„Alle Achtung Frau Professor“ sprach ein gedrungener Mann im Anzug Petra Becker an „es hat alles perfekt funktioniert, genau wie wir es uns vorgenommen hatten, Glückwunsch.“
„Danke“ erwiderte sie „das ist aber unser aller Verdienst, ohne Ihre Maschinensteuerung wäre das nicht möglich gewesen und ohne den Computer den Herr Fühmann mit entwickelt hat wäre gar nichts passiert, wir sollten uns alle freuen. Und lassen Sie bitte den Professor weg, das höre ich ja täglich von meinen Studenten.“
Als Petra Becker ihre Habilitation vor knapp zwei Jahren abgeschlossen hatte wurde sie sofort zur Professorin berufen, es war das erste Mal in der Geschichte der Hochschule, dass eine Frau einen Lehrstuhl für Kybernetik und Rechentechnik einnahm. Vor zehn Jahren hatte sie als Assistentin dort angefangen, und ohne dass sie es besonders darauf anlegte ihre akademische Karriere vorwärts zu treiben, kam sie Schritt für Schritt voran und überflügelte bald die alteingesessenen Wissenschaftler, die sich lieber an komplizierten Formeln delektierten, die in der Praxis aber kaum eine Rolle spielten. Sie hatte bald erkannt, dass Forschung schnell zum Selbstzweck führte, wenn keine greifbare Umsetzung dahinter stand und da sie eine Vielzahl von Belegen und Diplomarbeiten betreute auch einen Blick dafür, wo, auch unter den Bedingungen der knappen Ressourcen, etwas machbar war. Gezielt hatte sie Studenten für Themen der Maschinensteuerung interessiert, und die jungen Frauen und Männer lieferten neben ihrer eigenen Arbeit wichtige Beiträge für ihr Fachgebiet. Dazu kam, dass sie eine enge Beziehung zu ihren betrieblichen Partnern schätzte und oft vor Ort war, manchmal war sie erstaunt, welche Produkte die heruntergekommenen Hallen verließen, manchmal beeindruckt, dass es auch Inseln der Hochtechnologie gab, wo Arbeiter in sauberen Fabrikhallen gepflegte Maschinen bedienten. Das alles nahm sie wahr, war aber von ihrer Aufgabe viel zu sehr gefangen um zu erkennen, dass der Großteil der Fertigungsanlagen seine beste Zeit lange hinter sich hatte und dass offensichtlich viel improvisiert werden musste. Diese Dinge hatten andere zu klären, jeder musste halt seinen Part in diesem sozialen und wirtschaftlichen System spielen, so wie Bernd Fühmann.
Ihn lernte sie vor gut anderthalb Jahren bei ROBOTRON kennen, einem Zusammenschluss verschiedener Büromaschinenwerke, die Erfahrungen mit elektronischen Rechenwerken mitbrachten. Ihr war schon immer klar gewesen, dass eine moderne Maschinenfabrik aus drei wesentlichen Komponenten bestehen müsste: dem Maschinenpark, einer Verknüpfung mit Computern und der maßgeschneiderten Software. Was rings darum noch logistisch oder technologisch zu lösen war lag in den Händen anderer Spezialisten, Fühmann war ihr Partner für die Computer.
„Tja“ sagte er bedächtig „dem Westen sind wir ein ganz schönes Stück hinterher. Es war ein Kraftakt die ersten Maschinen zum Spielen zu bringen, und: wir haben hier und da auch ein bisschen abgekupfert, ansonsten wären wir heute noch nicht soweit. Aber unsere Maschinen sind robust und fallen nur selten aus, für Ihre Zwecke sind sie also ganz gut geeignet. Ich finde es übrigens sehr interessant womit Sie sich beschäftigen, vielleicht können wir uns auch mal außerhalb des Protokolls treffen.“
Petra Becker sah ihn an, er war vielleicht Ende dreißig, drei, vier Jahre älter als sie und etwas korpulent, was wegen seiner Körpergröße aber nicht sonderlich auffiel, er überragte sie um einen Kopf. Er trug eine Brille und seine Haare lichteten sich schon an den Schläfen, seine Kleidung war lässig aber gepflegt und insgesamt machte er einen seriösen, schon etwas gesetzten Eindruck.
„Das wird Ihre Frau aber gar nicht gern sehen, oder“ fragte sie harmlos.
„Es gibt keine Frau“ antwortete er „jedenfalls gegenwärtig nicht, es war einmal.“
Sie meinte Ärger aus seinen Worten herauszuhören. Petra Becker empfand ihn durchaus als nett und eine unverfängliche Begegnung mit ihm schloss sie nicht kategorisch aus, sie vereinbarten sich für den kommenden Sonnabend zum Wandern.
