»Hier wird ja so gearbeitet, daß der ganze Wald in Medelpad schließlich zersägt werden wird!« sagte der Junge.
Der Adler bewegte die Flügel ein wenig, und bald sahen sie ein neues, großes Sägewerk, das mit Sägemühle, Zimmerplatz, Hafenmole und Arbeiterwohnungen dem ersten ganz ähnlich war.
»Hier siehst du noch eine von den großen Mühlen. Sie heißt Kubikenburg,« sagte der Adler.
»Ich sehe, der Wald gibt mehr Ertrag, als ich mir vorstellen konnte,« sagte Niels. »Aber mehr Holzmühlen gibt es doch wohl nicht?«
Der Adler bewegte leise die Flügel und flog an ein paar Sägewerken vorüber, bis sie an eine große Stadt gelangten. Als der Adler hörte, wie sich der Junge darüber wunderte, was für eine Stadt das wohl sein könne, rief er ihm zu: »Das ist Sundsvall. Das ist der Hauptplatz des Bezirks.«
Der Junge dachte an die Städte unten in Schonen, die so alt und ernsthaft und grau aussahen. Hier oben in dem kalten Norden lag Sundsvall ganz drinnen in einer schönen Bucht und sah so lustig und strahlend aus. Es lag etwas weit Vergnüglicheres über dieser Stadt, wenn man sie von oben sah, denn in der Mitte ragte eine Gruppe hoher, steinerner Häuser auf, so prächtig, daß sie kaum in Stockholm ihresgleichen haben konnten. Rings um die steinernen Häuser herum war ein leerer Raum, und dann kam ein Kranz von hölzernen Häusern, die so traulich und freundlich inmitten kleiner Gärten lagen, jedoch ganz genau zu wissen schienen, daß sie viel geringer waren als die steinernen Gebäude, so daß sie sich nicht in ihre Nähe hinwagen durften. »Dies ist wohl eine reiche und mächtige Stadt,« sagte Niels. »Es ist doch nicht möglich, daß der magere Waldboden dies alles hervorgebracht haben kann?«
Der Adler bewegte die Flügel und flog nach der Insel Alnö hinüber, die Sundsvall gerade gegenüber lag. Hier geriet der Junge ganz außer sich vor Verwunderung über alle die Sägewerke, die dort am Ufer entlang lagen, eins neben dem andern, und drüben auf dem Festlande lag auch Sägewerk neben Sägewerk; Zimmerplatz neben Zimmerplatz. Er zählte mindestens vierzig, aber er glaubte, daß es noch mehr seien. »Es ist doch sonderbar, daß es hier oben so aussehen kann,« sagte er. »So ein Leben und so eine Bewegung habe ich sonst nirgends auf der ganzen Reise gesehen. Unser Land ist doch ein wunderbares Land! Wohin ich auch komme, überall ist da etwas, wovon die Menschen leben können!«
XLI. Ein Morgen in Ångermanland.
Das Brot.
Sonnabend, 18. Juni.
Als der Adler am nächsten Morgen eine Strecke nach Ångermanland hineingekommen war, sagte er, heute sei er hungrig und müsse sich etwas zu fressen verschaffen. Er setzte Niels Holgersen auf einer mächtigen Tanne ab, die auf einem hohen Bergrücken stand, und flog davon.
Der Junge suchte sich einen guten Sitzplatz in einem gegabelten Ast und saß da und sah über Ångermanland hinab. Es war ein herrlicher Morgen, die Sonne vergoldete die Baumwipfel, ein leiser Wind bewegte die Nadeln wie im Spiel und der lieblichste Duft stieg aus dem Walde auf. Eine prachtvolle Landschaft lag vor Niels ausgebreitet, und ihm selber war froh und sorglos zumute. Niemand, meinte er, könne es besser haben, als er.
Er hatte eine freie Aussicht nach allen Seiten. Das Land westlich von ihm war voller Felsgipfel und Bergkuppen, die höher und wilder wurden, je ferner sie lagen. Östlich von ihm waren auch Bergabhänge, aber sie senkten sich und wurden niedriger, bis das Land unten am Meer ganz flach wurde. Überall blinkten Bäche und Flüsse, die, so lange sie zwischen den Bergen flossen, einen gefährlichen Lauf hatten mit Gießbächen und Wasserfällen, sich aber breit und blank ausdehnten, sobald sie sich dem Meeresufer näherten. Auch den Bottnischen Meerbusen konnte er sehen. In der Nähe des Landes war er mit Inseln übersät und von Landzungen ausgezackt, weiter draußen aber lag er klar und dunkelblau da wie ein Sommerhimmel.
