I will au ma a Trauma
Der Autor dachte nach. Er war 53 Jahre alt und in seinem Herzen ziemlich kalt. Früher hatte er nie gewußt, welchen Beruf er mal ergreifen sollte, bis es zu spät gewesen war. So war ihm nichts Anderes übriggeblieben, als blind sinnlose Bewerbungen zu schreiben, die natürlich alle zurückgeschickt worden waren. Na ja und da er inzwischen Übung im Schreiben bekommen hatte, machte er einfach weiter und begann, Bücher zu schreiben. Seitdem waren viele Jahre vergangen und so wie damals der Zufall in seinem Leben Regie geführt hatte, war es auch geblieben. Ohne es selbst wirklich zu wollen war er in eine Beziehung hineingeraten und ehe er sich recht versah, stand er damals ganz schnell vor dem Traualtar. Es war keine glückliche Ehe gewesen, die er geführt hatte, was wohl in erster Linie seine Schuld gewesen war. Schließlich hatte er sich strikt geweigert mit ihr zu schlafen. „Kein Sex vor der Ehe“, wurde in jener Zeit lobend akzeptiert, für „kein Sex in der Ehe“ hatten die Wenigsten Verständnis. Seine Frau hatte das alles nicht lang ausgehalten und ihn zu einem Psychologen geschickt, der ihn sofort an eine Kollegin namens Charlotte weiterverwiesen hatte. Jene hatte sich seine Lebensgeschichte staunend angehört und danach eine Psychoanalyse mit Traumdeutung bei ihm durchgeführt. Herausgekommen war dabei Folgendes: Der Autor litt an einem schrecklichen, abartigen, höchst seltenen Kindheitstrauma. Er hatte vier Geschwister, alle älter als er, zwei Brüder und zwei Schwestern. Die Brüder waren prüder als die Schwestern, doch das half ihnen auch nicht weiter. Jedenfalls wurden alle vier Geschwister des Autors in ihrer Kindheit von irgendwelchen Verwandten sexuell mißbraucht, nur der Autor nicht. Das sorgte dafür, daß der Ärmste schreckliche Minderwertigkeitskomplexe bekam, die er nie mehr los wurde. Während seine Geschwister von ihren Schändern jede Menge Geschenke und Geld als Wiedergutmachung bekamen, ging der kleine Wicht immer leer aus und wurde auf Familienfesten gerne geflissentlich übersehen.
Nachdem er sich an die ollen Kamellen erinnert hatte, ging der Autor in die Küche, wo noch immer der Abschiedsbrief seiner Frau hing, die ihn recht bald verlassen hatte. Er trank ein Glas Wodka und kehrte zurück in die Wirklichkeit, doch auch dort gefiel es ihm nicht sonderlich. „Vielleicht sollte ich meine Allmacht als Autor nicht länger mißbrauchen und mich statt dessen mehr um meine Romanfiguren kümmern“, überlegte er sich. Er spürte, daß irgend etwas dieses Mal nicht stimmte, früher wäre ihm so etwas nicht passiert.
Gitta war derweil am Boden zerstört. Sie hatte die Liebe ihres Lebens verloren und sprühte nur so vor Haß auf jenes Arschloch von einem Autor, der nicht einmal im Traum daran dachte, ihre Gefühle zu erwidern. Ihre ganze Welt war mit einem Mal zusammengebrochen und erst jetzt merkte sie, wie lange sie schon in jenen Sitzpinkler verliebt gewesen war. Aber dafür sollte er büßen, für all die verschenkten Jahre, für all die ausgefallenen Haare, für all die falschen Hoffnungen und für all die zerbrochenen Träume. War das jetzt etwa Schleichwerbung für Alldie? Liedl nicht, sonst gibt’s Ärger Plous x. Gitta war bereit für die absolute Rache. Denn jeder Mann, der sie verschmähte, hatte ihrer Ansicht nach kein Recht zu leben.
