DÄMONEN DER STEPPE. Michael Stuhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Stuhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847641261
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er sie lächelnd an, stand auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du bist willkommen!“, sagte er schlicht - und Ysell konnte es noch gar nicht begreifen, dass sie gerade in die Trossmannschaft aufgenommen worden war. Dass Bogan gerade sie als Aufspürerin auswählen würde, das hätte sie noch eben nicht zu hoffen gewagt. - Es war ihr nämlich vollständig entgangen, dass sie, trotz all der ekligen, schweren Arbeit, schon mehr als einen Mond lang keinen Wutanfall mehr gehabt hatte.

      Bogan hielt viel von Ysell. Das Mädchen hatte seiner Meinung nach eine nahezu unerschöpfliche Energie und einen scharfen Geist. Er hatte es sich nicht anmerken lassen, aber er hatte sich sehr gefreut, als Nekoi ihm anbot, Ysell als Schülerin aufzunehmen. Nekoi war die Frau eines reichen Händlers gewesen, den man bei Unehrlichkeiten erwischt hatte. Sein ganzes Vermögen war vom Gericht eingezogen worden und er war noch vor der Verhandlung an den Folgen der Aufregung gestorben. Nekoi war völlig mittellos zurückgeblieben und Bogan hatte sie in seine Gruppe aufgenommen, obwohl sie mit über vierzig Jahren schon sehr alt für den Trossdienst war. Wenn Nekoi auch über keinerlei Vermögen verfügte, so brachte sie doch etwas mit, was Bogan mehr als alles andere schätzte. - Ihren Verstand, ihre Gelassenheit und ihr fundiertes Wissen.

      Nekoi war eine kluge Frau, und Bogan unterhielt sich gerne mit ihr. Sie brachte etwas in den Alltag der Trossmannschaft, das vorher in dieser Form nicht da gewesen war, und das auch Bogan nicht mit einem Wort zu benennen gewusst hätte. Respekt war es wohl, was die Trossleute Nekoi entgegenbrachten, aber es kam noch mehr dazu. - Wenn Bogan von den jungen Leuten als väterlicher Vorgesetzter gesehen wurde, den man wegen seiner Strenge ein wenig fürchtete, so galt Nekoi bald als die mütterliche Freundin, die, ob ihrer Güte, so manches bei Bogan durchsetzen konnte. All das, was man ihm selbst nicht vorzutragen wagte, bekam er früher oder später über sie zu hören und konnte so auf die Wünsche seiner Leute reagieren, ohne selbst als zu nachgiebig angesehen zu werden.

      Bald schon hatte Nekoi aus eigenem Antrieb begonnen, ausgesuchten jungen Trossleuten Unterricht zu geben, und Bogan war es recht. Es konnte nicht schaden, wenn der Tross dem Clan in geistiger Hinsicht zumindest ebenbürtig war. Trossleute waren eigentlich nur wichtig, solange sich der Clan auf der Wanderschaft befand, danach würden sie keine große Rolle mehr spielen. Sobald das Ziel erreicht und gutes Land gefunden war, hatten sie ihre Aufgabe erfüllt und wahrscheinlich waren die meisten Trossleute der früheren Clans als ungebildete Hilfsarbeiter in der Bedeutungslosigkeit versunken. Vielleicht konnte das diesmal mit Nekois Hilfe ja anders werden. Warum sollten Trossleute nicht im Rat der Siedler mitsprechen und an den Entscheidungen teilhaben? Das nötige Rüstzeug dazu würden sie jedenfalls haben.

      Bogan schätzte Nekoi sehr, und soweit sein eher schroffes Wesen das zuließ, gestand er sich sogar ein, dass er sie liebte. Oft kam es vor, dass sie am Abend zusammensaßen und die Ereignisse des Tages besprachen, und wenn ihnen gerade danach war, beschränkten sie die Besuche nicht nur auf das Reden, denn nach und nach hatten sie immer mehr Gefallen aneinander gefunden. Nekoi und Bogan pflegten eine liebevolle Beziehung voller gegenseitigen Respekts, denn sie waren beide sehr stark - und wäre ihnen die sichere Freiheit nicht noch lieber als die Sicherheit einer festen Bindung gewesen, so hätten sie als Paar zusammengelebt.

      So kam es, dass Ysell nach wenigen Monden schon besser ausgebildet war als die meisten Bewohner der Stadt. Sie war sehr stolz auf ihre neuen Künste, und wenn es irgendwo etwas vorzulesen, zu schreiben oder zu rechnen gab, bot sie sich gerne an und erntete auch so manche kleine Belohnung für ihre Freundlichkeit. Bedauerlich fand sie nur, dass ihre eigenen Eltern so gar kein Gespür dafür zu haben schienen, wie stolz sie auf sich selbst war.