»Dies Land sieht aus wie ein Bach, wenn es eben geregnet hat und eine Menge kleiner Rinnsale zu ihm hinabgelaufen kommen und Furchen in den Boden graben, die sich winden und krümmen und schließlich zusammenlaufen,« dachte der Junge. »Und schön ist es hier. Ich entsinne mich noch, daß der alte Lappe auf Skansen immer sagte, der liebe Gott habe Schweden, als er es auf der Erde ausbreitete, auf den Kopf gestellt. Die anderen lachten über ihn, aber er behauptete, wenn sie nur gesehen hätten, wie schön es da oben im Norden sei, so würden sie schon begreifen, daß es nicht von Anfang an beabsichtigt gewesen sei, daß ein solches Land so abseits liegen sollte. Und ich glaube wirklich, darin hat er recht gehabt.« Als der Junge sich an der Landschaft satt gesehen hatte, nahm er den Ränzel vom Rücken, holte ein Stück feines Weißbrot heraus und begann zu essen. »Ich glaube, ich habe niemals so gutes Brot gekostet,« sagte er. »Und wieviel ich noch davon habe! Das kann noch für mehrere Tage ausreichen. Gestern um diese Zeit ahnte ich nicht, daß ich in den Besitz eines solchen Reichtums kommen würde.«
Während er aß und kaute, dachte er daran, auf welche Weise er das Brot bekommen hatte. »Es schmeckt mir gewiß so gut, weil ich es auf eine so schöne Weise bekommen habe.«
Schon am vorhergehenden Abend hatte der Königsadler Medelpad verlassen, und kaum war er über die Grenze von Ångermanland gekommen, als Niels Holgersen ein Tal und einen Fluß erblickte, die an Größe alles übertrafen, was er bisher an Ähnlichem gesehen hatte.
Das Tal lag so breit zwischen den Bergrücken, daß der Junge auf den Gedanken kam, ob es nicht in früheren Zeiten von einem anderen Fluß gegraben sei, der viel größer und breiter war als der Elf, der es jetzt durchströmte. Das Tal mußte, als es fertig war, auf irgendeine Weise mit Sand und Erde angefüllt sein, nicht ganz, aber doch ein gutes Stück an den Bergen hinauf. Und durch den losen Sand hindurch hatte sich dann ein anderer Elf, der jetzt durch das Tal lief, und der ebenfalls sehr breit und wasserreich war, eine tiefe Furche gegraben. Er hatte seine Ufer auf das prächtigste zugeschnitten, bald waren es weiche Abhänge, die so köstlich blühten, daß es ganz bis zu dem Jungen hinauf rot und blau und gelb schimmerte, bald stiegen die Teile des Ufers, die so hart waren, daß das Wasser sie nicht wegwaschen konnte, gleich steilen Mauern und Türmen vom Flußufer auf.
Dort oben in der Höhe, wo Niels Holgersen flog, glaubte er auf einmal in drei verschiedene Arten Welten hinabsehen zu können. Ganz unten in der Tiefe des Tales, wo der Elf floß, war die eine Welt. Da wurden Baumstämme geflößt, da gingen Dampfschiffe von einer Brücke zur anderen, da klapperten Sägewerke, da wurden große Frachtschiffe beladen, da wurde der Lachs gefangen, da wurde gerudert und gesegelt, da flogen eine Menge Schwalben von ihren Nestern am Flußufer hin und her.
Aber ein Stockwerk höher, sozusagen zur ebenen Erde, das sich ganz bis an den Rand der Berge erstreckte, da war eine andere Welt. Da lagen Höfe, Dörfer, Kirchen, da bestellten die Bauern ihre Äcker, da graste das Vieh, da grünten die Wiesen, da waren die Frauen in ihren kleinen Gemüsegärten beschäftigt, da schlängelten sich die Landstraßen, da brausten Eisenbahnzüge dahin.
Und dann, weit entfernt von diesem allen, hoch oben auf den waldbedeckten Bergkuppen, erblickte er eine dritte Welt. Da lag das Auerhahnweibchen auf seinen Eiern, da stand der Elch versteckt in dem tiefen Waldesdickicht, da lauerte der Luchs, da knabberte das Eichhörnchen, da dufteten die Tannen, da standen die Blaubeeren in Blüte, da schlug die Drossel ihre Triller.
Als Niels Holgersen das reiche Flußtal erblickte, fing er an, über Hunger zu klagen. Zwei Tage lang hatte er nichts zu essen bekommen, sagte er, und nun sei er ganz ausgehungert.
Gorgo konnte sich nicht darein finden, daß gesagt werden könne, der Junge habe es schlechter gehabt, als er mit ihm gereist sei, als bei den Wildgänsen, und er flog sogleich langsamer. »Warum hast du nicht früher davon gesagt?« fragte er. »Du sollst soviel zu essen haben, wie du nur willst. Du brauchst nicht zu hungern, wenn du einen Adler zum Reisekameraden hast.«
Gleich darauf gewahrte der Adler einen Bauern, der