In der Morgenstunde kam der böse Mann nach Hause; er nahm seinen Hut ab und ging in der Schwester Schlafkammer hinein. Da lag das schöne, blühende Mädchen und träumte von ihm, dem sie von Herzen gut war und von dem sie nun glaubte, daß er über Berge und durch Wälder ginge. Und der böse Bruder neigte sich über sie und lachte häßlich, wie nur ein Teufel lachen kann. Da fiel das trockene Blatt aus seinem Haare auf die Bettdecke nieder; aber er bemerkte es nicht, und ging hinaus, um in der Morgenstunde selbst ein wenig zu schlafen. Aber der Elf schlüpfte aus dem verwelkten Blatte, setzte sich in das Ohr des schlafenden Mädchens und erzählte ihr wie in einem Traume den schrecklichen Mord; beschrieb ihr den Ort, wo der Bruder den Geliebten ermordet und seine Leiche verscharrt habe; erzählte von dem blühenden Lindenbaume dicht daneben und sagte: »Damit Du nicht glaubst, daß es nur ein Traum sei, was ich Dir erzählt habe, so wirst Du auf Deinem Bette ein dürres Blatt finden!« Und das fand sie, als sie erwachte.
O, welche bittere Thränen weinte sie! Das Fenster stand den ganzen Tag offen: der kleine Elf konnte leicht zu den Rosen und all den übrigen Blumen in den Garten hinaus gelangen. Aber er konnte es nicht über sein Herz bringen, die Betrübte zu verlassen. Im Fenster stand ein Strauch mit Monatsrosen: in eine der Blumen setzte er sich und betrachtete das arme Mädchen. Ihr Bruder kam oft in die Kammer hinein und schien, trotz seiner bösen That, immer heiter, sie aber durfte kein Wort über ihren Herzenskummer sagen.
Sobald es Nacht wurde, schlich sie sich aus dem Hause, ging im Walde nach der Stelle, wo der Lindenbaum stand, nahm die Blätter von der Erde, grub diese auf und fand ihn, der ermordet war, sogleich. O, wie weinte sie und bat den lieben Gott, daß auch sie bald sterben möge! –
Gerne hätte sie die Leiche mit sich nach Hause genommen, aber das konnte sie nicht. Da nahm sie das bleiche Haupt mit den geschlossenen Augen, küßte den kalten Mund und schüttelte die Erde aus seinem schönen Haare. »Das will ich behalten!« sagte sie. Und als sie Erde und Blätter auf den todten Körper gelegt hatte, nahm sie den Kopf und einen kleinen Zweig von dem Jasminstrauche, der im Walde blühte, wo er begraben war, mit sich nach Hause.
Sobald sie in ihre Stube trat, holte sie sich den größten Blumentopf, der zu finden war: in diesen legte sie den todten Kopf, schüttelte Erde darauf und pflanzte dann den Jasminzweig in den Topf.
»Lebe wohl! Lebe wohl!« flüsterte der kleine Elf; er konnte es nicht länger ertragen, all diesen Schmerz zu sehen, und flog deshalb hinaus zu seiner Rose im Garten. Aber die war abgeblüht; es hingen nur noch verbleichte Blätter an der grünen Hagebutte.
»Ach, wie bald ist es doch mit dem Schönen und Guten vorbei!« seufzte der Elf. Zuletzt fand er wieder eine Rose; diese wurde sein Haus; hinter ihren feinen und duftenden Blättern konnte er hausen und wohnen.
Jeden Morgen flog er nach dem Fenster des armen Mädchens, sie stand immer bei dem Blumentopfe und weinte. Die bittern Thränen fielen auf den Jasminzweig, und mit jedem Tage, an welchem sie bleicher und bleicher wurde, stand der Zweig frischer und grüner da; ein Schoß trieb nach dem andern hervor; kleine, weiße Knospen blühten auf, und die küßte sie. Aber der böse Bruder schalt die Schwester und fragte, ob sie närrisch geworden sei. Er konnte es nicht leiden und nicht begreifen, weshalb sie immer über dem Blumentopfe weine. Er wußte ja nicht, welche Augen da geschlossen, und welche rothe Lippen da zu Erde geworden waren. Und sie neigte ihr Haupt gegen den Blumentopf, und der kleine Elf von der Rose fand sie da schlummernd. Da setzte er sich in ihr Ohr, erzählte von dem Abende in der Laube, vom Duft der Rose und der Liebe der Elfen. Da träumte sie wunderbar süß, und während sie träumte, entschwand das Leben; sie war eines stillen Todes verblichen; sie war bei ihm, den sie liebte, im Himmel.
Und die Jasminblume öffnete ihre großen, weißen Glocken; sie dufteten ganz eigenthümlich süß: anders konnten sie nicht über die Todte weinen.
