Im Wesentlichen Nichts. Markus Saga. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Markus Saga
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748521631
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und inspiriere Sinnsuchende mit dem Ausblick auf die eigene Sterblichkeit. Lebensglück mit der Aussicht auf den Tod in 30 Tagen. Vielleicht funktioniert das ja auch bei ihm. Er ist natürlich erst einmal irritiert. Was würde er in der noch verbleibenden Zeit tun? Sofort kündigen. Wie die meisten meiner Patienten. Er denkt ziemlich lange nach. Fast alle Patienten bereuen, dass sie ihre Lebensqualität aufgeschoben haben. Ich habe den richtigen Zeitpunkt verpasst, murmelt er. Viele träumen von einem Ferienhaus im Süden oder von Reisen um die Welt. Das sind die Klassiker. Ich würde gerne sagen, was ich denke, sagt Martin. Fang heute damit an, sage ich. Seine Tochter meldet sich am Telefon. Er wird sie besuchen. Sie hat eine Überraschung für ihn.

      Kutterscholle in Kalifornien

      Herr Grünwaldt

      Das Meer rauscht in meinen Ohren, der Deich sonnt sich und Möwen watscheln im Bild umher. Ein Schiff tutet am Horizont. Ich döse im Strandkorb und freue mich auf meine Rente. Der Schaffner will meinen Fahrausweis kontrollieren. So ein Spielverderber. Ich bestelle mir ein Bier, während draußen das platte Land vorbeizieht. Kalifornien liegt direkt neben Brasilien. Man geht immer schnurstracks auf dem Deichweg entlang, vorbei an Rettungsschwimmerhäuschen und Abfallkörben. An schlechten Tagen überfallen einen von der Landseite die Rapskäfer, manchmal regnet es oder der Wind ist zu heftig, aber Schlimmeres steht nicht zu befürchten. Am Strand bimmelt der Eiswagen. Abends sitze ich auf einer Bank und höre den Wellen zu, wie sie Geschichten von Seeräubern, versunkenen Schiffen und Schätzen auf dem Meeresgrund erzählen. Dann schlafe ich ein.

      Seute Deern

      Er hat abgenommen, das sehe ich gleich. Kriegen wir schon wieder hin. Wenn es unbedingt Scholle sein muss, von mir aus. Oder wie wir hier sagen: So mok wi dat. Ich mag mehr Schnitzel und Deftiges. Die Lea kommt zum Glück auch. Wir päppeln ihn schon wieder auf. „Wie geiht di dat?“, frage ich, nachdem wir uns heftig umarmt haben. Wir sind hier oben sonst nicht so, aber der Junge darf das. Ich könnte ja glatt seine Mutter sein. Manchmal glaube ich sogar, dass er sich das wünscht. Wo doch seine Eltern schon tot sind. Ich schnack wieder zu viel. Wir trinken einen Jubi zur Begrüßung. Er nennt mich mien seuten Deern, mein süßes Mädchen. Alter Charmeur. Ich sag nix und lache nur. Wir reden hier nicht so viel. Er erzählt von seiner Arbeit, ich frage nach Marga. Er lässt schöne Grüße ausrichten. Dösbaddel, die Frau einfach gehen zu lassen. Erst mal Kutterscholle, dann sehen wir weiter.

      Esther

      Ich vermisse ihn. Er ist schon ein paar Tage lang spurlos verschwunden. Ich weiß noch nicht einmal seinen Namen. Seit unserem kleinen Unfall haben wir uns immer nur angesehen. Vielleicht hat er Urlaub. Hätte ich auch gerne mal wieder. Oder wenigstens ein bisschen frei. Wo er wohl hin ist? Er sieht aus wie ein Meer-Typ. Das wäre schön: Zeit. Ich würde mit ihm gerne am Strand spazieren gehen. Stundenlang. Ob er mich versteht? Ich wünsche es mir so sehr. Wir müssen uns unbedingt wiedersehen. Kann das gut gehen?

      Nora

      Heute ist Markttag, da wird es hier im Laden nicht so voll sein. Wir liegen einfach zu weit außerhalb. Trotzdem will ich mich nicht beklagen. Letzten Monat war spitze. Und jetzt beginnt zusätzlich die Touristensaison. Da steht schon einer. Ganz kurze Haare, fast wie ein Soldat. Hat der sich verirrt? Schaut auch ganz misstrauisch. Ich bleibe erst mal lieber in meiner Ecke. Er hat mich noch nicht gesehen. Mit Räucherstäbchen und Duftkerzen kann ich dem nicht kommen. Er besieht sich die Statuen. Das scheint auch nichts für ihn zu sein. Meinen monumentalen Engel starrt er sogar fast feindselig an. Wieso bleibt er dann trotzdem? Vielleicht ein geheimer Sinnsucher. Ich versuche mal mein Glück, bevor er doch wieder abhaut, und heiße ihn herzlich willkommen. Er mustert verstohlen mein Kleid und schaut mich an, als begegne er einem seltenen Tier. Bestimmt schätzt er mein Alter. Sein Blick ist wach. Es liegt ihm was auf der Seele. Na, mal sehen.

