Die Zeitgene. Christian Manhart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Manhart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844213973
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kein weltfremder Spinner. Natürlich war die Idee alle Menschen zu verkleinern in gewisser Weise verrückt und anmaßend. Aber es war möglich. Das Versuchsbaby Winston erinnerte ihn jeden Tag daran.

      In die Zukunft blicken zu können, war ein wiederum ein äußerst reizvoller Gedanke. Immer wieder erinnerte er sich an die langen, fast endlos wirkenden Träume während seines Komas. Es gab in der Vergangenheit eine Unmenge von so genannten Sehern, Propheten und Wahrsagern. Woher und wie hatten sie ihr Wissen bezogen? Hatten sie vielleicht die richtigen Gene dafür?

      Johann hatte es sich in den Kopf gesetzt diese Fragen zu beantworten und wissenschaftlich nachzuweisen, dass alle Lebewesen grundsätzlich dafür vorbereitet waren, in die Zukunft zu blicken. An diesem Projekt, dürften auch keine moralischen Bedenken aufkommen. Denn das Aktivieren von Genen, ist nicht gleichzusetzen mit Veränderungen und Eingriffen in die bestehende genetische Programmierung. Sie ist lediglich eine Erweiterung.

      Kapitel 2

      Neuanfang

      Im Schwesternzimmer blinkte aufgeregt das Lämpchen von Zimmer 4. In Zimmer 4 lag seit fast einem halben Jahr der Komapatient Professor Schellberg mit den amputierten Beinen. Ungläubig setzte Schwester Manuela ihre Kaffeetasse auf den Tisch. Sollte er...?

      Sie stand auf und nahm vorsichtshalber ihren Piepser mit. Ihre Haare zum Pferdeschwanz gebunden, wippten, als sie im Laufschritt zu Zimmer 4 lief. Routinemäßig klopfte sie an der Tür und öffnete sie einen Spalt. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie Johann aufrecht im Bett sitzen sah. Sie drückte automatisch den Knopf auf ihrem Piepser. Der Stationsarzt wurde dadurch alarmiert.

      „Dr. Schellberg? Hallo? Wie geht es ihnen?“

      In Windeseile war sie an sein Bett geeilt und hielt ihn an der Schulter fest. Empört sah er sie an.

      „Wo bin ich? Wie komme ich hierher? Was ist mit meinen Beinen passiert? Was soll das mit den Schläuchen?“

      Manuela drückte ihn sanft zurück in die liegende Position.

      „Lehnen Sie sich bitte wieder zurück. Der Doktor kommt sofort. Bitte bleiben Sie ruhig liegen.“

      Sie stellte an einem seitlich angebrachten Hebel die Lehne so hoch, dass sich Johann in einer bequemen halbsitzenden Stellung anlehnen konnte. Hinter ihr kam der Diensthabende Arzt Dr. Orter zur Tür herein.

      „Na, das ist ja mal eine Überraschung. Herr Dr. Schellberg. Sie sind wach, das freut uns sehr, nicht wahr Manuela?“

      Dr. Orter machte sich sogleich an eine Untersuchung von Johann. Doch Johann hatte anderes im Sinn als sich einer neurologischen Untersuchung zu unterziehen. Er wollte schleunigst die lästigen Schläuche loswerden. Gleichzeitig war ihm an einer Aufklärung über die Umstände gelegen, die ihn in diese Lage gebracht haben. In den letzten Minuten dämmerte ihm langsam, dass er wohl eine längere Zwangspause genommen hatte. Er musste unbedingt alles über sich erfahren. Abwechselnd musterte er den Arzt und die Schwester.

      „Dr. Orter, hätten Sie bitte die Güte und befreien mich von diesen Infusionsschläuchen und vor allem diesem Katheder. Das ist sehr ...unangenehm.“

      „Natürlich, Schwester Manuela...“

      „Ähh, also ich...“

      „Herr Dr. Schellberg, Schwester Manuela macht so etwas nicht zum ersten Mal. Haben Sie nur Vertrauen.“

      Schwester Manuela hatte inzwischen einen Rolltisch herangefahren auf dem alles Notwendige bereit lag. Die Prozedur dauerte nur wenige Minuten. Dr. Orter erklärte sich bereit mit Johann in die Cafeteria zu fahren und mit ihm etwas zu trinken. Dabei konnte er ihm das Unglück, welches zum Verlust seiner Beine führte, näher erörtern. Johann durfte nur Wasser trinken. Geschockt reagierte er auf die Nachricht, sechs Monate im Koma gelegen zu haben.

      „Sechs Monate! Ich habe sechs Monate im Koma gelegen? Mein Gott. Und meine Beine. Wer hat mir meine Beine abgeschnitten? Ich muss alles darüber wissen. Jetzt gleich sofort. Los fangen Sie schon an!“

      „Warten Sie doch ab, ich erzähle ihnen alles was ich über ihren Unfall weiß.

