„Was habt Ihr, Finja?“, wollte Quentin wissen.
„Mir geht es gut, keine Sorge. Mir ist nur vorhin etwas eingefallen, woran ich schon lange nicht mehr gedacht habe. Es ist wirklich sehr, sehr lange her“, begann Finja, und dann hörte Quentin eine Geschichte, über die er nicht zum Schlafen kommen sollte.
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Finja erzählte ihm von ihrer Kindheit. Auch sie war in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Ihr Elternhaus war klein, aber gemütlich, und stand, genau wie das Haus von Quentins Eltern, am Waldrand, nur nicht an einem Bach. Finjas Kindheit war wunderschön. Ihr Vater war Maurer gewesen und hatte immer genug zu tun, sodass sie keine Not leiden mussten. Zu ihrer Mutter kamen immer viele Menschen, auch aus den umliegenden Dörfern, und kauften verschiedene Salben und Tinkturen, die sie in kleinen Dosen und Fläschchen aufbewahrte. Finja half ihrer Mutter oft beim Sammeln von Kräutern im Wald, beim Auskochen und Zerstampfen, beim Filtern, Mischen, Reduzieren oder Strecken der Flüssigkeiten, nur so richtig begreifen konnte sie das alles nicht. Die Menschen, die bei ihnen etwas kauften, behandelten ihre Mutter jedenfalls immer freundlich und respektvoll.
Eines Tages fand Finja inmitten der Töpfe, Tiegel, Mörser und Flaschen eine walnussgroße gelblich-weiße Kugel. Sie nahm sie in die Hand und fragte ihre Mutter, was das sei.
Und als ihre Mutter die Kugel in die Hand nahm, begann sie zu leuchten.
„Wie meine Kugel?“, fragte Quentin erstaunt.
„Ja, genau wie Deine Kugel“, antwortete Finja. „Quentin“, fuhr sie fort, „Du hast eine ganz seltene Gabe. So wie meine Mutter sie hatte. Du wirst im Laufe der Zeit merken, dass Du Dinge kannst, die andere nicht können. Was genau das ist, musst Du irgendwie selbst herausfinden. Allerdings kannst Du auch nicht mit jedem darüber sprechen. Die Menschen mögen es nicht, wenn jemand anders ist. Auch meine Mutter hat es niemals offen eingestanden, dass sie Dinge konnte, die anderen verschlossen blieben.“ Gedankenverloren schüttelte sie den Kopf. „Ich habe bestimmt tausend Mal versucht, eine heilende Salbe herzustellen, habe alles genauso gemacht wie sie, aber es ist mir nie gelungen. Irgendwann habe ich aufgehört, darüber nachzudenken. Eigentlich hatte ich es bis heute Abend sogar vergessen, bis Du Deine Kugel gezeigt hast. Hm, noch nicht einmal Falk weiß etwas davon.“ Finja seufzte. „Quentin, wenn Du einmal mit jemandem reden möchtest, kannst Du gern zu mir kommen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Du Dich manchmal sehr einsam fühlst.“
Sie nahm Quentin in den Arm und drückte ihn an sich. Und da brach alles, was sich über die letzten Wochen aufgestaut hatte, aus ihm heraus. Mit Tränen in den Augen erzählte er Finja seine ganze Geschichte und wie sehr er seine Familie und Simon vermisste. Nachdem er sich langsam wieder beruhigt hatte, versprach Finja ihm, den anderen nichts davon zu erzählen.
Als Quentin endlich im Bett lag, musste er über vieles nachdenken. Und als es am östlichen Horizont bereits wieder dämmerte, kam ihm ein tröstender Gedanke: Es musste noch andere geben, die so waren wie er! Er war nicht allein!
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Korbinian stand beim ersten Hahnenschrei bereits wieder in seinem Kontor. Er hatte nicht viel geschlafen, höchstens drei oder vier Stunden, aber er war trotzdem nicht müde. Viel zu wichtig war die exakte Planung der „drei Speichen“, wie die Suchketten mittlerweile genannt wurden. Wenn es in wenigen Tagen losging, mussten jeder Zauberer und jede Hexe ihren Platz kennen. Konzentriert betrachtete er eine große alte Karte, als sich leise die Tür öffnete.
Auf Zehenspitzen betrat Adina das Kontor. Sie trug ein Tablett mit frischem Gebäck und einer großen Kanne Kaffee und stellte es vorsichtig auf einen kleinen Tisch an der Wand – den einzigen Tisch, der nicht unter Karten, Schriftrollen und sonstigem Material begraben war. Sie wollte sich bereits wieder lautlos entfernen, als Korbinian sie ansprach. „Adina, meine Liebe, willst Du mir nicht ein wenig Gesellschaft leisten? Bitte setz Dich doch zu mir!“
„Aber nur, wenn ich Dich nicht von der Arbeit abhalte!“, entgegnete Adina.
