem Arm auf den Bildschirm gezeigt und den Mund nicht mehr zubekommen. Ja, ich war fast geplatzt vor Stolz und Euphorie, als ich noch total davon überzeugt gewesen war, dass mein Papi in Wirklichkeit ein gefeierter Hollywood-Star war. Damals hatte ich auch noch geglaubt, Hollywood läge nur eine Stunde Fahrtweg von uns entfernt. (So lange hatte Papi immer mit dem Auto zur Arbeit benötigt.)
»Da du gestern Abend zwei Stunden später als gewöhnlich nach Hause gekommen bist, hat Yva den Schluss gezogen, du wärst mit einem Mann aus«, erklärte Mami mit samtweicher Stimme, um Gas aus der explosiven Stimmung zu nehmen. »Und dass du nach wie vor ohne große sexuelle Erfahrung und praktisch Dauersingle bist, ist doch nur die Wahrheit, so unbequem sie auch sein mag.«
»Ich finde sie ganz und gar nicht unbequem. Ihr macht etwas Negatives daraus, nicht ich! Ich spare mich eben für den Richtigen auf.«
»Wie kannst du wissen, dass Flóki nicht der Richtige gewesen ist? Du hast ihn doch praktisch vergrault, noch ehe er sich beweisen konnte«, hielt Yva mir enttäuscht vor.
Flóki war mein erster fester Freund gewesen. Mit neunzehn hatte ich ihn kennengelernt. Bald darauf gingen wir miteinander, jedoch mehr als nur lausige zwei Monate. Unsere Beziehung hielt mehr als ein Dreivierteljahr. Und ich hatte ihn weiß Gott nicht vergrault, es sei denn, ein Ehebund war das Furchtbarste, was ein Mann sich nur vorstellen konnte. Dann könnte der Vorschlag, sich trauen zu lassen, ihn eventuell sehr wohl vergraulen. Doch ich war nicht davon ausgegangen, dass es ihn schon allein bei der Vorstellung an eine feste Bindung kalt überlief. Ich hatte ihn noch beschwichtigen wollen, indem ich die Idee widerrufen hatte, doch damit hatte ich bei ihm auch nichts mehr bewirken können. In diesem Moment war ihm nämlich ein für alle Mal klar geworden, an was für Voraussetzungen ich ein gemeinsames Sexualleben geknüpft hatte. Er hatte sich jedoch nur für unverbindlichen Sex interessiert und sich am Ende gegen die Liebe entschieden.
Dass Yva ihn und keinen der anderen beiden erwähnt hatte, resultierte aus dem ungewöhnlich guten Verhältnis zu Flóki. Darum hielten sie noch heute den Kontakt, wenn auch überwiegend schriftlich, da er bereits ein Jahr nach unserer Trennung aus beruflichen Gründen seinen Wohnsitz gewechselt hatte und nicht mehr so ohne Weiteres erreichbar war.
»Ich wusste ja schon immer, dass du nachtragend bist, aber so sehr? Überspannst du nicht doch allmählich den Bogen?«, merkte ich an. »Und überhaupt, wie kommst du plötzlich auf ihn? Er ist Geschichte!«
»Du weißt doch ganz genau, wie gern ich ihn habe.«
»Ja, aber neun Jahre ist eine lange Zeit. Für dich offensichtlich zu wenig, um über ihn hinwegzukommen.«
»Na und?!«
»Dann krall du ihn dir doch, wenn er dir so sehr fehlt.«
»Soll das ein Witz sein? Der ist steinalt!«
»Er ist so alt wie ich«, rief ich empört. Streng genommen war er ein Jahr älter als ich.
»Na, sag ich doch!«
»Könntet ihr eure sinnlose Diskussion auf ein andermal verschieben? Ich würde jetzt gern in aller Ruhe frühstücken«, erklärte Mami und seufzte dramatisch auf.
»Meinetwegen«, tat ich gleichgültig.
Yva fiel es viel schwerer, abzulassen. »Aber wir haben das mit dem Kerl von gestern Abend noch gar nicht geklärt.«
»Das hast du dir selbst zuzuschreiben, wenn du mir lieber Vorträge über mein verkorkstes Leben hältst und alte Kamellen hervorkramst.« Ich schnappte mir eine Scheibe Brot aus dem Füllkörbchen. Wegen des ganzen Geredes an diesem Morgen blieben mir nun nur noch lächerliche zehn Minuten, um das Brot, das hartgekochte Frühstücksei und zwei weitere Tassen Kaffee herunterzuschlingen, bis ich zur Arbeit musste. Für Leute wie Yva oder Papi oder andere Familienmitglieder wäre das überhaupt kein Akt gewesen, aber ich verabscheute Hektik, besonders dann, wenn sie am frühen Morgen stattfand.
»Jetzt sag schon, hast du nun was mit dem am Laufen?«, ignorierte sie einfach die Fakten.
»Er heißt übrigens Håkon und wir sind bloß Arbeitskollegen«, behauptete ich steif und fest, damit sie endlich Ruhe gab.
»Wer soll dir das bitteschön abkaufen?«
Stöhnend platzte ich vom Stuhl, sackte mein mit braunem Käse belegtes Brot und das noch ungeöffnete Ei ein und flüchtete auf den Flur. Dort klemmte ich mir das Brot zwischen die Zähne, um mir meinen Mantel ungehindert überwerfen zu können. Das Ei verstaute ich in der Seitentasche des Mantels und die Mütze, den Schal und die Handschuhe sammelte ich in null Komma nichts einhändig ein. Bis zum Auto waren es schlappe fünfzehn Schritte, und diese würde ich auch locker ohne winterfeste Klamotten am Leib überleben.
»Das ist aber nicht gesund, was du da tust«, rief Mami mir hinterher.
»Gesünder als mit Yva am selben Tisch zu sitzen ist es allemal!«, widersprach ich eher undeutlich, denn meine Zähne steckten noch immer in dem Brot fest.
»Bist du denn heute Abend pünktlich daheim? Wir haben uns nämlich vorgenommen, das Chaos im Keller zu beseitigen.«
»Ja, ja«, entgegnete ich heiter, zog die Tür von außen rasch ins Schloss und brummelte: »Keller! Ohne gescheiten Grund würde keiner der geladenen Gäste dort heruntergehen, Herrgott.« Doch nötig hatte er es.
Drei
»Seit dem Abendessen hat er sich nicht mehr bei mir gemeldet«, beklagte ich mich tags darauf via Handy bei Mailin im Flüsterton. Sie war meine Herzensfreundin und die Einzige, vor der ich keine Geheimnisse hatte. »Und als wäre das nicht schon traurig genug, verspätet er sich heute auch noch ganz zufällig.« Genauer gesagt war er drei Stunden über die Zeit. Das war ihm noch nie passiert.
»Du bewertest das über. Warum nimmst du das so persönlich? Ich meine, er ist viel zu verantwortungsbewusst und würde das Berufliche