       LÄUFER

      Ysells Mutter machte Schwierigkeiten. Zuerst war es sehr schwer für Ysell gewesen, sie überhaupt dazu zu bewegen, sich einmal mit Bogan zu unterhalten. Tage waren darüber hinweggegangen. Dann aber, als sie schließlich doch mit Bogan und Ysell auf der Bank im Hof des Zwingers saß, entdeckte sie auf einmal die Liebe zu ihrer Tochter und machte Bogan schwere Vorwürfe, dass er ihr Kind in die Wüste locken wolle - einem ungewissen Schicksal entgegen. Ihr armes, blindes Kätzchen wolle mit offenen Augen in sein Verderben laufen, lamentierte sie und brachte es tatsächlich fertig, ein paar Tränen hervorzuquetschen. Dann verlegte sie sich unvermittelt aufs Feilschen und Fordern. Ihr Atem roch nach Wein, und Ysell schämte sich furchtbar. Nicht genug damit, dass ihre Mutter Bogan zwischen den Worten unterstellte, er habe noch andere als berufliche Absichten, was Ysell angehe, denn schließlich sei diese ja fast schon eine junge Frau - sie verlangte sogar noch Geld von ihm, damit sie ihm ihre Tochter überließ. Nur Bogans begütigenden und warnenden Blicken war es zu verdanken, dass Ysell nicht vor Scham und Wut mit erhobenen Fäusten auf sie losging.

      Bogan verhandelte sehr geschickt. Mit Meisterschaft spielte er den tumben Hundezüchter, der sich das Futter für seine Tiere zusammenbetteln müsse und dabei selbst kaum etwas zu beißen habe. Er hatte sofort gemerkt, dass es Ysells Mutter nur darum zu tun war, sich in den Vordergrund zu spielen, und er machte das Spiel Ysells wegen mit. Als er sie sogar nach einer kleinen Spende fragte, zog Ysells Mutter dann auch eilig, zwar ohne Geld - aber hoch erhobenen Hauptes - von dannen. Sicherlich in dem Gefühl, diesem ärmlichen, alten Hundetreiber haushoch überlegen zu sein. Ihre Genehmigung zu Ysells Anstellung hatte sie aber gegeben - und das war das Einzige, was zählte.

      Noch am Abend des selben Tages holte Ysell ihre Kleidung, ihr Bettzeug und all ihre kleinen Schätze von Zuhause ab. Bogan wies ihr ein Bett in einer Kammer direkt neben dem Zwinger an. Jetzt war sie eine Aufspürerin.

      Keiner freute sich mehr über Ysells Anstellung als Läufer. Der Welpe war ganz begeistert von Ysell. Langsam begann er, sich von seiner Mutter zu lösen und sich mehr und mehr seiner neuen Freundin zuzuwenden. Nachdem er das klein gehackte Fleisch, das Ysell den Welpen täglich brachte, zunächst misstrauisch beäugt und beschnüffelt hatte, beteiligte er sich schon bald an der Rangelei seiner Geschwister um die besten Brocken. Anschließend legte er sich flach auf den Bauch und wischte sich die Schnauze mit ruckenden Bewegungen auf dem staubigen Lehmboden des Hofes ab. Ysell versuchte einmal, ihm mit einem Lappen behilflich zu sein, aber das hatte er nicht so gern. Eigensinnig legte er sich nach überstandener Prozedur flach auf den Boden und sah nach kurzer Zeit einem feuchten Maulwurf wieder ähnlicher als einem stolzen Trosshund, der er ja mal werden wollte.

      Überhaupt nicht begeisternd fand Läufer auch die Behandlung, die Ysell ihm und den anderen Welpen auf Bogans Geheiß hin antun musste. Fünf Tage lang hatte sie jedem der Tierchen ein bitteres Gebräu einzuflößen, das Bogan in der Küche aus allerlei Kräutern selbst hergestellt hatte. „Entwurmen“ nannte er das und schärfte Ysell ein, nur ja recht genau damit zu sein, denn wenn die Welpen die Medizin nicht nähmen, dann würden sie bald schon sehr krank werden.

      Die Kräuterbrühe schmeckte wirklich abscheulich, wie Ysell feststellte, denn sie probierte natürlich ein paar Tropfen davon. Sie konnte schon verstehen, dass die Welpen sich winselnd hinter ihrer Mutter zu verbergen suchten, wenn sie das Gefäß und den Löffel bloß sahen. Ysell hatte aber mittlerweile überhaupt keine Angst mehr vor Féira, und die dachte überhaupt nicht daran, ihre Welpen zu beschützen, denn erstens hatte sie ihre Anweisungen von Bogan und zweitens spürte sie, dass Zweibein-Welpe es gut mit ihren Kindern meinte.

      Die Welpen wehrten sich nach Leibeskräften, wenn Ysell ihnen sanft, aber mit Nachdruck den randvollen Löffel zwischen die Kiefer zwängte. Sie strampelten, knurrten, zeigten die Zähne und versuchten fortzulaufen - aber es half alles nichts, Ysell war unerbittlich. Mehr als einmal musste sie den Löffel nachfüllen oder sogar neues Gebräu aus der Küche holen, wenn die Welpen die Schale wieder einmal umgeworfen hatten. - Aber so wild sich die jungen Hunde auch gebärdeten, nie versuchte einer von ihnen, Ysell wirklich zu beißen - es war nur ihre Art zu zeigen, dass sie das Zeug einfach ekelhaft fanden.

      Féira sah sich das ganze Spektakel auf den Hinterbeinen sitzend ruhig an und wartete darauf, dass wieder Ruhe einkehre. Seit sich die Welpen langsam an feste Kost gewöhnten, ließ sie sie immer seltener bei sich trinken und ihr Mutterinstinkt erlosch wirklich nach und nach, genau, wie Bogan es vorausgesagt hatte.

      Fast einen Mond lang dauerte es, bis Ysell dazu kam, sich abends einmal ihre mitgebrachten Kinderschätze