Das Blut des Sichellands. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844268690
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zeigte ihm nur umso mehr, dass Lennys die Bedeutung dieses Geschenks durchaus bewusst war.

      "Ich verstehe das." sagte er und winkte Bohain, Wandan und Akosh hinaus. "Lass dir alle Zeit, die du haben willst. Wenn wir dann gemeinsam in den Großen Saal zurückkehren, wirst du die Sichelweihe erhalten, ganz so, wie es sich gehört. Du warst nicht darauf vorbereitet, aber du solltest es sein."

      Die Tatsache, dass Lenyca bereits an ihrem sechzehnten Geburtstag in den Rang einer Sichelträgerin erhoben worden war, verbreitete sich in Semon-Sey wie auch in ganz Cycalas wie ein Lauffeuer. Allerorts beteuerten die Menschen auf der Straße, dass sie schon immer gewusst hätten, dass Satons Tochter eine herausragende Kriegerin werden würde, die vielleicht sogar noch ihren eigenen Vater übertraf. Von überall her vernahm man plötzlich, dass es keine Überraschung sei, denn es hatte ja so kommen müssen. Und doch sprach man über nichts anderes mehr. Niemand wollte sich die Blöße geben, zuzugeben, diese Entwicklung nicht erahnt zu haben.

      Die einzige, die sich weder Freude noch Erleichterung oder gar Verwunderung anmerken ließ, war Lennys selbst. Große Gefühlsausbrüche waren ihr fremd und selbst ihr sonst so ausgeprägter Stolz wollte sich nicht so recht zeigen. Im Gegenteil, sie trug die Sichel mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als sei die Waffe nicht außergewöhnlicher als der Gürtel, an dem sie befestigt war.

      Sie ahnte, dass sich jeder andere an ihrer Stelle bedankt hätte - beim Vater, beim Waffenschmied, beim Ausbilder und beim obersten Cas. Und alle anderen erwarteten genau das von ihr - Dankbarkeit, Ehrfurcht, vielleicht sogar Demut. Nur die, die dieses Geschenk zu verantworten hatten, taten es nicht. Vielleicht, weil sie sie inzwischen gut genug kannten. Vielleicht auch, weil sie es gar nicht wollten.

      Erst spät in der Nacht jenes Geburtstages, als Lennys mit Saton allein auf dem Dach des Casflügels stand, sprach Saton sie noch einmal auf die Sichel an.

      "Du hast mehr erreicht als jeder andere Krieger in deinem Alter bisher."

      "Wie alt warst du?" fragte sie, wobei es nur mäßig interessiert klang.

      "Siebzehn." antwortete der Shaj wahrheitsgemäß. "So, wie es unsere Gesetze vorsehen."

      "Du hättest bei mir keine Ausnahme machen müssen." erwiderte Lennys zu seiner Verblüffung. "Niemandem wäre es aufgefallen."

      "Mir schon. Du hast es verdient, Lennys. Du bist bereits jetzt weiter als alle anderen, die ein Jahr älter sind. Du erfüllst alle Voraussetzungen. Aber mir scheint, du bist nicht recht zufrieden damit."

      "Doch..." sagte sie. "Ich bin zufrieden. Viele werden mich beneiden, aber das ist nicht entscheidend. Aber du hast mir selbst gesagt, ich müsse mich an Regeln halten, auch wenn sie mir unsinnig erscheinen. Und dennoch hast du dich gegen eine dieser Regeln gestellt, um mir die Sichel schon jetzt zu geben. Ich bin froh, dass du das getan hast, aber... ich verstehe es nicht. Es hätte niemandem geschadet, wenn ich genauso lange wie alle anderen hätte warten müssen."

      "Das hätte es nicht, das ist richtig. Aber es hätte auch niemandem genutzt. Ich möchte, dass dir von nun an alle Möglichkeiten offen stehen, die dir unsere Säule bietet. Du sollst mit den Besten trainieren. Mit den obersten Klassen und - wenn du möchtest - auch mit den Cas. Ich weiß von Bohain, dass du in deiner Ausbildungsriege im Grunde unterfordert bist. Das Säbeltraining langweilt dich zusehends. Und das ist noch nicht alles. Du bist meine Tochter, Lenyca. Es wird Zeit, dass du auch die Seiten meines Schicksals kennenlernst, die ich bisher von dir ferngehalten habe."

      "Welche Seiten?"

      "Ich habe dich zu Ash-Zaharr gebracht. Du erhältst Unterricht und du kennst jeden Winkel der Burg. Du willst mir nicht auf den Thron folgen, denn du kennst nur langweilige Regierungsgeschäfte und reizloses Kampftraining. Aber ich glaube, dass du nun alt genug bist, um zu sehen, dass auch ich lebe. Und das Leben ist draußen, jenseits der Mauern Vas-Zaracs. Und auch jenseits unserer Grenzen."

      Sie sah auf.

