»Ein Zigeuner also?«
»Nein, Sahib, ich bin ein Mensch ohne Kaste und daher auch ohne Vater.«
»Wie nennt man dich?«
»Mogli ist mein Name; und wie heißt der Sahib?«
»Ich bin der Wächter des Rukhs – Gisborne ist mein Name.«
»Wie? Werden die Bäume und Grashalme hier gezählt?« »Gewiß, damit fahrendes Volk wie deinesgleichen sie nicht in Brand steckt.«
»Ich! Um keinen Preis würde ich der Dschungel Schaden antun, meine Heimat ist sie.«
Mit einem unwiderstehlichen Lächeln wandte er sich Gisborne zu und hob warnend die Hand.
»Jetzt müssen wir leise auftreten. Sahib. Man braucht den Hund nicht vorzeitig zu wecken, wenn er auch tief genug schläft. Vielleicht wäre es besser, wenn ich allein vorginge und ihn unter dem Winde dem Sahib zutriebe.«
»Allah! Seit wann werden Tiger von nackten Männern wie Rindvieh getrieben?« rief Gisborne entsetzt über des Mannes Kühnheit.
Wiederum lächelte Mogli sanft. »Nun, dann komm mit mir und erlege ihn auf deine Art mit der schweren englischen Büchse.«
Gisborne folgte den Fußspuren seines Führers, kletterte, klomm, kroch und wand sich durch alle Mühen eines schweren Dschungelpirschgangs. Er war hochrot und schweißtriefend, als Mogli ihn schließlich aufforderte, den Kopf zu heben und über einen bläulichen Felsblock dicht bei einem kleinen Bergteich zu spähen. Der Tiger lag ausgestreckt beim Wasser und leckte sich träge und wohlig seine riesige Vorderpranke sauber. Er war alt, gelbgezähnt und über und über räudig, bot aber doch, wie er so in der Sonne dalag, einen gewaltigen Anblick.
Gisborne hatte keinerlei falsche jagdliche Bedenken, wenn es sich um einen Menschenfresser handelte. Dieses Gewürm da mußte so bald wie möglich ausgetilgt werden. Er wartete, bis er wieder zu Atem gekommen war, stützte das Gewehr auf den Felsblock und pfiff leise. Die Bestie wandte langsam den eckigen Kopf, kaum zwanzig Schritt von der Mündung der Büchse entfernt, und Gisborne legte ganz geschäftsmäßig seine Schüsse hin, den einen unter die Schulter und den anderen dicht unter das Auge. Auf so kurze Entfernung bieten die schweren Knochen des Tigers keinen Schutz gegen Stahlmantelgeschosse.
»Na, es lohnt sich nicht einmal, ihm die Haut abzuziehen«, sagte Gisborne, als sich der Rauch verzog und das Tier sich im Todeskampf wälzte.
»Einen Hundetod für den Hund«, bemerkte Mogli gelassen. »Ja, an dem Kadaver da ist nichts, was man mitnehmen könnte.«
»Die Barthaare, schneidest du ihm nicht die Barthaare ab?« sagte Gisborne, der wußte, welchen Wert seine eingeborenen Heger auf solcherlei Dinge legten.
»Ich? Bin ich ein lausiger Schikarri der Dschungel, daß ich mich mit dem Maul eines Tigers abgebe? Laß ihn liegen. Da kommen schon seine Freunde.« Über ihren Köpfen kam ein Geier schrill pfeifend herabgestürzt, während Gisborne die leeren Hülsen auswarf und sein Gesicht trocknete.
»Und wenn du kein Schikarri bist, wo erwarbst du da deine Kenntnis des Tigervolks?« sagte er. »Kein geübter Fährtensucher hätte es besser machen können.«
»Ich hasse alle Tiger«, entgegnete Mogli kurz. »Will der Sahib mir seine Flinte zu tragen geben? Arré, eine prächtige Büchse ist das. Und wohin geht der Sahib jetzt?«
»Zu meinem Hause.«
»Darf ich mitkommen? Ich habe niemals das Haus eines weißen Mannes von innen gesehen.«
Gisborne kehrte nach seinem Bungalow zurück; Mogli schritt geräuschlos neben ihm, seine braune Haut glänzte in der Sonne.
Neugierig beäugte er die Veranda und die beiden Stühle darauf, betrachtete mißtrauisch die Rollvorhänge aus Bambusstäben, und während er eintrat, sah er sich immer wieder nach rückwärts um. Gisborne ließ einen der Vorhänge zum Schutz gegen die Sonne herunter. Dieser fiel klappernd nieder, aber noch ehe er den Boden der Veranda berührt hatte, war Mogli mit einem Satz zurückgesprungen und stand heftig atmend im Freien.
