Im Wesentlichen Nichts. Markus Saga. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Markus Saga
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748521631
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High Heels und der Kaffee ist gut. Bevor ich wieder draußen auf der Straße stehe, hat sie sogar einmal gelacht. Wenn auch nur, als ich mich mit Martin vorstelle und sie nach ihrem Namen frage. Ich weiß so gerade noch, in welcher Gegend wir letzte Nacht gestrandet sind und schlingere zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Das Fragezeichen, ob noch Wochenende ist, verfliegt mit immer mehr hastigen Beinen, Aktentaschen und Einkaufstüten, die meinen Heimweg kreuzen. Als endlich warmes Wasser über meinen Körper läuft und die Klamotten sicher in der Wäsche verstaut sind, kehrt etwas mehr Erinnerung an den verlorenen Abend zurück. Nichts davon bleibt. Aus den Resten im Kühlschrank stelle ich mir ein Frühstück zusammen und nehme ein paar der Glückspillen, die mein Arzt mir unlängst gegen die Bitterkeit in meinem Herzen verschrieben hat. Dann lege ich mich nackt ins Bett und bin bereit zu sterben.

Teil I

      Was soll das alles hier?

      Herr Grünwaldt

      Die Petunien blicken mich vorwurfsvoll an. So als ob sie sagen wollten: „Siehst du, das hast du jetzt davon.“ Ich habe eben keinen grünen Daumen. Ob die Klematis sich mit der Passionsblume verträgt, ist auch noch nicht ausgemacht. Das war Margas Revier. Punkt, Aus, Ende. Bevor sie den Garten angelegt hat, gab es hier nur Gestrüpp und Unkraut, so weit das Auge blickte. Da hat sie drin gewütet. Als es mit uns bergab ging auch. Fuck.

      Im Radio läuft wieder so ein Mist. Die Moderatorin ist krampfhaft bemüht, lustig zu sein. Die Show heißt „Schmier mir eine“. Es geht um Brötchen. Ich schlage besser die Zeitung auf, auch wenn da immer weniger Interessantes drin steht. Ich bin ein Fossil und kann eh nichts dran ändern. Die Todesanzeigen werden jetzt auch schon bunt und die Einschläge kommen heute besonders nahe: 1956 hier geboren und in Washington D.C. gestorben, 1958 (im Nachbarort), 1959 und ein Künstler, 1961 (!) mit einer zusätzlichen Anzeige seines Arbeitgebers, 1963 (!!), und eine Frau schießt mit 1969 sogar deutlich über das Ziel hinaus. Was bitte ist denn bloß los?

      Das Wochenende ist zum Faulenzen da und zum Spaß haben. Ich klettere in meinen Lesesessel, der genau auf den Garten zeigt und blättere in der Beilage. Die müssen ganz schön um ihre Existenz kämpfen. Es gibt zu viele Apps, Blogs und Blubbs. Ich kenne mich da nicht so genau aus, aber es ist auf jeden Fall zuviel. In der Beilage gibt es zum Glück einen interessanten Artikel, denn unter der Eifel rumort es und da bin ich schließlich geboren. Die letzten Ausbrüche der Vulkane liegen zwar mehr als 10.000 Jahre zurück, allerdings ist die Wissenschaft offenbar überzeugt, dass von ihnen noch eine Gefahr ausgeht. Jetzt würde ich gerne Vater anrufen. Lea hat als Kind immer gesagt: „Opa weiß alles.“ Die Deutsche Vulkanologische Gesellschaft auf ihrem Gebiet wahrscheinlich auch, und in ihrem Memorandum, unterzeichnet von immerhin elf Wissenschaftlern, wird auf das Gefährdungspotenzial hingewiesen. Es gebe deutliche Hinweise darauf, dass sich in der Eifel in 40 bis 100 Kilometern Tiefe ein Bereich befinde, in dem die Temperatur deutlich höher sei als in der Umgebung. Das wiederum sei ein Hinweis für den Aufstieg von Magma aus dem Untergrund. Sagt ein Kölner Professor. Das gefährliche Gebilde heißt im Fachjargon Plume und im schlimmsten Fall droht der Eifel die Wiederholung des Laacher-See-Ereignisses von vor knapp 13.000 Jahren mit dem Ausbruch gigantischer Aschemengen, die alles unter sich begraben. Ich stelle mir den Laden von der alten Rosenke vor, der Halsabschneiderin. Oder besser noch: die Wassongs. Sitzen mit ihren Lästermäulern direkt auf der Plume, wie die mit Kawumm in die Luft geht. Das habt ihr jetzt davon. Ich musste mich bei denen sogar entschuldigen, obwohl die Wassong gelogen hat, nicht ich. Sie hat gesagt, ich bin so verzogen wie meine Mutter. Und dass wir die fette Töle beim Fußball abgeschossen haben, dafür konnte ich nichts. Schon wieder Buße tun. Diesmal musste ich den scheiß Rasen mähen. Bestimmt ein Hektar. Rache war Blutwurst und trug den Namen Carlo. Der gefährlichste Kampfkater vom ganzen Dorf. Die Töle sah danach echt gerupft aus und die Wassong hat fast einen Herzkasper gekriegt. Ach, was waren das herrliche Zeiten! Aber zurück zur Plume. Der Professor sagt, es lässt sich nicht mit 100-prozentiger Sicherheit ausschließen, dass es bereits nächste Woche zu einem Vulkanausbruch in der Eifel kommt. Mit globalen Konsequenzen, wie es scheint. Das geht dann doch zu weit, wenn mein geliebtes Rheinland so den Bach runtergeht. Rosenke hin, Wassong her. Ein paar Zeilen weiter bin ich wieder beruhigt: Es gibt zurzeit keine Anhaltspunkte für einen unmittelbar bevorstehenden Ausbruch, sagt der Professor. Was sich derzeit dort im Untergrund tue, unterscheide sich nicht signifikant von den Aktivitäten in den letzten 50 Jahren. Bis auf einige winzige Beben unlängst, die man nicht so genau einordnen könne. „Irgendetwas hat sich dort im Untergrund getan.“ Der Mann sollte Politiker werde, so wie der rumeiert, finde ich. Prompt empfiehlt er, die Feuerberge gründlicher und dauerhaft zu überwachen. Forschungsgelder, daher weht also der vulkanische Wind.

