Augenblicke später fand sich Ysell, krampfhaft bemüht, nicht gänzlich vornüber zu kippen, bis zu den Hüften in ein Fass gebeugt wieder. Als Neuling stand ihr natürlich die „beste“ aller Arbeiten zu und sie musste mit ihren bloßen Händen die kleinen Fleischstücke vom Boden der Fässer angeln, die ihr Kollege mit der klobigen Schöpfkelle nicht aufnehmen konnte.
Die Aufspürer brachten einen Napf nach dem anderen zum Zwingergebäude und kamen so wenigstens für kurze Zeit in den Genuss atembarer Luft. Nur Ysell schuftete in der stinkenden Baracke ununterbrochen stumm und verbissen vor sich hin.
Danach hieß es Wasser schleppen. Fässer, Karren, Fußboden und Arbeitstisch mussten peinlich sauber geschrubbt werden. Nicht ein Fleischfetzchen durfte Bogan noch vorfinden, wenn er kontrollieren kam, denn sonst gab es furchtbaren Ärger, wie Ysell erfuhr.
Viel später, es war schon zwei Handmaß vor Hochsonne, ging Ysell langsam über den Hof - abwechselnd tief gebückt oder im Entengang. Zwei dünne Brettchen in den Händen, kümmerte sie sich um die Hinterlassenschaften der Trosshunde. Der Kot wurde täglich entfernt und war deshalb auch nicht ausgetrocknet. Ysell begann, Trosshunde zu hassen.
Endlich, zur Zeit der Hochsonne, nachdem sie noch etliche leere Zwinger geschrubbt hatte, durfte sie sich selbst waschen und ein wenig ausruhen.
In dem Futterschuppen und während der Drecksarbeit auf dem Hof hatte Ysell gedacht, dass ihr nie wieder ein Essen richtig schmecken würde, aber der köstliche Duft, der ihr aus der Gemeinschaftsbaracke entgegenschlug, überzeugte sie schnell vom Gegenteil. An warmes Essen war Ysell nicht gewöhnt. Ihre Mutter kochte nur selten und der Vater war’s zufrieden. „Für das bisschen, was ich esse, trinke ich lieber ein wenig mehr“, pflegte er zu sagen und Ysell konnte nur bestätigen, dass das aufs Wort stimmte.
Die beiden Trossleute, die heute Küchendienst taten, hatten sich angestrengt, und das Essen war ihnen hervorragend gelungen. Klein geschnittenes, gebratenes Fleisch war mit vielen verschiedenen Gemüsesorten zu einem würzigen Gericht verkocht worden und Ysell stellte sich brav am Ende der Schlange an, um ihren Anteil zu erhalten. Kurz darauf balancierte sie einen Holzteller und einen ebensolchen Löffel zum nächsten Tisch, an dem noch ein Platz frei war. Ysell hatte nicht gewusst, dass bei den Trosshunden und Tragtieren so viele Menschen arbeiteten, es mussten an die dreißig Frauen und Männer sein, die hier in der Pause zusammensaßen.
Ysell löffelte genüsslich ihr Essen. Es schmeckte noch besser, als es gerochen hatte, und auch als Pekan, ein junger Trossmann von der Tragtierzucht, ihr erklärte, das Essen sei nur deswegen so gut, weil Bogan persönlich jeden Tag die besten Stücke aus den Futterfässern angle, ließ sie sich nicht stören. Sie nickte nur verstehend und besonders genüsslich schmatzend mit vollem Mund, worauf sich Pekan kopfschüttelnd zurückzog.
Bogan selbst aß auch in der Gemeinschaftsbaracke. Nach dem Mahl saß man noch eine Weile zusammen und Bogan unterhielt sich mit einigen Leuten. Er hörte sich an, was für Probleme sie bei der Arbeit hatten, erkundigte sich nach bestimmten Tieren und gab einige Anweisungen und Ratschläge. Ysell spürte, dass alle Anwesenden hier Bogan hoch achteten und seine Meinung respektierten. Ysell war allerdings nicht so ganz zufrieden mit dem Alten - er sollte sie jetzt endlich zu Läufer bringen!
Als habe Bogan ihre Gedanken erraten, stand er nun auf und kam an Ysells Tisch. „Na, wollen wir jetzt mal sehen, was Läufer so macht?“, fragte er Ysell „Dann wasch mal schnell deinen Teller ab und komm.“
Blitzschnell war Ysell auf den Füßen und flitzte zu den Wassereimern, die neben einem Tisch standen. Augenblicke später war sie bereit.
„Wie hat dir denn das Essen geschmeckt?“ wollte Bogan wissen, als die beiden zusammen über den Hof gingen.
„Dafür, dass das Fleisch aus den Fässern kommt, nicht schlecht.“ Ysell meinte, sich eine kleine Frechheit schon erlauben zu können.
