Familienurlaub könnte so schön sein, wenn bloß Mutter nicht mit dabei wäre… Band 1. Jörn Kolder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörn Kolder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844269949
Скачать книгу
dass er an einem schönen Sommertag an einer schnöden Portion Haferflocken erstickte, die seine Frau ihm jeden Morgen kredenzte. Sie fand ihren Mann von Arbeit nach Hause kommend leblos vor und sortierte in ihrem Kopf erst einmal die erforderlichen Arbeitsschritte, die in einem solchen Fall notwendig waren. Es war keineswegs nur Gefühlkälte was sie dazu veranlasste so vorzugehen, vielmehr entsprach es ihrem Naturell rational an die Dinge heranzugehen, schließlich hatte sie Mathematik und Physik am Gymnasium unterrichtet.

      Nachdem sie eine plausible Reihenfolge gefunden hatte arbeitete sie diese konzentriert ab, an vierter Stelle stand die Information an ihren Sohn Frieder. Hannelore Bergmann teilte ihm mit, dass sein Vater leider verschieden sei, die Beerdigung hatte sie bereits auf den kommenden Donnerstag festgelegt.

      Frieders Verhältnis zu seinem Vater war nie besonders eng gewesen, eigentlich passte er gar nicht zu seiner Mutter, denn er war wirklich ein Hallodri. Der gut aussehende Mann verdiente sein Geld damit, mit noch drei anderen Musikern über die Dörfer zu ziehen und Hits der siebziger und achtziger Jahre zu spielen. Im Schnitt war er immer so um die drei, vier Tage unterwegs und musste zwangsläufig auswärts übernachten. Da er kein Kostverächter war lag es auf der Hand wie er die Nächte dort verbrachte, aber überführt werden konnte er nie, es blieb also nur bei Mutmaßungen. Frieder Bergmann erinnerte sich, wie er als Junge unabsichtlich und unentdeckt einer Auseinandersetzung seiner Eltern folgte, in welcher seine Mutter seinem Vater Vorwürfe an den Kopf schleuderte, die dieser als Unfug abtun wollte.

      „Glaubst du etwa ich weiß nicht wie viele Bräute du in diesen Kuhkaffs hast“ hatte seine Mutter wütend geschrien „warte ab, wenn du wieder zu Hause bist kriegst du andere Bandagen angelegt.“

      Frieder konnte damit nicht viel anfangen aber er kriegte schnell mit, was gemeint war.

      Ob es das schlechte Gewissen des Vaters war, weil an den Vorwürfen tatsächlich was dran war, oder ob er bloß seine Ruhe haben wollte war nicht richtig auszumachen, jedenfalls unterwarf er sich in den Tagen zu Hause ganz dem Diktat der strengen Mathematik- und Physiklehrerin. Sie ging subtil vor und schwang nicht etwa die große Keule, aber mit kleinen spitzen Bemerkungen machte sie ihm öfter klar, dass sein Geisteshorizont nicht an ihren heranreichte und er eben bloß ein weibergeiler Musiker wäre, sie jedoch die ehrenvolle Aufgabe hätte, die Jugend auf das Leben vorzubereiten. Dass sich sein doch so großer und kräftiger Vater überhaupt nicht wehrte enttäuschte Frieder zutiefst und er erkannte bald, dass Hannelore Bergmann eindeutig die Hosen in dieser Ehe anhatte. Seine Mutter wurde etwas nachgiebiger, als Berthold Bergmann nun nicht mehr in den Dörfern übernachtete, weil er ihr zu seinem 60. Geburtstag erklärte, dass er aus der Kapelle aussteigen und ab sofort nur noch mit dem Keyboard als Alleinunterhalter in Altersheimen auftreten würde, machte sie ihren Frieden mit ihm, aber auf ihre spezielle Art. An den Tagen ohne Auftritt fand der Mann einen Zettel vor, der die verschiedensten Aufgaben für ihn bereithielt. Die Palette der Tätigkeiten reichte von Müll weg bringen bis zum Einkaufen und als Berthold Bergmann es eines Tages wagte, neben den in der Liste vermerkten Güter eine ungarische Salami zu kaufen, musste er sich Vorhaltungen wegen seiner Geldverschwendung machen lassen.

      Hannelore Bergmann war weder herz- noch gefühllos. Es wurmte sie allerdings unsäglich, dass sie niemals einen Beweis für die Untreue ihres Mannes erbringen konnte, denn auf Beweisführung kam es in ihren Unterrichtsfächern allerdings sehr wohl an. Dass sie auf der privaten Strecke dazu nicht fähig war und ein ums andere Mal scheiterte kratzte mächtig an ihrem Ego, so dass Berthold Bergmann eigentlich sein Leben lang der Leidtragende dieser Geschichte war. Da er nichts dagegen unternahm hatte Frieder eigentlich wenig Mitleid mit ihm und schlug sich immer mehr auf die Seite seiner Mutter, die für ihn die stärkeren Akzente setzte. Was sie ihrem Mann an Zuneigung nicht geben wollte oder konnte schüttete sie wie ein niemals leeres Füllhorn über ihrem Sohn aus und erdrückte ihn fast damit. Sie legte für ihn auch fest, welche Freunde er haben konnte und als er sich das erste Mal verliebte gab sie ihm zu verstehen, dass das Mädchen für ihn vollkommen ungeeignet sei. Solche sicher gut gemeinten aber lästigen Bevormundungen trieben Frieder nach dem Studium schnell aus dem Haus seiner Eltern, seine Frau Petra stellte er ihnen damals nur kurz vor um irgendwelche Diskussionen zu umgehen, und als er seine Eltern (ohne sie vorher einzubeziehen) zur Hochzeit einlud, hatte er sich aus seiner Perspektive endgültig emanzipiert.

