Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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näher.«

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      »Ja, das mag Alles ganz gut sein!« sagte einer von den Sperlingen, der lange umher gehüpft war und gepiept hatte, ohne eigentlich etwas gesagt zu haben. »Ich habe hier in der Stadt einige Bequemlichkeiten gefunden, welche ich draußen zu vermissen befürchte. Hier in der Nähe, auf einem Hofe wohnt eine Menschenfamilie, welche den sehr vernünftigen Einfall bekommen hat, drei bis vier Blumentöpfe an der Wand zu befestigen, sodaß die großen Oeffnungen gegen dieselbe, die Boden der Töpfe aber nach außen gewendet sind, in einen jeden von diesen ist ein Loch geschnitten, so groß, daß ich ein- und ausfliegen kann; dort habe ich und mein Mann das Nest, und alle unsere Jungen sind von dort ausgeflogen. Die Menschenfamilie hat natürlich das Ganze eingerichtet, um das Vergnügen zu haben, uns zu sehen, sonst würden sie es gewiß nicht gethan haben. Ihres Vergnügens wegen streuen sie auch Brotkrümchen aus, und so haben wir das Futter, es ist gleichsam für uns gesorgt; – deshalb glaube ich, daß ich und mein Mann bleiben; obgleich wir sehr unzufrieden sind, – aber wir bleiben!«

      »Und wir fliegen auf's Land, um zu sehen, ob nicht der Frühling kommt!« und fort flogen sie.

      Draußen auf dem Lande war strenger Winter, es fror einige Grade stärker als in der Stadt. Der scharfe Wind strich über die schneebedeckten Felder. Der Bauer saß mit großen Fausthandschuhen in seinem Schlitten, schlug kreuzend seine Arme, um die Kälte auszutreiben; die Peitsche lag auf seinen Knieen; die mageren Pferde liefen, daß sie dampften; der Schnee knisterte und die Sperlinge hüpften in den Räderspuren und froren. »Piep! wann kommt der Frühling? Es dauert sehr lange!«

      »Sehr lange!« scholl es von dem nächsten, schneebedeckten Hügel weit übers Feld hin; es konnte das Echo sein, welches man hörte, aber auch die Rede des wunderbaren alten Mannes, der in Wind und Wetter hoch oben auf dem Schneehaufen saß, er war ganz weiß, wie ein Bauer im weißen, groben Friesrock, mit langem, weißem Haar, ganz bleich, und mit großen, klaren Augen.

      »Wer ist der Alte dort?« fragten die Sperlinge.

      »Das weiß ich!« sagte ein alter Rabe, der auf dem Zaunpfahl saß, und herablassend genug war, um anzuerkennen, daß wir Alle vor dem Angesichte des Herrn kleine Vögel sind, und sich deshalb auch mit den Sperlingen einließ und Aufklärung gab. »Ich weiß, wer der Alte ist. Es ist der Winter, der alte Mann vom vorigen Jahre, er ist nicht todt, wie der Kalender sagt, sondern Vormund für den kleinen Prinzen Frühling, welcher kommt. Ja, der Winter führt das Regiment. Hu! die Kälte schüttelt Euch wohl, Ihr Kleinen?«

      »Ja, ist's nicht so, wie ich sage?« äußerte der Kleinste. »Der Kalender ist nur Menschenerfindung, er ist nicht nach der Natur eingerichtet! Das sollten sie uns überlassen, die wir seiner geschaffen sind!«

      Und eine Woche verging, es vergingen zwei; der gefrorne Landsee lag starr und sah wie geronnenes Blei aus, es waren feuchte, eiskalte Nebel, die über dem Lande hingen; die großen, schwarzen Krähen flogen in Strichen dahin, ohne Geschrei, es war, als ob Alles schliefe. – Da glitt ein Sonnenstrahl über den See hin, und dieser glänzte wie geschmolzenes Zinn. Die Schneedecke auf dem Felde und auf dem Hügel schimmerte nicht wie früher, aber die weiße Gestalt, der Winter selbst, saß noch dort, den Blick unverwandt nach Süden gerichtet; er bemerkte nicht, daß der Schneeteppich gleichsam in die Erde sank, daß hier und dort ein kleiner, grüner Fleck hervorkam; da wimmelte es dann von Sperlingen.

      »Quivit! Quivit! kommt der Frühling nun?«

      »Der Frühling!« klang es über Feld und Flur und durch die schwarzbraunen Wälder, wo das Moos frischgrün an den Baumstämmen glänzte; und aus dem Süden kamen die beiden ersten Störche durch die Luft geflogen; auf dem Rücken eines jeden saß ein kleines, liebliches Kind, ein Knabe und ein Mädchen; sie küßten die Erde zum Gruße, und wohin sie ihre Füße setzten, wuchsen weiße Blumen unter dem Schnee hervor; Hand in Hand gingen sie zu dem alten Eismanne, dem Winter, legten sich zu neuer Begrüßung an seine Brust, und in demselben Nu waren sie alle Drei und die ganze Landschaft verhüllt; ein dicker, feuchter Nebel, schwer und dicht, verschleierte Alles. – Allmälig erhob sich der Wind, – brausend fuhr er nun dahin, und mit heftigen Stößen verjagte er den Nebel, warm glänzte die Sonne; – der Winter selbst war verschwunden, des Frühlings liebliche Kinder saßen auf dem Throne des Jahres.