»Eine Falle ist das«, sagte er hastig.
Gisborne lachte. »Weiße stellen keine Menschenfallen. Du bist wahrhaftig ein echtes Geschöpf der Dschungel.«
»Ich sehe, das Ding hat weder Haken noch Schlinge«, sagte Mogli. »Noch – noch niemals habe ich derartiges gesehen.«
Auf Zehenspitzen kam er wieder in das Haus zurück und betrachtete mit weitgeöffneten Augen die Einrichtung der beiden Räume. Abdul Gafur, der gerade das Mittagsmahl auftrug, betrachtete ihn mit tiefem Abscheu.
»Soviel Mühe, um essen zu können, und soviel Mühe, um zu ruhen nach dem Essen«, sagte Mogli grinsend. »Wir in der Dschungel haben es leichter. Sehr wunderbar ist alles. Viele kostbare Dinge gibt es hier. Fürchtet der Sahib nicht, daß man ihn berauben könnte? Nie zuvor habe ich so herrliche Dinge erblickt.« Er schaute bewundernd auf eine staubige Messingschale aus Benares auf einem wackeligen Ständer.
»Rauben würde hier nur ein Dieb aus der Dschungel«, warf Abdul Gafur ein und klapperte geräuschvoll mit den Tellern. Mogli öffnete weit seine Augen und blickte den weißbärtigen Mohammedaner an.
»In meinem Reich schneidet man Ziegen den Hals durch, wenn sie allzu laut blöken«, entgegnete er heiter. »Aber habe keine Angst, du. Ich gehe.«
Er wandte sich um und verschwand im Rukh. Gisborne blickte ihm mit einem Lachen nach, das in einen leichten Seufzer ausklang. Außerhalb des regelmäßigen Dienstes gab es im Leben eines Forstbeamten nicht viel Abwechslung, und dieser Sohn der Wälder, der mit Tigern umging wie gewöhnliche Sterbliche mit Hunden, würde ihm willkommene Zerstreuung gewesen sein.
Ein ganz prachtvoller Bursche ist das, dachte Gisborne; fast wie ein Bild aus einem Werk der Klassik. Ich hätte ihn gern zu meinem Büchsenspanner gemacht. Allein zu pirschen ist immer langweilig, und dieser Junge würde einen vollkommenen Schikarri abgeben. Was in aller Welt mag er wohl sein?
Am Abend des gleichen Tages saß er unter der Veranda unter den Sternen, rauchte und sann. Aus dem Pfeifenkopf stieg eine Rauchwolke hoch. Als sie abgezogen war, sah er Mogli mit gekreuzten Armen auf dem Geländer der Veranda sitzen. Ein Geist konnte nicht geräuschloser erschienen sein. Gisborne stutzte und ließ die Pfeife fallen.
»Draußen im Rukh gibt es keinen, mit dem man reden könnte. Deshalb bin ich zu dir gekommen«, sagte Mogli, hob die Pfeife auf und gab sie Gisborne zurück.
»Oh«, meinte Gisborne und fuhr nach einer längeren Pause fort: »Was gibt es Neues im Rukh? Hast du wieder einen Tiger ausgemacht?«
»Die Nilghais wechseln ihre Weidegründe, wie immer zur Zeit des Neumonds, die Sauen wühlen jetzt am Kanjefluß, denn sie wollen nicht mit den Nilghais zusammen fressen, und eine ihrer Bachen wurde von einem Leoparden gerissen in dem hohen Gras der Flußmündung. Mehr weiß ich nicht.«
»Und woher weißt du das alles?« fragte Gisborne, lehnte sich vor und blickte in die Augen des Fremden, die im Sternenlicht glitzerten.
»Wie sollte ich nicht wissen? Die Nilghais haben ihre Gewohnheiten und Bräuche, und jedes Kind weiß, daß Schwarzwild niemals mit ihnen zusammen äst.«
»Ich wußte es nicht.«
»Tck, tck! Und du bist Oberaufseher, wie die Männer in den Hütten mir sagten – Oberaufseher über alle diese Forsten?« Mogli lachte leise.
»Kindermärchen zu erzählen ist leicht genug«, gab Gisborne, gereizt über das Lachen, zurück. »Du kannst wer weiß was berichten, was alles im Rukh vorgeht, wenn keiner das nachprüfen kann.«
»Die Knochen der gerissenen Bache werde ich dir morgen zeigen«, entgegnete Mogli gänzlich unbewegt. »Und was die Sache mit den Nilghais betrifft, so möge der Sahib nur still sitzen bleiben, und ich werde einen Nilghaibullen hierhertreiben. Wenn der Sahib gut auf die Geräusche