      Also, Sie arbeiteten in ihrem Institut in Tübingen und an jenem Unglückstag gab es einen terroristischen Überfall auf Sie und ihre Mitarbeiter. Es waren international operierende Wirtschaftsterroristen. Sie wurden dabei mehrmals angeschossen. In die Arme und die Beine. Die Narben an ihren Armen sind die Andenken daran. Man konnte Sie in allerletzter Sekunde retten. Das Gebäude wurde mit dem Brandbeschleuniger von schätzungsweise 5000 Liter flüssigem Brennstoff regelrecht eingeäschert. Die Feuerwehr war völlig machtlos. Soweit bekannt wurde, gab es außer ihnen keine Überlebenden. Das Inventar und Laboreinrichtung waren nur noch Asche. Bedauerlicherweise natürlich auch die gesamte Forschung. ...Tut mir leid für Sie.

      Sie hatten bei dem Anschlag sehr viel Blut verloren. Man verlegte Sie umgehend hierher ans Klinikum Würzburg. Bedingt durch den Blutverlust und die schweren Gewebeverletzungen blieb den Ärzten nichts anderes übrig, als die zerfetzten Gliedmaßen zu amputieren.“

      „Alles vernichtet? Meine gesamte Arbeit? Ein Terrorakt? Ich versteh das nicht.“

      „An was können Sie sich den erinnern? Wo waren Sie, als man auf Sie geschossen hatte?“

      „Ich habe momentan keine Ahnung. Die Erinnerung daran fehlt mir vollständig. Vielleicht fällt mir ja in ein paar Tagen etwas ein.“

      „Unter Umständen kann ihnen ihre Freundin weiterhelfen. Sie wird bald kommen. Sie besucht Sie fast täglich. Ihr kleiner Sohn wird Sie bestimmt auf andere Gedanken bringen, glauben Sie mir.“

      „Mein Sohn?“

      Johann blieb der Mund offen stehen. Sein Sohn? Wie sollte er zu einem Sohn kommen? Eine Freundin hatte er auch noch. Was war alles geschehen? Johann hatte keine Erinnerung. Nichts. Ja, das Institut und die Forschung, das wusste er alles noch. Aber die Geschehnisse vor dem Unfall waren wie weggeblasen.

      „Dr. Schellberg? Alles in Ordnung?“

      „Ja, ja, ich habe nur nachgedacht. Es ist alles so weit weg. Ich werde eine Zeit lang nachdenken müssen. Ich danke ihnen. Bringen sie mich jetzt bitte in mein Zimmer zurück. Wann kann ich entlassen werden? Spricht etwas dagegen, wenn ich sie mich bevorzugt behandeln, damit ich so rasch als möglich wieder arbeiten kann?“

      „Nein, prinzipiell keineswegs. Ihre Verletzungen sind weitgehend ausgeheilt. Aber ohne gründliche Neurologische Untersuchungen und eine mehrwöchige Rehabilitation kann ich sie nicht gehen lassen. Ich würde ihnen aber dringend dazu raten, anschließend noch ein paar Tage länger zu bleiben. Sie sollten auch nicht unterschätzen, dass sich ihre Muskulatur durch das monatelange Liegen stark zurückgebildet hat. Das wird Sie am Anfang sehr viel Kraft kosten. Ein paar Aufbauübungen mit unseren Physiotherapeuten können da Wunder bewirken. Aber überlegen Sie es sich. Es hat keine Eile. “

      Johann blickte nach unten auf seine Beinstümpfe. Sie ragten unbedeckt unter seinem Krankenhausnachthemd hervor.

      „Wenn Sie möchten, dass wir Sie noch auf ihr Leben mit dieser Behinderung vorbereiten, sind wir gerne bereit dazu. Es wird leichter für Sie werden als Sie denken. Später, wenn sich ihre Muskulatur komplett erholt und regeneriert hat, sind auch Vollprothesen möglich. Sie könnten damit fast so laufen wie ein Gesunder. Dementsprechendes Training vorausgesetzt.“

      „Das wäre vielleicht gar nicht so schlecht. Aber Sie müssen wissen, ich habe viel zu tun. Ein neues sehr wichtiges Forschungsprojekt wartet bereits auf mich. Ich habe sechs wichtige Monate meines Lebens verloren.“

      Nun war Dr. Orter einigermaßen irritiert. Der Mann war vor einer halben Stunde aus einem halbjährigen Koma aufgewacht, wusste praktisch nichts mehr über den Vorfall, der in diese Lage gebracht hatte und sprach von einer wichtigen Forschungsarbeit die er schnell anpacken wollte! Es war doch angebracht einige ausführliche Tests mit ihm durchzuführen. Er hatte vermutlich doch einige Schädigungen seines Geisteszustandes hinnehmen müssen. Dr.