Wehrdienst, Thüringen, 1981
Obwohl es für Dieter Becker möglich gewesen wäre wegen seiner Herzmuskelschwäche untauglich geschrieben zu werden hatte sein Vater darauf gedrängt, dass er doch den Grundwehrdienst ableisten sollte.
„Du willst studieren, also wirst du dem Staat, der dir das ermöglichen wird, auch etwas zurückgeben“ hatte Peter Becker erklärt „und ein bisschen Zucht und Ordnung lernen hat noch keinem geschadet.“
An manchen Tagen widerte den jungen Mann alles an, das stupide Abtippen von Berichten der Kompaniechefs, das großspurige Auftreten der EKs, die ihn schon mal ihre Schränke aufräumen ließen, der Fraß im Speisesaal und vor allem die Langeweile. Die Bibliothek war für ihn nach Dienstschluss zu einem Fluchtpunkt geworden. Wenn die anderen in der Stube saßen und sich vorzugsweise über Frauen unterhielten verzog er sich dorthin, um sich wieder ein Buch auszuleihen. Die junge Frau die dort beschäftigt war wies nicht die geringsten Spuren von weiblicher Anziehungskraft auf, trotzdem erwischte er sie eines Tages mit einem anderen Soldaten, der sie heftig von hinten nahm. Keineswegs verlegen kamen sie danach aus den Regalreihen zu ihren Schreibtisch mit den vielen Karteikarten zurück, der andere grinste ihn nur an und die Frau nahm wie als wäre nichts geschehen an ihrem Tisch Platz. Wie die anderen litt Dieter Becker unter der sexuellen Enthaltsamkeit aber er zweifelte, ob die Wortführer in den diversen Diskussionen überhaupt schon mit einer Frau geschlafen hatten.
„Ich glaubte, der Muff brennt“ rief Göckel theatralisch aus, er wollte Schauspieler werden „stellt euch vor, der Bär ist feuerrot, alles echt, nicht gefärbt. Und sie war auch so wie man sich die Rothaarigen vorstellt, unersättlich, wir haben es an einem Abend sieben Mal miteinander getrieben.“
Golde lachte hämisch auf.
„In deinen Träumen, du Spinner“ sagte er trocken.
Golde war obwohl erst 19 schon verheiratet und hatte eine Tochter, er musste es also wissen.
„Du bist ein furchtbarer Aufschneider, dir glaub ich gar nichts“ setzte er fort.
„Es ist wahr“ erwiderte Göckel „danach musste ich meinen Schwanz zur Kühlung in eine Schüssel legen.“
„Für den ist eine Schüssel doch viel zu groß, ich hab beim Duschen dein Schnippel gesehen, die Weiber müssen dich doch auslachen“ legte Krenkel nach und Göckel schwieg beleidigt.
Dieter Becker versuchte zu lesen. In dem Zimmer mit den acht Betten war er der Einzige der studieren wollte und der raue Ton zwischen den Maurern, Fleischern und Werkzeugmachern stieß ihn ab. Einzig zu Wunderlich, der eine CNC Maschine bedienen konnte fand er einen Draht, manchmal unterhielten sich die beiden auf dem Raucherplatz, sie hatten wegen der manchmal drückenden Langeweile mit Rauchen angefangen.
„Der Göckel ist schon ein Schauspieler, der braucht das gar nicht erst zu lernen“ sagte Wunderlich „eigenartiger Mensch, der in seinen Wunschvorstellungen lebt und darin aufgeht.“
„Ich glaube dass er Komplexe hat“ antwortete Dieter „er ist nicht sonderlich groß, zwar nicht hässlich aber auch nicht besonders ansehnlich, er flüchtet aus der realen Welt, ich kann das schon verstehen.“
„Das kann schon sein“ meinte Wunderlich „aber er soll uns mit seinen Spinnereien in Ruhe lassen, das nervt nur.“
Natürlich gab Göckel keine Ruhe, achtzehn Monate lang würde Dieter Becker Geschichten aller Art von ihm hören die er aber jedes Mal entsprechend modifizierte, so dass es den Anschein hatte, er würde sie zum ersten Mal erzählen, der Mann verfügte offensichtlich über Phantasie und Talent.
Die anderen waren recht tumbe Gesellen, die eigentlich immer danach trachteten Alkohol zu organisieren und sich die Kante zu geben. Dabei gingen sie sehr erfinderisch vor, schnell waren regelrechte Läuferstaffeln in der Lage, ausreichende Vorräte in das Objekt hinein zu schmuggeln. Damit standen sie allerdings vor dem Problem die Flaschen in der Stube zu verstecken, was nicht einfach