Aber der böse Bruder betrachtete den schön blühenden Strauch, nahm ihn als ein Erbgut zu sich, und setzte ihn in seine Schlafstube, dicht an sein Bett, denn er war herrlich anzuschauen und der Duft war gar süß und lieblich. Der kleine Rosen-Elf folgte mit, flog von Blume zu Blume, – in jeder wohnte ja eine kleine Seele – und erzählte von dem ermordeten jungen Manne, dessen Haupt nun Erde unter der Erde war, erzählte von dem bösen Bruder und der armen Schwester.
»Wir wissen es!« sagte eine jede Seele in den Blumen; »wir wissen es! Sind wir nicht aus des Erschlagenen Augen und Lippen entsprossen? Wir wissen es! Wir wissen es!« Und dann nickten sie gar sonderbar mit dem Kopfe.
Der Rosen-Elf konnte es nicht begreifen, wie sie so ruhig sein könnten, und flog hinaus zu den Bienen, die Honig sammelten und erzählte ihnen die Geschichte von dem bösen Bruder. Die Bienen sagten es ihrer Königin, und diese befahl, daß sie alle am nächsten Morgen den Mörder umbringen sollten.
Aber in der Nacht vorher – es war die erste Nacht, welche auf den Tod der Schwester folgte – als der Bruder in seinem Bette dicht neben dem duftenden Jasminstrauche schlief, öffnete sich ein jeder Blumenkelch, und unsichtbar, aber mit giftigen Stacheln, stiegen die Blumenseelen heraus und setzten sich in sein Ohr und erzählten ihm böse Träume, flogen alsdann über seine Lippen und stachen seine Zunge mit den giftigen Stacheln. »Nun haben wir den Todten gerächt!« sagten sie und flogen zurück in des Jasmins weiße Glocken.
Als es Morgen war und das Fenster der Schlafkammer alsdann geöffnet wurde, fuhr der Rosen-Elf mit der Bienenkönigin und dem ganzen Bienenschwarm herein, um ihn zu tödten.
Aber er war schon todt; es standen Leute rings um das Bett und sagten: »Der Jasminduft hat ihn getödtet!«
Da verstand der Rosen-Elf der Blumen Rache und erzählte es der Königin der Bienen, diese summte mit ihrem ganzen Schwärme um den Blumentopf. Die Bienen waren nicht zu verjagen. Da nahm ein Mann den Blumentopf fort, und eine der Bienen stach seine Hand, sodaß er den Topf fallen und zerbrechen ließ.
Da sahen sie den bleichen Todtenschädel, und nun wußten sie, daß der Todte im Bette ein Mörder war.
Die Bienenkönigin summte in der Luft und fang von der Rache der Blumen und von dem Rosen-Elf, und daß hinter dem geringsten Blatte Einer wohnt, der das Böse erzählen und rächen kann!
Des Kaisers neue Kleider.
Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, daß er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Er kümmerte sich nicht um seine Soldaten, kümmerte sich nicht um das Theater und liebte es nur, spazieren zu fahren, um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte einen Rock für jede Stunde des Tages, und eben so, wie man von einem Könige sagt, er ist im Rathe, sagte man hier immer: »Der Kaiser ist in der Garderobe!«
In der großen Stadt, in welcher er wohnte, ging es sehr munter zu; an jedem Tage trafen viele Fremde daselbst ein. Eines Tages kamen auch zwei Betrüger an; sie gaben sich für Weber aus und sagten, daß sie das schönste Zeug, das man sich denken könne, zu weben verstanden. Die Farben und das Muster wären nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht würden, besäßen die wunderbare Eigenschaft, daß sie für jeden Menschen unsichtbar wären, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.
»Das wären ja prächtige Kleider,« dachte der Kaiser; »wenn ich die anhätte, könnte ich ja dahinter kommen, welche Männer in meinem Reiche zu dem Amte, das sie haben, nicht taugen; ich könnte die Klugen von den Dummen unterscheiden! Ja, das Zeug muß sogleich für mich gewebt werden!« Und er gab den beiden Betrügern viel Handgeld, damit sie ihre Arbeit beginnen möchten.
Sie stellten auch zwei Webstühle auf und thaten, als ob sie arbeiteten; aber sie hatten nicht das Geringste auf dem Stuhle. Frischweg verlangten sie die feinste Seide und das prächtigste Gold, das steckten sie in ihre eigenen Taschen und arbeiteten an den leeren Stühlen bis spät in die Nacht hinein.
»Ich möchte doch wohl wissen, wie weit sie mit dem Zeuge sind!« dachte der Kaiser. Aber es war ihm ordentlich beklommen zu Muthe, wenn er daran dachte, daß Derjenige, welcher dumm sei oder nicht zu seinem Amte tauge, es nicht sehen könne. Nun glaubte er zwar, daß er für sich selbst nichts