„Ja, ja“, sagte Bogan, der den alten Witz sehr wohl kannte „Ich gebe mir auch immer sehr viel Mühe bei der Auswahl.“
Ysell blieb stehen und starrte Bogan mit offenem Mund an. Dann musste sie krampfhaft schlucken und etwas in ihrem Magen machte einen kleinen Hopser. Konnte es sein, dass er wirklich ... Bogan drehte sich zu ihr um und sein Gesicht war todernst - aber nicht lange. Da begriff Ysell, Bogan konnte nicht nur streng sein, er war auch ein altes Schlitzohr und konnte mit gleicher Münze zurückzahlen. So kamen die beiden mit einem Lächeln auf dem Gesicht bei Läufer an.
Vor die Bekanntschaft mit Läufer hatten die Götter erst einmal Ysells Prüfung durch Läufers Mutter gesetzt. Den kantigen Kopf misstrauisch gesenkt, stand sie vor ihren Welpen, als Bogan die Tür des abgelegenen Schuppens geöffnet hatte. Ysell getraute sich keinen Schritt weiterzugehen. Die Hündin hatte, genau wie der kleine Läufer, tiefschwarzes, kurzes Fell; aber sie war so erschreckend groß - sie hätte Ysell das Gesicht lecken können, ohne die Vorderpfoten vom Boden zu nehmen. Noch nie hatte Ysell einen so gewaltigen Hund gesehen. Die Hündin hechelte. Ihre Reißzähne waren so lang wie Ysells Daumen - und auch genauso dick. Diese Hunde sollten sprechen können, hatte Bogan gesagt? Oh ihr Götter! - Hoffentlich hatte Läufer sich nicht über sie beschwert.
Bogan hatte kein Wort gesagt und dem Tier auch kein Zeichen gegeben, als die Hündin plötzlich den Blick von Ysell nahm und zu ihm aufschaute, als habe sie ein Kommando vernommen. Dann ging sie langsam auf Ysell zu, beschnüffelte ihre Hand - und gab den Weg in den Schuppen frei.
„Geh nur“, wurde Ysell von Bogan ermuntert. Ich habe ihr gesagt, dass du freundlich bist, du brauchst keine Angst mehr zu haben.“
„Ich habe keine Angst“, presste Ysell hervor, denn die Furcht schnürte ihr die Kehle zu.
„Dann muss Féira sich wohl irren“, stellte Bogan fest „Das ist seltsam, denn sie irrt sich fast nie.“
„Féira heißt sie? Kann sie spüren, was ich denke?“ Ysell stand wie angewurzelt da. Der große Hund machte ihr immer noch Angst.
„Sie spürt, was ich denke“, erklärte Bogan „Bei dir spürt sie nur, was du fühlst. Sie hat dich übrigens Zweibein-Welpe genannt. Sie sieht keine Bedrohung in dir.“
Zweibein-Welpe! - Das gab Ysell den nötigen Schub. Sie sah sich eher als junge Frau und wollte auch entsprechend behandelt werden. Tapfer ging sie in den Schuppen hinein und schaute sich nach Läufer um.
Obwohl im Schuppen nur Dämmerlicht herrschte, erkannte Ysell Läufer sofort. Die Welpen lagen alle auf einem Lager aus Stroh. Läufer thronte in der Mitte und nuckelte am Ohr eines Geschwisterchens. Plötzlich aber, als habe sie ihn gerufen, ließ Läufer Ohr Ohr sein und sah Ysell an. Hastig strampelte er sich aus dem Nest heraus.
Ysell sah den Welpen an und beugte sich zu ihm nieder. Läufer schien ihr nichts nachzutragen; neugierig kam er auf seinen dicken Pfoten angetapst und sah sie treuherzig an. Ysell spürte, wie etwas in ihrem Inneren nachgab und ganz weich wurde. Liebevoll hielt sie dem Tierchen zur Begrüßung den Zeigefinger entgegen und konnte sich vor Lachen kaum halten, als es unverzüglich anfing, daran zu saugen.
„Nun, Ysell - wie hat dir der erste Tag deines Dienstes gefallen?“, wollte Bogan später wissen und schaute sie ernst an.
„Hm - ja - ganz gut.“ antwortete Ysell, denn es war ja wirklich nicht alles nach Wunsch verlaufen.
Bogan ließ sich durch das Zögern nicht beeindrucken. „Dann kann ich also morgen wieder mit dir rechnen.“ Das war keine Frage, das war eine Feststellung.
„Ja“, bestätigte Ysell „Natürlich!“
„Dann bis zwei Handmaß vor Frühsonne.“ Ysell war für heute entlassen. Sie ging auf direktem Weg nach Hause, verschmähte ihr „Abendessen“ und fiel sofort todmüde ins Bett. Eigentlich hätte sie ja Sabé