EHER LERCHENJUBEL ALS UNKENRUF. Harald Kanthack. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Harald Kanthack
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844266870
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begegnen, erweckt im übrigen den Verdacht, ihre Verfasser hätten wirkliche Liebe noch nie empfunden. Denn was aus ihrem Phrasenarsenal in Sachen Liebe kommt, was ist all dies seicht' Geschwafel gegenüber zwei so unsterblichen Versen des persischen Dichters Saadi (13.Jahrhundert)? :

      „Wenn einst Dein geliebtes Haar Du neigst über mein Grab, noch aus dem Staub meines Leibes glüh'n Dir Blumen empor.“

      Somit war auch der bisher zweite Versuch dieses Gottes, uns zu bessern, ein Fehlschlag. Schaut man heute ins Heilige Land, in dem der Heiland vor 2000 Jahren Nächstenliebe predigte, wo geht es unfriedlicher zwischen den Menschen zu als dort? Der Zweck hätte niemals Gottes grausame Mittel heiligen können –zumal dem Allmächtigen wohl genügend andere zur Verfügung standen –, heiligen hätte diese Mittel nur, was sie immer und ewig heiligen wird: der Erfolg. Sein lähmender Schlangenblick verdammt jeden Tadel zur Wirkungslosigkeit.

      Was ist nun von einem Gott zu halten, der den Sieg der Nächstenliebe durch die Kreuzigung ihres Fürsprechers erringen wollte – und scheiterte? Selbst gutes Benehmen, immerhin eine Schaupackung der Nächstenliebe, ist rar. Wahrscheinlich hat er sich das selbst schon gefragt und plant den nächsten Läuterungsversuch. Die Zeit wäre überreif.

      Zu befürchten ist allerdings, auch dieser Versuch werde Gewalt zur Grundlage haben. Denn Fehler kann ja eigentlich dieser Gott, wie wir ihn uns vorstellen, nicht begehen, folglich aus Fehlern auch nicht lernen. Für ihn gilt nach wie vor und muss uns Vorbild sein, dass Gewalt die Ultima Ratio im Weltgeschehen ist.

      Zwar haben einsichtige Menschen schon früh darauf hingewiesen, das beste Mittel, die Menschen zu bessern, sei, sich ihnen gegenüber so zu verhalten, als seien sie schon gut. Ihnen so viel Vertrauen entgegen zu bringen, dass sie nicht anders können, als ihm gerecht zu werden. Ist doch Vertrauen von so hohem Wert, dass selbst Übeltäter gelegentlich nicht umhin können, ihm Respekt und dem Vertrauensvollen Achtung entgegen zu bringen. Aus diesem Grunde der Rat, Diebe oder Räuber als Wächter des eigenen Vermögens anzustellen, wiederholt erfolgreich befolgt worden ist. Indem man ihnen eine Höhe zutraut, die sie bisher nicht erreichen konnten, versuchen sie nun, diesem Urteil gerecht zu werden. Dass du von ihnen gut denkst, diese Annahme sind sie irgendwie getrieben, wahr werden zu lassen. Auch um den nicht zu enttäuschen, der sie ─ bis jetzt─ so unverdient überschätzt hat. Der ist ihnen nämlich von nun an sehr sympathisch. Gerne richten sie sich von da an nach seinem Urteil, verwandeln sich in die Person, die er in ihnen auf den ersten Blick gesehen hat. Einem so Geläuterten die alten Taten vorzuhalten, ist verurteilenswerter als diese Taten es sein mögen.

      Wirkungsvoll ist diese Vorgehensweise allerdings nur dann, wenn es Menschen von im Grunde edlerer Art betrifft. Der von Grund auf unedle Mensch ist so nicht zu beeindrucken und sieht darin nichts als grenzenlose Dummheit und Schwäche.Woraus ersichtlich ist, wie Gott die charakterliche Beschaffenheit der Mehrheit seiner menschlichen Kreaturen einschätzt.

       Seine bisherigen Misserfolge, die Menschen zu bessern, waren bestimmt nicht seine Fehler (die es ja nicht geben kann), sondern lagen an unserer Starrköpfigkeit und Sündhaftigkeit. Aber er hat uns doch so geschaffen, wie wir sind. Wenn ein Produkt nicht so funktioniert, wie sein Produzent es geplant hat, muss dafür das Produkt die Verantwortung übernehmen?

      Eine sehr unangenehme Frage an diejenigen, welche die christliche Religion verwalten. Doch ich sehe ihr mildes, überlegenes Lächeln. Auf die grundlegende Frage nach der Verantwortlichkeit des Menschen antworten sie mit einer Grundlegende, der Willensfreiheit des Menschen. Gott hat, als er uns schuf, uns etwas implantiert, was, technisch gesprochen, einem Zufallsgenerator in elektronischen Produkten gleicht.

      Danach kann der Mensch sich frei, ohne durch irgendwelche Motive gezwungen, für A oder B, oder, um bei unserem Thema zu bleiben, für das Gute oder das Böse entscheiden. Und wie er sich auch entscheidet, kann er nun dafür zur Verantwortung gezogen werden. Höchststrafe ist nicht lebenslängliche Haft (ohne zusätzliche Leiden), nicht der Tod, sondern ewiger Schmerz und ewiges Leid in der Hölle. Für ein zeitliches Vergehen muss der Sünder ewig durch das Erleiden von Qualen (mit Ausnahme der Qual der Langeweile) büßen. Denn als er vor zwei Gläsern saß, das eine gefüllt mit Wein (gutes Handeln plus ewiges Leben im Himmel), das andere mit Gift ( böses Leben plus ewiges Leiden in der Hölle), entschied er sich vollkommen frei dafür, das Giftglas zu leeren. Während der Glückliche ebenso frei den Wein wählte.

