»Nun werde ich leben!« jubelte dieser und breitete seine Zweige weit aus: aber ach, sie waren alle vertrocknet und gelb; und er lag da im Winkel zwischen Unkraut und Nesseln. Der Stern von Goldpapier saß noch oben an der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein.
Im Hofe selbst spielten einige von den muntern Kindern, die zur Weihnachtszeit den Baum umtanzt hatten und so fröhlich über ihn gewesen waren. Eins der kleinsten lief hin und riß den Goldstern ab.
»Sieh, was da noch an dem häßlichen, alten Tannenbaum sitzt!« sagte es und trat auf die Zweige, sodaß sie unter seinen Stiefeln knackten. Und der Baum sah auf all' die Blumenpracht und Frische im Garten; er betrachtete sich selbst und wünschte, daß er in seinem dunkeln Winkel auf dem Boden liegen geblieben wäre; er gedachte seiner frischen Jugend im Walde, des lustigen Weihnachtsabends und der kleinen Mäuse, die so munter die Geschichte von Klumpe-Dumpe angehört hatten.
»Vorbei! Vorbei!« sagte der alte Baum. »Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei! Vorbei!«
Und der Knecht kam und hieb den Baum in kleine Stücke; ein ganzes Bündel lag da; hell flackerte es auf unter dem großen Braukessel; und er seufzte tief und jeder Seufzer war einem kleinen Schusse gleich; deshalb liefen die Kinder, die da spielten, herbei und setzten sich vor das Feuer, blickten in dasselbe hinein und riefen: »Pfiff! Pfiff!« Aber bei jedem Knalle, der ein tiefer Seufzer war, dachte der Baum an einen Sommertag im Walde, oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne funkelten; er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, welches er gehört hatte und zu erzählen wußte, und dann war der Baum verbrannt.
Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen; und nun war der vorbei, und mit dem Baum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei – und so geht es mit allen Geschichten!
Der Schweinehirt.
Es war einmal ein armer Prinz; er hatte ein Königreich, welches ganz klein war; aber es war immer groß genug, um darauf zu heirathen, und verheirathen wollte er sich.
Nun war es freilich etwas keck von ihm, daß er zur Tochter des Kaisers zu sagen wagte: »Willst Du mich haben?« Aber er wagte es doch, denn sein Name war weit und breit berühmt; es gab Hunderte von Prinzessinnen, die gern ja gesagt hätten, aber ob sie es wohl thun würde?
Nun, wir wollen sehen.
Auf dem Grabe des Vaters des Prinzen war ein Rosenstrauch, ein gar herrlicher Rosenstrauch! Der blühte nur jedes fünfte Jahr, und auch dann trug er nur eine einzige Rose; aber was für eine Rose! Die duftete so süß, daß man alle seine Sorge und seinen Kummer vergaß, wenn man daran roch. Und dann hatte er eine Nachtigall, die konnte singen, als ob alle schönen Melodieen in ihrer kleinen Kehle säßen. Diese Rose und diese Nachtigall sollte die Prinzessin haben; und deshalb wurden sie beide in große Silberbehälter gesetzt und so ihr zugesandt.
Der Kaiser ließ sie vor sich her in den großen Saal tragen, wo die Prinzessin war und »Es kommt Besuch« mit ihren Hofdamen spielte; und als sie die großen Behälter mit den Geschenken darin erblickte, klatschte sie vor Freude in die Hände.
»Wenn es doch eine kleine Mietzekatze wäre!« sagte sie. – Aber da kam der Rosenstrauch mit der herrlichen Rose hervor.
»Nein, wie ist die niedlich gemacht!« sagten alle Hofdamen.
»Sie ist mehr als niedlich,« sagte der Kaiser, »sie ist charmant!«
Aber die Prinzessin befühlte sie, und da war sie nahe daran, zu weinen.