Durch Marc und Bein
Da sie es zuhause nicht mehr ausgehalten hatten, hatten sie sich in einen Zug gesetzt und waren losgereist. Es war eine weise Entscheidung gewesen, denn als Belohnung erlebte Charlotte einen verwandelten Marc, den sie überhaupt nicht wiedererkannte. Auf einmal war er charmant, witzig und angenehm erträglich, es war nicht zu fassen. Erst nach einer Weile schnallte die Psychologin, daß das vor allem daran lag, daß andere Leute mit ihnen im Zugabteil saßen. Während Marc alle Umsitzenden bestens unterhielt, tippte sie in ihren Laptop: „Könige sind Schauspieler und Blender. Sie täuschen die Öffentlichkeit und geben vor, ganz tolle Leute zu sein. Etliche Menschen fallen darauf herein und würden einem nicht glauben wollen, wenn man ihnen die Wahrheit sagte. Doch diese Schauspielerei strengt die Könige ungemein an, weshalb sie auch immer so schnell erschöpft sind. Der Schein bestimmt das Bewußtsein und Könige hassen es, durchschaut zu werden.“ „Ja, so ist meine Freundin. Sogar im Urlaub arbeitet sie“, bedauerte Marc lauthals und hatte damit die Lacher und das Mitleid der Zuhörenden auf seiner Seite. „Wirklich geschickt, wie er die Leute manipuliert und verarscht. Wenn die sein wahres Ich kennen würden“, dachte sich Charlotte irgendwie angewidert, aber auch beeindruckt. Marc war ein Meister des oberflächlichen Gesprächs. Er schaffte es innerhalb von wenigen Minuten, sein Gegenüber für sich einzunehmen und so dauerte es nicht lange, bis er sich mit einem neugeborenen Bewunderer in den Speisewagen verzog, um dort ein Essen spendiert zu bekommen. Derweil meinte eine der Frauen im Abteil zu Charlotte: „Was haben Sie nur für ein Glück! So einen Mann findet man wirklich nicht alle Tage.“ „Zum Glück. Einer von der Sorte reicht. Sie müßten den mal bei mir daheim erleben“, begann Charlotte. „Wie meinen Sie das?“ „Da liegt er nur faul herum und läßt sich bedienen.“ „Na ja, aber das ist doch kein Wunder nach einem anstrengenden Zehn-Stunden-Tag.“ „Daß ich nicht lache. Zehn Stunden Schlaf am Tag. Der Penner arbeitet doch überhaupt nicht.“ „Aber er hat doch eben erzählt, daß er Geschäftsführer ...“ „Ja, Märchen erzählen kann er gut, das ist wahr. Und er findet immer wieder Leute, die ihm seine Lügengeschichten auch noch glauben.“ „Ich bin entsetzt. Aber warum um alles in der Welt tun Sie sich dann diesen Kerl an?“ „Weil er das beste Forschungsobjekt ist, das ich jemals hatte.“ „Ich verstehe.“
„Ach, hör mir auf mit den Weibern! In einer Tour mäkeln sie nur an einem herum. Immer dasselbe“, gab Marc von sich. „Das kann ich mir bei so einem tollen Typen wie Dir überhaupt nicht vorstellen“, gestand sein Bewunderer. „Es ist der pure Neid. Sie gönnen einem den Erfolg nicht, sie sind eifersüchtig, weil so viele Frauen scharf auf einen sind, sie sehen ihre eigene Unfähigkeit in meiner großartigen Nähe. Aber ich bin halt mal genial, wieso sollte ich mich verstellen?“ „Eben. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Aber wie machst Du das nur?“ „Ich bin halt ein Gewinnertyp. Ich weiß wie der Hase läuft und habe einfach mehr drauf als die Anderen. Ich bin gut, das ist mein Erfolgsgeheimnis.“ „Wahnsinn! Was für eine Ehre für mich, einen so phantastischen Menschen wie Dich kennengelernt zu haben.“ Solche Worte waren Balsam auf Marcs gelangweilter Seele. Er liebte es bewundert zu werden und er wußte, daß er sich bald von Charlotte trennen mußte, da sie sein wirkliches Gesicht kannte und seinen Mythos zerstören konnte.
Der Abschied
Vergeblich hatten sie ihren Chef gesucht, doch nun waren sie ernüchtert, denn es war nicht leicht, ihn in der Phantasiewelt des Autors zu finden. Noch dazu, da die Geschichte sich immer noch in ihrer Entstehung befand. Allerdings wurde langsam die Zeit knapp und so sprach Kerosin den Satz aus, vor dem er und Dopamin sich mehr gefürchtet hatten als vor Hans Peter Schmaus: „Wir müssen uns trennen.“ Traurig schauten sie sich in die Augen und irgendwie wußten sie bereits, daß jener Abschied kein Alptraum, sondern Realität war. „Ich gehe in die Welt des Autors, also in seine wirkliche. Du bleibst hier in der von ihm geschaffenen. Einer von uns wird Zifi schon finden“, glaubte Kerosin. „Und was soll ich machen, wenn ich ihn gefunden hab’?“ wollte Dopamin wissen. „Erst eine Weile beobachten und dann mich benachrichtigen. Wir schnappen ihn uns dann gemeinsam und bringen ihn in die wunderbare Hölle zurück.“ „Alles klar. Ich kann es immer noch nicht fassen, daß Jesus zu uns gesprochen hat.“ „Ja, das war schon ein absolutes Highlight. Aber egal. Wir dürfen uns jetzt nicht ablenken lassen.“ Es folgte ein inniger Abschiedskuß und danach trennten sich die Wege der sich liebenden Gefährten.
Dopamin war am Boden zerstört. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten war er ganz allein und dann noch dazu in der verrückten Gedankenwelt eines zweifellos geistig gestörten Autors. Was sollte er nur tun? Sich als Schutzengel verdingen? Aber für wen? Für den Bischof? Das konnte es ja wohl auch nicht sein. Dopamin wußte natürlich wer auf wessen Seite stand in jenem Wettkampf und doch befand er sich zwischen den Stühlen. Egal, es galt Feri zu finden und falls der nicht in jener Welt sein Unwesen trieb, so mußte er halt alles daran setzen, zu verhindern, daß die