      Dies schien seine Mutter durchaus zu beeindrucken, denn fortan behandelte sie ihn nicht mehr wie einen kleinen Jungen, sondern irgendwie respektvoller. Der Bann brach dann endgültig als Rüdiger und Claudia geboren wurden, und Hannelore Bergmann zu ihrer großen Verwunderung die liebevolle und immer hilfsbereite Großmutter in sich entdeckte. Alles lief soweit perfekt, bis auf die eine Woche, die sie jedes Jahr in den Sommerferien bei Frieder, Petra und den Kindern verbrachte, denn dann herrschte Ausnahmezustand.

      „Mein lieber Junge“ las Frieder Bergmann unsicher „wie du weißt, fahre ich alljährlich mit Berta Hartmann für zwei Wochen in den Urlaub, richtiger: fuhr ich. Leider ist Berta vorige Woche verstorben aber das wird mich nicht daran hindern, meinen Urlaub auch dieses Jahr wie gewohnt wahrzunehmen. Nun ist es aber so, dass ich nicht allzu gern allein verreise und ich habe mich deshalb entschieden, euch in dieser Zeit Gesellschaft zu leisten. Du musst nicht erschrecken, ich werde euch nicht zu Hause auf die Pelle rücken, ich reise einfach mit euch mit, da sind wir alle wieder einmal schön zusammen und Petra und die Kinder werden sich sicher auch freuen. Natürlich beteilige ich mich anteilig an den Kosten und habe mir auf dem Laptop schon eine kleine Excel Datei angelegt in der wir alle Ausgaben genau erfassen können. Schließlich will ich mir nicht nachsagen lassen, dass ihr mir den Urlaub finanziert. Wo soll es überhaupt hingehen? Ich rufe dich in den nächsten Tagen mal an, deine Mutti.“

      Für einen Moment war Frieder Bergmann zu keinem klaren Gedanken in der Lage, ungläubig starrte er auf die Zeilen und glaubte einem Irrtum zu unterliegen. Er spannte sich an, kam auf die Beine und ging zum Kühlschrank, griff sich ein Bier und riss es mit dem Öffner auf. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, das Getränk versonnen in ein Glas einzugießen und zuzusehen, wie die Kohlensäure perlend aufstieg und zischend eine Schaumkrone bildete, die sich nach einigen Lidschlägen verdichtete und weiß schimmern über dem Bier verharrte, setzte er die Flasche an den Mund und ließ das Getränk in Stil eines Verdurstenden in sich hineinlaufen. Erstaunt stellte er fest, dass er in einigen Sekunden einen halben Liter Bier getrunken hatte, sonst nippte er genießerisch daran und versuchte den Geschmack bewusst wahrzunehmen, schließlich trank er ja kein Wasser. Er richtete den Blick nochmals auf den Text und las ihn ein zweites Mal, jetzt begriff er, dass er sich nicht geirrt hatte. Sofort nahm er sich ein zweites Bier aus dem Kühlschrank und setzte es wieder an, in diesem Moment betrat sein Sohn Rüdiger die Küche.

      „Wie siehst du denn aus, Papa“ fragte er überrascht und feixte breit.

      „Was meinst du“ fragte Frieder zurück, denn er war von dem Brief noch so schockiert, dass er die Erlebnisse mit dem Auto und der Polizei momentan verdrängte.

      „Na du hast eine riesige Beule auf der Stirn“ erwiderte der Junge „seit wann prügelst du dich denn?“

      „Ach, war‘ n Problem mit dem Auto, da musst du dich morgen drum kümmern, hast doch frei.“

      „Und was ist da los“ wollte sein Sohn wissen, die Aussicht, ein bisschen mit dem Auto fahren zu können, war verlockend.

      „Die Scheißkarre bremst nicht mehr und aus der Waschanlage kam irgendwelches bräunliches Zeug, bloß kein Wasser. Ich gebe dir Papiere, Schlüssel und die Rechnung der Werkstatt, da steht auch die Telefonnummer drauf.“

      Plötzlich wurden die Erlebnisse mit dem Auto wieder wach, Frieder Bergmann hatte jetzt bereits zwei Flaschen Bier intus, die ihm schon mächtig in den Kopf gestiegen waren und die Wut über die miese Leistung der Werkstatt und den Brief seiner Mutter kanalisierte sich jetzt in einer wüsten Schimpfkanonade.

      „Mach’ diesen Säcken dort klar, dass sie mächtigen Ärger bekommen, wenn das Auto morgen bis 17 Uhr nicht vor unserer Haustür steht, gewaschen natürlich und mit einem fetten Preisnachlass für die schlampige Arbeit. Du willst doch Jura studieren, tritt denen in