»Pfui, Papa!« sagte sie; »sie ist nicht künstlich, sie ist natürlich!«
»Pfui!« sagten alle Hofdamen, »sie ist natürlich!«
»Laßt uns erst sehen, was in dem andern Behälter ist, ehe wir böse werden,« meinte der Kaiser; und da kam die Nachtigall heraus; die sang so schön, daß man nicht gleich etwas Böses gegen sie vorzubringen wußte.
» Superbe! charmant!« sagten die Hofdamen, denn sie plauderten alle französisch, eine immer ärger, als die andere.
»Wie der Vogel mich an die Spieldose der seligen Kaiserin erinnert,« sagte ein alter Cavalier; »ach, das ist ganz derselbe Ton, derselbe Vortrag!«
»Ja,« sagte der Kaiser, und dann weinte er wie ein kleines Kind.
»Es wird doch hoffentlich kein natürlicher sein?« sagte die Prinzessin.
»Ja, es ist ein natürlicher Vogel,« sagten Die, welche ihn gebracht hatten.
»So laßt den Vogel fliegen,« sagte die Prinzessin, und sie wollte auf keine Weise gestatten, daß der Prinz käme.
Aber der ließ sich nicht einschüchtern: er bemalte sich das Antlitz mit Braun und Schwarz, zog die Mütze tief über den Kopf und klopfte an.
»Guten Tag, Kaiser!« sagte er; »könnte ich nicht hier auf dem Schlosse einen Dienst bekommen?«
»Ja,« sagte der Kaiser, »es sind aber so sehr Viele, die um Anstellung bitten; ich weiß daher nicht, ob es sich machen wird; ich werde aber an Dich denken. Doch, da fällt mir eben ein, ich brauche Jemanden, der die Schweine hüten kann, denn deren haben wir viele, sehr viele.«
Und der Prinz wurde angestellt als kaiserlicher Schweinehirt. Er bekam eine jämmerlich kleine Kammer unten beim Schweinekoben, und hier mußte er bleiben; aber den ganzen Tag saß er und arbeitete, und als es Abend war, hatte er einen niedlichen, kleinen Topf gemacht; rings um denselben waren Schellen, und sobald der Topf kochte, klingelten sie auf's Schönste und spielten die alte Melodie:
»Ach, Du lieber Augustin,
Alles ist hin, hin, hin!«
Aber das Allerkünstlichste war doch, daß man, wenn man den Finger in den Dampf des Topfes hielt, sogleich riechen konnte, welche Speisen auf jedem Feuerherd in der Stadt zubereitet wurden. Das war wahrlich etwas ganz Anderes als die Rose.
Nun kam die Prinzessin mit allen ihren Hofdamen daherspaziert, und als sie die Melodie hörte, blieb sie stehen und sah ganz erfreut aus; denn sie konnte auch »Ach, Du lieber Augustin« spielen; es war die einzige Melodie, die sie konnte, aber die spielte sie mit Einem Finger.
»Das ist ja Das, was ich kann!« sagte sie. »Es muß ein gebildeter Schweinehirt sein! Höre, geh hinunter und frage ihn, was das Instrument kosten soll.«
Und da mußte eine der Hofdamen hinuntergehen; aber sie zog Holzpantoffeln an. –
»Was willst Du für den Topf haben?« fragte die Hofdame.
»Ich will zehn Küsse von der Prinzessin haben,« sagte der Schweinehirt.
»Gott bewahre!« sagte die Hofdame.
»Ja, für weniger thue ich es nicht,« antwortete der Schweinehirt.
»Nun, was antwortete er?« sagte die Prinzessin.
»Das kann ich gar nicht sagen,« erwiderte die Hofdame.
»Ei, so kannst Du es mir ins Ohr flüstern.«
»Er ist unartig!« sagte die Prinzessin, und dann ging sie. – Aber als sie ein kleines Stück gegangen war, erklangen die Schellen so lieblich:
»Ach, Du lieber Augustin,
Alles ist hin, hin, hin!«
»Höre,« sagte die Prinzessin, »frage ihn, ob er zehn Küsse von meinen Hofdamen haben will!«
»Ich danke schön,«