EHER LERCHENJUBEL ALS UNKENRUF. Harald Kanthack. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harald Kanthack
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844266870
Скачать книгу
dem sich dem Gipfel nähernden Bergsteiger vom Gipfelfieber befallen. Ein Fieber, das Vorsichtsmaßnahmen missachten lässt. Da oben will er hin, zum Sehnsuchtspunkt all seiner bisherigen Anstrengungen und Vorbereitungen. Sich kurz davor wähnend, setzt er alles auf eine Karte, stürzt ab – oder findet nicht mehr zurück und landet im Glauben.

      Gestärkt und mit einer Sicherheit, die der Ungläubige nicht aufzuweisen hat, geht er gehörig erfolgreicher durchs Leben. Zeugt frohgemut Kinder und sorgt damit für den Bestand seiner Religion. Da sich nach der Evolutionstheorie Selektionsvorteile in erhöhter Nachkommenschaft manifestieren, dürfte inbrünstige Religiosität in evolutionärer Hinsicht durchaus von Vorteil sein. So haben denn auch die großen Kirchenmänner der Vergangenheit zahlreichen Nachwuchs aufzuweisen, die der Gegenwart, weil ohne Format, nicht.

      Eine weitere Erklärung dafür, etwas zu glauben, weil es absurd ist: Die Lebensumstände des Gläubigen ließen ihn mit der christlichen Religion dort in Bekanntschaft treten, wo diese Religion als wohlbegründete Sache galt. Ihr Inhalt war Wahrheit – ohne Zweifel. Und damit musste sich schließlich auch einmal der Verstand auseinandersetzen. Mit dem Ergebnis, mit dieser anerkannten Wahrheit nicht zu Rande zu kommen. Die Wahrheit konnte der Verstand jedoch nicht über Bord werfen, das verbot er sich selbst. Folgerichtig musste der Verstand dran glauben.

      Und die Vernunft? Die fand das sehr vernünftig. Sie sagte ihm: „Dass die Wahrheit nicht wahr ist, das kann doch nicht wahr sein.“ Gelegentlich aufkommender Zweifel wurde mit Trotz erstickt. So dass jetzt nicht trotz, sondern sogar wegen der Absurdität geglaubt wurde. Im Falle des Tertullian, das sei eingeräumt, verhielt es sich nicht ganz so. Denn er wuchs in einer Zeit auf, in der das Christentum um seinen Aufstieg zu kämpfen hatte. Sein Vater war noch 'Heide' gewesen.

      Gerne wird in der Verteidigung eines religiösen Glaubens auf die stattliche Zahl großer Geister der Gegenwart und Vergangenheit hingewiesen, die diesem Glauben einst huldigten bzw. noch huldigen. Der auf diese Weise Beeindruckte wird dann wohl an den Glauben eines anderen glauben, weniger an die eigentliche Botschaft. Zudem ist es ein Appell an die elementare Autoritätsgläubigkeit des Herdentieres, leicht zu schwächen durch den Hinweis auf kluge zeitgenössische Vertreter der verschiedensten, teils sich widersprechenden, Religionen. Wollte man redlicherweise auch noch die verstorbenen, mit Geistesgaben gesegneten Anhänger längst erloschener Religionen anführen, würde o.g. Appell geradezu lächerlich erscheinen.

      Es gehört nun einmal zum Wesen eines Glaubens (welchen Inhaltes auch immer), den Verstand nur da gänzlich auszuschalten, wo es um den Kernpunkt geht. Nämlich darum, die Botschaft grundsätzlich für wahr zu halten. Ist das geschehen, wird der übrige Verstand in den Dienst des Glaubens genommen. Der tief Gläubige ist ein Besessener, und was ihn besetzt, macht von allen Kräften des Besessenen Gebrauch, ohne sie zu vermindern. Sie werden nur in andere Richtungen gelenkt, tragischerweise in die falschen. Gleich dem Krebsgeschwür, das den Körper besetzt und dessen Kräfte zu seinem Wachstum missbraucht, um schließlich dem ganzen Organismus die Lebensfähigkeit zu rauben.

      Im übrigen ist religiöser Glaube wie die Liebe in erster Linie eine Herzensangelegenheit. Und wie oft haben wir uns schon über einen gescheiten Mann gewundert, in dessen Herzen eine ordinäre Vettel eine flammende Liebe entfachen konnte? Die lächelnde Sehnsucht, die aus ihrem Gesicht strahlte und von der schon Homer ergriffen war, mag da bereits genügt haben.

      Sollten dir, lieber Leser, meine Erklärungen des Phänomens 'In religiösen Angelegenheiten glauben auch kluge Leute an Absurditäten' wenig plausibel erscheinen, so bitte ich dich, einmal der Frage nachzugehen, warum diese Leute nicht in anderen Angelegenheiten ebenfalls Absurdes akzeptieren. Sie müssten doch zu allem, was auch immer aufgetischt wird, gläubig mit dem Kopf nicken.