      Esther

      Ich hasse dieses Kopftuch. Und dann erst der Kittel. Ich komme mir vor wie unter einer Burka. Die Arme sind mit diesen Gummiüberziehern verunstaltet und statt Pumps trage ich Arbeitsschuhe. Sehr sexy. Am liebsten würde ich den ganzen Kram ausziehen und wegschmeißen. Aber dann würden sie ihre Zungen gar nicht mehr eingeklappt kriegen. Ich seh das ja bei meinen Kolleginnen. Bin gespannt, wann der Erste trotzdem versucht, mich anzumachen. Was ein Pack. Wenn einer versucht, mir unter den Kittel zu greifen, knall ich ihm eine. Verdammtes Geld.

      Herr Grünwaldt

      Nachdem der restliche Sonntag ohne größere Überraschungen vorbei gegangen ist, setze ich mich pünktlich um 07.20 Uhr am nächsten Morgen hinter das Steuer meines C-Klasse Mercedes, um kurze Zeit später den dichten Berufsverkehr auf dem Weg zu meinem Park and Ride-Stellplatz zu verfluchen. Ich sollte mir ein Fahrrad kaufen und die paar Meter bis zum Bahnhof als morgendliches Fitnesstraining nutzen. Zu Fuß dauert es zu lange. Mit dem Fahrrad würde es klappen. Nur den inneren Schweinehund überwinden, das muss doch gehen. Ich denke an meinen Religionslehrer mit den dicken Schweißflecken unter den Achseln. Und diese Helme sehen auch wirklich bescheuert aus.

      Abseits des Pendlergewusels sitzt der Penner mit seiner Rotweintüte auf einer Bank. Kurz nach mir kommen die Bohnenstange mit dem ausgelaugten Alleinerziehendengesicht und der Gartenzwerg mit den Birkenstock-Latschen, der aussieht wie Nachbarschaftsstreit über herabfallendes Laub. Ein neues Graffiti verkündet:

      Trenne dich nie von deinen Illusionen und Träumen.

       Wenn sie verschwunden sind, wirst du weiter existieren,

       aber aufgehört haben zu leben.

      Bevor ich darüber nachdenken kann, kommt mit quietschenden Bremsen der Gegenzug und mit ihm die allmorgendliche Ladung Telekom-Mitarbeiter: die lange Mähne, wahrscheinlich IT-Freak, zwei Schlipsträger aus dem mittleren Management, diverse graue Mäuse und das Mädel, das schon von Weitem nach Drogenmissbrauch aussieht. Ich kann die Traurigkeit in ihren Augen sehen. Auch heute spreche ich sie nicht an. Wahrscheinlich bringe ich nie den Mut dazu auf. Sie würde mich vermutlich ohnehin falsch verstehen.

      Ich sitze immer ganz vorne im Zug, wenn es geht. In den Zeiten des Terrors hat man da die besten Chancen, habe ich mal gelesen. Kofferbomber platzieren ihre tödliche Fracht offenbar am liebsten in der Zugmitte. Mir gegenüber sitzt der Flughafenmitarbeiter, neben ihn hat sich eine korpulente Rothaarige gezwängt. In Brühl steigt sie mitsamt ihrem Gucci-Imitat aus. Dafür entert das zivile Kirchenpersonal die Bildfläche: der pastorale Schwätzer, die Betschwester und die stumme Zeitungsleserin. Zwischen Köln-West und Hauptbahnhof geht es nur stockend und schließlich gar nicht mehr voran, weil eine Weiche klemmt. Die Störung erlaubt mir einen diskreten Blick auf das Sexparadies zur Rechten und den Gedanken, was eigentlich wäre, wenn ich jetzt einfach aussteigen würde. Armes Schwein. Doch da ruckelt der Zug auch schon wieder an. Pünktlich um 08.29 Uhr ziehe ich meinen Dienstausweis durch die Stechuhr und blicke auf exakt 98,24 Überstunden. Wenn ich den heutigen Tag dazurechne, habe ich die magische 100er-Grenze überschritten, die die Fleißigen von den Unentbehrlichen trennt.

      Sekretärin

      „Guten Morgen“, flöte ich.

      Er sieht, dass etwas anders ist, kommt aber nicht direkt drauf. Männer! Er rätselt