      "Du willst mich mitnehmen? In den Süden?"

      "Noch nicht, das habe ich dir bereits vor einigen Tagen erklärt. Es sind viele Schritte bis zur Abendinsel, aber zumindest einige werde ich dir zugestehen. Dann sehen wir weiter. Ich weiß sehr wohl, dass du das Umland Semon-Seys besser kennst als mir lieb ist. Ich weiß, dass du dann und wann nachts die Kasernen oder die Festung verlässt und durch die Wälder reitest. Es ist recht schwer, dich davon abzuhalten, ganz gleich, wie gut ich dich bewachen lasse..."

      Er lächelte und Lennys spürte, dass er nicht allzu verärgert war.

      "Es wäre dumm, zu glauben, dass ich dich einsperren kann. Und nicht zuletzt deshalb ist es mir nur recht, wenn ich weiß, dass du dich deiner Haut zu wehren weißt. Nicht ich habe entschieden, dass du alt genug für die Sichel bist - sondern du. Du hast mir gezeigt, dass du die Sichel nicht nur willst, sondern auch, dass du sie brauchst. Und jetzt, da du sie hast, sehe ich auch keinen Grund mehr, warum ich dich noch länger von dem fernhalten sollte, wofür die Klinge gedacht ist."

      "Die Hantua?"

      Er nickte. "Nicht nur, aber auch. Versteh mich nicht falsch, ich möchte nicht, dass du zu hohe Erwartungen hast. Ich werde dich von nun an mitnehmen, wann immer es mir richtig und möglich erscheint, aber es wird auch in Zukunft immer wieder Momente geben, in denen du zurückbleiben wirst und mir nicht folgen kannst."

      "Nicht mehr lange, und ich kann selbst entscheiden."

      "Du stehst dann nicht mehr unter dem Wort deines Vaters... aber immer noch unter dem deines Shajs." berichtigte Saton freundlich. "Und vielleicht auch unter dem anderer Krieger. Egal, wie hoch ich dich erhebe, Lenyca,..."

      "...du wirst Wandan nicht seines Ranges entbinden." vollendete sie den Satz ohne Bitterkeit. "Das würde ich auch nie erwarten. Wirst du mich zur Cas weihen?"

      Saton lächelte vielsagend. "Wenn ich keinen Zweifel an dir habe, werde ich das sicher. Doch auch bis dahin ist es für dich noch ein weiter Weg. Überstürze nichts und gehe einen Schritt nach dem anderen. Nur so erreichst du dein Ziel."

      "Sichelträgerin..." seufzte Rahor. "Meinen Glückwunsch. Du hast mich also doch eingeholt. Ich dachte nicht, dass es so schnell gehen würde."

      Lennys zuckte die Achseln. Sie saß mit Rahor, Garuel und einigen anderen Säbelschülern im Gras hinter der Kasernenmauer. Noch immer gehörte diese Stelle zu ihren Lieblingsplätzen und obwohl einige ihrer Ausbilder von diesem Treffpunkt wussten, legten sie es zumindest in den frühen Abendstunden nicht darauf an, hier nach möglichen Regelverstößen zu fahnden. Solange die jungen Leute sich nicht weiter von der Kaserne entfernten und sich hier keinen größeren Verfehlungen hingaben, akzeptierten sie diese Zusammenkünfte stillschweigend.

      "Von 'Einholen' kann keine Rede sein." korrigierte Lennys. "Du hast deine Sichelprüfung schon vor drei Monaten abgelegt."

      "Und doch trainieren wir von nun an zusammen. Und du hast deine eigene Kampfsichel und darfst sie tragen, wann immer du willst. Ich muss damit noch bis zum Winter warten. Seit wann bist du so bescheiden?"

      Alle lachten. Es sah Lennys nicht besonders ähnlich, ein an sie gerichtetes Lob zu schmälern.

      "Ich bin nur realistisch. Und eigentlich habe ich keine Lust mehr, über dieses Thema zu reden. Hat denn keiner etwas Interessanteres zu erzählen?"

      Orcus grinste. "Rahor wüsste da schon etwas, oder? Jetzt sag schon, wie sind ihre ersten Übungskämpfe gelaufen?"

      Rahor druckste herum, doch Lennys musterte ihn nachdenklich.

      "Wessen Kämpfe?"

      "Racyls!" sagte Orcus sofort, noch ehe Rahor den Mund öffnen konnte. "Sie soll ja ganz gut sein, habe ich gehört..."

      "Halt den Mund!" ertönte eine Stimme von der Seite her. Es war Garuel, der sich bislang herausgehalten hatte. "Wenn Rahor von seiner Schwester erzählen will, soll er es tun, aber du hast dich da nicht einzumischen."

      Beleidigt verdrehte Orcus die Augen.

      "Ich dachte, Lennys interessiert sich dafür. Aber schön, dann eben nicht."

      Womöglich