      Alle diese Religionen, unterstützt von eminenten Geistern, flattern, so die Auslegung liberaler Denker, um das eine Urgeheimnis, das aufgrund seiner Tiefe verschiedene Zugänge erlaubt. Ein Argument, das allerdings nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. Im Buddhismus beispielsweise, einer altehrwürdigen Religion, kommt ein Gott überhaupt nicht vor. Die ersten christlichen Missionare hatten allein schon deswegen große Schwierigkeiten, Buddhisten Gottes Wort zu vermitteln, weil das Wort ‘Gott‘ nicht adäquat übersetzt werden konnte. In der Antike glaubte man an innerweltliche Götter, die dem Schicksal unterworfen seien. Die Zahl der Götter im Hinduismus beträgt mehrere Hunderttausend. Einer seiner Hauptgötter, Schiwa, offenbart sich, so die Lehre, in Formen, die seine Freude annimmt. Im Shintoismus, der heute noch sehr lebendigen Urreligion der Japaner, sind es die Ahnen, nicht Götter, welche die Hauptrolle spielen. Der Islam verbietet die bildliche Darstellung Gottes, weil sie ihn nie erfassen, nur herabsetzen könnte.

      Erklären ließe sich die Flatterhaftigkeit der mannigfachen Religionen freilich auch damit, da, wo kein Geheimnis sei, könne auch keine Lösung sein. Was die geschlossene Fensterscheibe ist, hinter der die verschiedensten Insekten auf und ab flattern, um ins Freie zu gelangen, ist unsere fixe Idee – die dem Buddhismus fremd ist – , die Welt müsse entstanden sein, folglich auch einen Schöpfer haben. Eine Wahnvorstellung, mit der wir einfach nicht ins Freie gelangen. Ohne diesen Fehlschluss verflüchtigt sich aber das Geheimnis der Welt; das Fenster öffnet sich. Wir sind im Freien, das zum unerschaffenen und unvergänglichen Ganzen gehört. Ein Ganzes, das aber, wie bereits dargelegt, kein Ganzes ist, weil ein Ganzes durch Grenzen konstituiert wird. Die aber fehlen nun einmal.

      Gewiss, den Beweis für die Anfangslosigkeit des Universums kann keiner erbringen. Er kann aber auch von niemandem gefordert werden. In der Beweispflicht stehen hingegen diejenigen, die einen Anfang behaupten. Die argumentieren, weil alles da sei, müsse es einmal nicht da gewesen sein. Eine verblüffende Folgerung, die eben nach einem Beweis verlangt.

      Gesetzt übrigens, es habe doch einen Schöpfer gegeben, so möchte ich an dieser Stelle auf das ungeheure Wagnis hinweisen, das er mit der Planung und Durchführung seiner Schöpfung eingegangen ist. Ein größeres Risiko ist wohl kaum vorstellbar als das, was mit der Hervorbringung der Welt verbunden war. Nach dem Verdikt der Pessimisten war das Unternehmen auch ein verhängnisvoller Fehlschlag mit der Folge einer nicht enden wollenden Malaise.

      Die ständige Erbostheit Gottes, die allein schon mit einem überlegenen Wesen nicht in Einklang steht, diese dauernde Gereiztheit, die mit Weisheit kaum zu vereinbaren ist, dieser Ingrimm, der uns fast aus jeder Seite des Alten Testamentes entgegenschlägt, lässt vermuten, dieser Murrkopf sei gleicher Ansicht. Woher hätte er auch rechtzeitig die Daten nehmen sollen, die ihn hätten warnen können, von der ganzen Sache besser die Finger zu lassen? Vorläufer, aus denen er hätte Erfahrungen ziehen können, gab es nicht. Auch keine kompetente Instanz neben oder über ihm, die ihm mit Rat hätte zur Seite stehen können. Philosophen, Theologen, Soziologen und Politiker, die sicherlich so manches besser gewusst hätten, waren ebenfalls noch nicht zur Hand.

      Woher sollte dieser Gott nur wissen, ob seine Ratschlüsse richtig sind? Erwägungen, in absoluter Einsamkeit angestellt, bezogen auf etwas noch nie Dagewesenes, Geschöpfe betreffend, die zusätzlich die Freiheit erhalten sollten, in eigener Regie bestimmen zu können, was sie tun und was sie lassen wollten. Davor stand er, der Schöpfergott und sagte sich (wem auch sonst): „Es soll geschehen!“

      In ihm einen Hasardeur zu sehen, möchte wohl übertrieben erscheinen. Aber einen Abenteurer mag man ihn wohl nennen dürfen. Wozu sich ja auch die Einsicht paart, unser ganzes Leben sei ebenfalls nichts weiter als ein Abenteuer.

      Weniger abenteuerlich veranlagt, hätte Gott die dem Menschen gewährte Willensfreiheit doch auch so ausstatten können, dass sie die Möglichkeit der freien Entscheidung zu allem enthält mit der einzigen Ausnahme, sich nicht für das Böse entscheiden zu können. Kaum vorstellbar, wie friedlich es mit dieser kleinen Einschränkung unter den Menschen zuginge. Zwar könnten sie nicht mehr jeden Abend mit einem Fernsehkrimi unterhalten werden – wäre doch der eigentliche Knüller der Willensfreiheit, die Möglichkeit des Bösen (vor allem Mord,Mord,Mord) entfallen – , dafür aber führten sie ein so gottgefälliges Leben, dass es allen zur allgemeinen Freude gereichen müsste. Doch o weh, auf diesen Knüller zu verzichten, gelingt – nach unserer Betrachtungsweise – noch nicht einmal einem Gott. Auch ihn verlangt es nach Sensationen.

      Da die Willensfreiheit in