      »Das nenne ich Neujahr!« sagten die Sperlinge. »Nun bekommen wir wohl unsere Gerechtsame und Vergütung für den strengen Winter wieder!«

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Wohin die beiden Kinder sich wandten, brachen grüne Knospen an Büschen und Bäumen hervor, das Gras schoß in die Höhe, das Saatfeld ergrünte immer mehr und immer lieblicher. Ringsumher streute das kleine Mädchen Blumen aus, über und über ruhten sie in ihrem aufgeschürzten Kleide, sie schienen dort hervor zu wimmeln, das Kleid war immer voll, wie eifrig sie die Blumen auch ausstreute, – in ihrem Eifer schüttete sie einen reichen Blüthenschnee über Apfel- und Pfirsichbäume, daß diese in voller Pracht standen, ehe noch ihre grünen Blätter recht hervorgesprossen waren. Und sie klatschte in die Hände und der Knabe klatschte; alsdann kamen Schaaren von Vögeln geflogen, man wußte nicht woher, und alle zwitscherten und sangen: »Der Frühling ist gekommen!«

      Das war wunderschön zu sehen. Manches alte Mütterchen trat aus der Thür in den Sonnenschein hinaus, rüttelte und schüttelte sich behaglich, warf einen Blick auf die gelben Blumen, die überall auf dem Felde prangten, war es doch ganz wie in seinen eigenen jungen Tagen; die Welt wurde ihm wieder jung, »heute ist ein gesegneter Tag, hier draußen!« sagte es.

      Der Wald trug noch sein braungrünes Gewand, Knospe an Knospe; aber der Waldmeister war schon da, frisch und duftend, Veilchen gab es in Fülle, Anemonen und Primeln keimten, in jedem Grashalme war Saft und Kraft: das war freilich ein Prachtteppich, auf dem man sich niederlassen mußte. Dort saß auch das junge Paar des Frühlings Hand in Hand, sang, lächelte und wuchs immer und immer.

      Ein milder Regen fiel vom Himmel auf sie herab, sie merkten es nicht, Regentropfen und Freudenthränen verschmolzen in einen Tropfen. Braut und Bräutigam küßten sich, und in demselben Nu entfaltete sich des Waldes Grün. – Als die Sonne aufging, waren alle Wälder grün!

      Und Hand in Hand schritt das Brautpaar unter frischem, hängendem Laubdache einher, wo nur die Strahlen des Sonnenlichts und die Schlagschatten den Farbenwechsel im Grünen hervorbrachten. Welche jungfräuliche Reinheit, welcher erfrischende Duft in den feinen Blättern! Klar und lebendig rieselte Aue und Bach zwischen dem sammetgrünen Schilfe und über die bunten Steine dahin. »Vollauf ewig und immer ist es und bleibt es!« sprach die ganze Natur. Der Kuckuk rief und die Lerche schwirrte, es war ein herrlicher Frühling; aber die Weidenbäume trugen wollene Fausthandschuhe um ihre Blüthen; sie waren sehr vorsichtig, und das ist langweilig!

      Es vergingen Tage, und es vergingen Wochen, die Wärme wälzte sich gleichsam herab; heiße Luftwellen zogen durch das Korn, das immer gelber und gelber wurde. Des Nordens weißer Lotus breitete seine großen, grünen Blätter auf dem Wasserspiegel der Waldseen aus, und die Fische suchten den Schatten unter denselben; an der Schutzseite des Waldes, wo die Sonne auf die Wand des Bauernhauses niederstrahlte, und die entfalteten Rosen und die Kirschbäume, welche voll saftiger, schwarzer, beinahe sonnenheißer Beeren hingen, durchwärmte, – dort saß des Sommers liebliches Weib, dasselbe, welches wir als Kind und als Braut gesehen haben; sein Blick hing an den steigenden, dunklen Wolken, welche in Wellenformen, wie Berge, schwarzblau und schwer, sich höher und höher hoben. Sie kamen von drei Seiten; immer wachsend, wie ein versteintes, umgekehrtes Meer senkten sie sich gegen den Wald, wo Alles wie durch einen Zauber verstummt war. Jeder Luftzug hatte sich gelegt, jeder Vogel schwieg, es war ein Ernst, eine Erwartung in der ganzen Natur; aber auf Wegen und Stegen eilten Fahrende, Reitende und Gehende dahin, um unter Dach zu kommen. – Da leuchtete es plötzlich als ob die Sonne hervorbräche: flammend, blendend, Alles verzehrend! und die Finsterniß brach wieder ein bei rollendem Gekrach! Das Wasser stürzte in Strömen hernieder; es wurde dunkel und wieder hell, es trat Stille ein und wieder lautes Getöse. Das junge, braungefiederte