„Nein, nein, ganz bestimmt nicht!“ Korbinian rückte ihr einen Stuhl heran. „Komm, lass uns einen Kaffee trinken und erzähl mir, wie Ihr vorankommt.“
Eine Weile saßen sie zusammen, und Adina berichtete von unzähligen Säcken Mehl, Hunderten von Eiern, ganzen Büschen von Kräutern und dem, was ihre Helfer und sie daraus für die Suchmannschaft herstellten. Die Lagermöglichkeiten wurden langsam knapp, aber irgendwie würde es schon gehen.
Als Adina wieder gegangen war, kehrte Korbinian gestärkt und mit klarem Kopf wieder an seine Arbeit zurück. Wenn sich nicht Adina und die anderen Lehrlinge so um ihn kümmern würden, hätte er bestimmt inzwischen schon häufiger das Essen und Trinken vergessen ... Schmunzelnd machte er sich wieder über die Karten her.
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Samuel war zufrieden mit den Vorbereitungen. Bei seinen täglichen Kontrollgängen durch die Lagerräume sah er sauber gestapelte Berge von Reisesäcken, Trinkflaschen und -schläuchen, festen Decken, Proviantbeuteln, Gürteltaschen und sonstigen nützlichen Sachen für eine lange Reise. In allen Gebäuden des Dorfes waren Notbetten aufgestellt, um den anreisenden Hexen und Zauberern kurzfristig ein Dach über dem Kopf zu gewähren, bevor die große Suche begann.
Samuel war ganz und gar in seinem Element. Obwohl er eigentlich gelernter Zimmermann war, hatte er in der langen Zeit, in der er kreuz und quer durch das Land gezogen war, für ein paar Jahre in einem großen Schloss das gesamte Hauspersonal geführt. Auch damals bestand sein Tag aus ständigem Organisieren. Er musste die Dienerschaft dort einsetzen, wo es gerade nötig war, Handwerker beauftragen, die Bestellungen der Küche überwachen und so weiter. Das hatte ihm sehr viel Spaß gemacht, und deshalb lief er auch jetzt den ganzen Tag mit einem Lächeln auf dem Gesicht durch Filitosa.
Als er mit dem Rundgang fertig war, lagen auf seinem Schreibtisch bereits wieder Dutzende von Papieren. Bei den meisten handelte es sich um „Laufzettel“, die von den Schreibern kopiert wurden und jedem Neuankömmling helfen sollten, sich zurechtzufinden. Auf der einen Seite waren alle Anlaufstellen für die jeweiligen Ausrüstungsgegenstände verzeichnet, auf der anderen befand sich eine Karte des Landes, ganz ähnlich der, die an der Wand des Conveniums aufgetaucht war.
Er prüfte jedes einzelne Blatt auf Fehler, und wenn alles in Ordnung war, schloss er die Augen, hielt die Hand über die Karte und murmelte leise „Wikkæ gaskeinan“. Jedes Mal, wenn er den Zauber beendet hatte, erschienen lauter kleine rote Punkte auf der Karte, die sich langsam, aber zielstrebig auf einen Ort zubewegten: Filitosa.
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Noch drei Tage bis zum Beginn der Suche.
Viele Zauberer und Hexen waren bereits eingetroffen und der kleine, bis vor ein paar Tagen noch verschlafene Ort Filitosa glich mehr und mehr einem Marktplatz. Überall standen kleine Gruppen und unterhielten sich über die bevorstehende Suche oder tauschten sich über andere Sachen aus. Viele von ihnen hatten sich seit Jahren nicht gesehen, da gab es jede Menge zu erzählen.
Jeder Neuankömmling wurde in der Empfangshalle des Haupthauses begrüßt, erhielt einen Laufzettel und wurde zunächst zu seiner Unterkunft gebracht. Dann ging es kreuz und quer durch das Dorf, um die Ausrüstung zusammenzustellen.
Die Küche im Haupthaus lief in drei Schichten auf Hochtouren. Für jeden, der gerade angekommen war und Hunger oder Durst hatte, stand ein kleiner Imbiss bereit, auch wenn es nicht die gewöhnlichen Essenzeiten waren.
Alle Handwerksbetriebe hatten von frühmorgens bis spät in die Nacht geöffnet, um die Ausrüstung der Suchmannschaft zu vervollständigen oder auch persönliche Gegenstände wie Kleidung bereitzustellen.
Alle waren auf die große Versammlung gespannt, die am Abend des letzten Tages stattfinden sollte. Bis dahin wurde viel spekuliert, denn Korbinian war nur selten zu sprechen. Aber Adinas Idee der drei Speichen sprach sich natürlich