      „Womit kann ich dir helfen?“, frage ich.

      „Ich bin nur zufällig hier vorbeigekommen“, sagt er.

      „Es gibt keine Zufälle. Schau dich ruhig um.“ Ich sehe ihn bewusst freundlich an und entschwinde wieder in meine Ecke. Er braucht noch ein bisschen.

      Er nimmt eine Klangschale in die Hand und eine der Buddhafiguren. Dann geht er zur Steinsammlung. Ich sortiere mal die Bücher. Vor der Vitrine mit dem Halsschmuck scheint er nachzudenken. Er besieht sich jedes einzelne Stück, wandert am Ende trotzdem weiter. Zum Glück kommen jetzt noch ein paar andere Kunden. Es geht um den Kurs am nächsten Wochenende. Die Anmeldeliste ist fast voll. Yes! Als ich fertig bin, steht mein Soldat hinter der Säule. Er scheint etwas gefunden zu haben. Ich bin schon zur Stelle.

      „Fündig geworden?“

      Er blickte sich fast erschrocken um. Strahlend blaue Augen.

      „Kann ich dieses Stück mal sehen?“

      „Natürlich“, sage ich und hole den Schlüssel für die Vitrine. Die Versicherung besteht auf den Quatsch. Ich nehme das silbrig-schwarze Amulett in die Hand. Es ist viel schwerer, als es aussieht. Gusseisen. Wieder scheint er ein wenig enttäuscht zu sein. Er versucht, die Buchstaben auf der Rückseite zu entziffern.

      „Es wirkt bei jedem anders“, erkläre ich ihm.

      „Wie meinst du das?“

      „Halte es mal vor deine Brust.“

      Er tut, worum ich ihn gebeten habe, und ich schließe die Augen.

      „Es wird dir deine Würde zurückgeben“, sage ich nach einer Weile und mache die Augen wieder auf.

      Er blickt erst mich und dann sein Amulett fragend an, auf dem er die Runen entdeckt, ohne sie einordnen zu können. Ich erkläre es ihm.

      „Und was bedeuten sie im Einzelnen?“

      „Da müsste ich nachschlagen. Wenn du willst, kannst du das auch selbst tun. Ich leihe dir ein Buch, da steht die Bedeutung der einzelnen Runen drin. Du kannst es benutzen, wenn du hier bist.“

      „Und was ist das für ein Tempel in der Mitte?“

      „Das ist Stonehenge.“

      Ich muss lachen. Sorry. Er hat wirklich keine Ahnung und lächelt verlegen.

      „Was meintest du eben mit der Würde und was hast du da überhaupt gemacht?“

      „Ich bin hellfühlig. Weißt du, was das ist?“

      Er verneint.

      „Ich kann Dinge fühlen, die man normalerweise nicht so ohne Weiteres fühlen kann“, versuche ich es möglichst einfach.

      Er scheint das spannend zu finden.

      „Das Amulett wird dir helfen, deine Würde wiederzuerlangen. Du hattest einmal viel Macht, aber du hast sie verloren. Ich weiß nicht warum. Nur, dass es so ist. Das Amulett wird dir auf deinem Weg helfen.“

      Er kauft es und packt es zu einem Buch mit dem Titel Alter Sack, was nun?

      Kutter

      Wieso tue ich mir das eigentlich an? In aller Herrgottsfrühe und dann auch noch mit einem Touri an Bord. Opa Schneekloth scheint ihn zu kennen. Moin Moin, sagt er mit Pfeife im Mund. Paul-Werner nickt nur kurz und knapp mit´m Kopp und stinkt mir weiter die Kajüte voll. Ist wahrscheinlich wieder im Haunerkrug abgestürzt, der Gute. Leute, was soll ich nur mit euch machen. Das Ufer liegt still im nächtlichen Frieden und außer uns Bekloppten ist absolut niemand zu sehen. Noch nicht einmal Lichter in den Ferienwohnungen. Erst als wir ablegen, sehe ich von ferne einen LKW auf der Landstraße. Wir fahren schweigend auf die offene See hinaus und der Touri schaut dem Wasser zu, wie es sich an meinem Bug bricht und in seichten Wellenbewegungen seitwärts an meiner Bordwand vorbeigleitet. Die Möwen ziehen mit uns in die Stille hinaus, die nur vom Tuckern meiner altersschwachen Pumpe unterbrochen wird. Das kennt die See ja nun schon. Opa