      Ausgeschlossen ist auch die Möglichkeit eines späteren göttlichen Gnadenerweises. Wenn der Gemarterte nach Ablauf von, sagen wir einmal, zehn Billionen Jahren Reue empfindet, seine Missetaten verurteilt und durch Schmerzen tiefgläubig geworden ist, so hilft ihm das gar nichts. Einmal in der Hölle, immer in der Hölle.

      Ob unter den Höllenbewohnern gelegentlich einer anzutreffen sein wird, der so großmütig ist, Gott zu vergeben, was ihm auf Ewigkeit angetan wird? Wozu allerdings ein Ausmaß an Großmut erforderlich wäre, das den Träger eingangs wohl eher in den Himmel hätte bringen müssen.

      Wie sich übrigens diejenigen, die sich durch Tugend den Himmel verdient haben, glücklich und selig fühlen können, wohl wissend um die da unten im Höllenfeuer Leidenden, ist so unverständlich, wie das Wohlbefinden der Seereisenden früherer Epochen, als unter ihnen die Galeerensklaven erst dann abgekettet und und über Bord geworfen wurden, wenn sie ihren letzten Ruderund Atemzug getan hatten. Bedeutet Tugend menschliches Richtigsein, kann es nicht Tugend sein, die im Himmel glückselig werden lässt.

      So frage ich denn, ob ein Wesen, das in der Lage war, diese Welt hervorzubringen, ob ein Wesen, dem höchste Güte und Weisheit zugesprochen wird, ob ein Wesen, das die Liebe verkörpert und zum Grundprinzip des Lebens erkoren hat, ob ein solches Wesen seine Geschöpfe so ungeheuerlich grausam bestrafen kann dafür, die ihnen verliehene Willensfreiheit auch zu gebrauchen? Einer Einrichtung, die ja gerade erst dadurch Gehalt erfährt, sich einmal so und ein andermal nicht so entscheiden zu dürfen. Bejahst du diese Frage, musst du diesem Wesen vor allen anderen Eigenschaften die der Bösartigkeit zuerkennen.

      Nein, erwidere ich, diese Höchststrafe widerspricht ganz und gar der Vorstellung, die sich ein gerechter Mensch von einem allerhöchsten Wesen bilden kann. Selbst ein ungerechter Mensch wird diese ewige Strafe, auch wenn sie nur einen anderen träfe, nicht billigen.

      Nun stelle man sich den Gottlosen während seiner ewigen Anwesenheit in der Hölle vor, wie er ohne Hoffnung, aber auch ohne Furcht – woher sollten beide noch kommen? – über diesen allmächtigen Sadisten, der ihn in diese Lage gebracht hat, herzieht in Worten, die kein Mensch auf Erden wagte zu gebrauchen! Und die ewig Mitleidenden, ebenso ohne Furcht und Hoffnung, stimmen mit ein in die unflätigsten, aber auch herzzerreißenden Verfluchungen dieses Herrn der Marter und Folter. Ein Chor, fast so groß wie die Zahl der Menschen, die je gelebt haben, verdammt den, der ihn dorthin gebracht hat. Tag und Nacht und in alle Ewigkeit verfluchen die Gemarterten den Leuteschinder. Wobei es da unten zweifelsohne Tag und Nacht nicht geben wird, alles ja auch durch das Höllenfeuer seine Beleuchtung erfährt. Den Kerkermeister aber, den Teufel, werden die Opfer der immerwährenden Schinderei verschonen, denn der versucht jetzt wenigstens, sich bei den Verdammten lieb Kind zu machen. Weiß er doch, einstmals unter ihnen und mit ihnen leiden zu müssen. Denn so steht es geschrieben.

      Den einzig verbliebenen Trost werden die Höllenbewohner, so ist zu vermuten, in ihrer Zahl sehen. Heißt es doch auf Erden schon oft genug: „Tröste dich, den anderen ergeht es genauso!“ Obwohl es eigentlich ein Trost sein müsste, wenn nur wenige von einem Unheil heimgesucht werden. Am besten wäre es, wenn schon ein Unglück eintritt, es träfe nur einen einzigen. Dem wird jeder zustimmen, vorausgesetzt, dieser einzige ist nicht er selbst. Eine Grundhaltung, so widerlich, dass allein sie schon einen (begrenzten) Höllenaufenthalt rechtfertigen würde.

      Man täusche sich nicht, diese Leute da unten haben nichts mehr zu verlieren und nichts mehr zu gewinnen, nur noch zu leiden ─ ohne Ende. Warum sollten sie den Verursacher ihrer ewigen Leiden nicht ewig aufs zotigste schmähen und verunglimpfen und sich damit etwas Erleichterung verschaffen? Warum sollten die ohne Unterlass Gepeinigten nicht wenigstens so weit auf die Hölle einwirken, dass sie aus ihr einen kakophonischen Klangkörper gestalten, der dem da oben auch ein bisschen einheizt? Ob das Wort 'Höllenlärm' sich hierauf bezieht? Das wir so gerne