Im Wesentlichen Nichts. Markus Saga. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Markus Saga
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748521631
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      Schwein gehabt, mein Lieber.

      Während ich die Mails ignoriere, die sich über das Wochenende angesammelt haben (Spam oder übereifrige Kollegen), sortiert mein Chef die Morgenpost vom Freitag in den Abfall. Sein Leben ist so ausgefüllt wie die Tonne neben ihm.

      „Ich sehe schon, wie dein Wochenende wieder war“, sage ich mit sorgenvollem Blick. Mütterlicher Instinkt.

      „Ich hatte einen seltsamen Traum“, antwortet er und bietet mir einen Kaffee an. „War leider zu müde, um ihn aufzuschreiben. Ich weiß nur noch, dass ich in einem langen Gang unterwegs war. Der Boden bestand aus Linoleum und die tausend Türen waren alle verschlossen. Ich glaube, es war mein Studentenwohnheim. Ich bin dann auf einer endlosen Reihe leerer brauner Flaschen balanciert. Mit nackten Füßen. Ich musste dauernd aufpassen, dass ich nicht runterfalle.“

      „Hat das nicht wehgetan?“

      „Hm. Keine Ahnung. Unterbrich mich nicht.“

      „Tschuldigung.“

      „Jedenfalls, später habe ich in einem Sessel gesessen, so einem alten mit Cordbezug wie bei meinen Eltern. Und ein riesiger schwarzer Mann hat sich neben mich gedrängt. Dann weiß ich nur noch, dass sich zwei lange Beine um meinen Hals gewunden haben, wie Schlingpflanzen, und mich erwürgen wollten.“

      „Der schwarze Mann?“

      „Hä?“

      „Ob es die Beine von dem riesigen schwarzen Mann waren?“

      Wir müssen beide lachen.

      „Nein, sie waren dünn und glatt rasiert.“

      Er denkt einen Augenblick nach und blickt aus dem Fenster.

      „Sie waren schön“, sagt er verträumt.

      „Marga?“

      „Weiß nicht. Nein, glaub ich nicht. Ich hab allerdings auch kein Gesicht gesehen. Ich bin schweißgebadet aufgewacht und hab mich erst mal umgezogen.“

      Herr Grünwaldt

      Ich hasse die Abteilungsleiterkonferenz. Die Chefin kommt wie alle wichtigen Leute chronisch zu spät, Kringe hat sein verlogenes Montagmorgen-Lächeln an und stinkt wieder bestialisch nach Fusel, und überhaupt würde ich am liebsten eine Bombe zünden. Ein herrlicher Tag nach einem erholsamen Wochenende, bereit zu neuen Taten! Ich schwafle was von der anstehenden Umstellung im PC-Bereich, Kringe verhaspelt sich im wachsenden Dickicht der selbstgebastelten Verwaltungsvorschriften, und nach dem üblichen Kantinengewürge erwartet mich ein freundlicher Agenturfuzzi mit modischer Brille, der unseren Behördenbrummer fit für die Zukunft machen soll. Für rund 3.000 Euro pro Tag bringt er uns weg vom Image des kommunalpolitischen Selbstbedienungsladens. Ich erhalte den ehrenvollen Auftrag, die gesammelten Erkenntnisse hausintern zu verankern und zusammen mit der Pressestelle für die erfolgreiche Umsetzung zu sorgen. Währenddessen kotzt der aufdringliche Mensch in mir und arbeitet dann an folgender kleiner Notiz:

      In diesen Momenten ist alles leer in mir.

      Ich spüre nichts, außer meinen Atem und

      die Sinnlosigkeit meiner Existenz.

      Es ist nicht die Leere, die ich mir gewünscht habe.

      Die Leere, die man braucht, wenn das eigene Gefäß sich füllen soll.

      Es ist die Leere kurz vor dem Tod eines Lebens, in dem es

      im Wesentlichen um NICHTS gegangen ist.

      Esther

      In den meisten Bürokäfigen ist es still. Nur in der IT brennt Licht. Wahrscheinlich schauen sie sich wieder Pornos an. Der verdammte Putzwagen ist noch schwerer als sonst. Oder ich werde alt. Ich lasse ihn einfach hier stehen und flitze um die Ecke zur Männertoilette. Den wird schon keiner klauen. Wie das hier wieder aussieht! Müssen die immer daneben pinkeln? Die dicken Gummihandschuhe sind doch manchmal ganz gut. Ein Glück, dass die mir fast bis zu den Ellenbogen reichen. Wozu gibt es eine Klobürste? Wie im Kindergarten. Schnell noch den Schweinestall durchwischen und dann ab nach Hause.

      Ich habe schon die Klinke in der Hand und bin froh, dass trotz fehlender Absperrung durch den Putzwagen keiner reingekommen ist, da springt mir die Tür förmlich entgegen.

      Dong!!

      Ich höre den Knall in meinem Kopf und denke, gleich falle ich um. Himmel, was hat das gescheppert. Scheiße!!! Ich muss mich festhalten. Die Tür ist still. Da stehe ich in meiner ganzen weiß-blau-gelben Herrlichkeit, klammere mich an das Waschbecken, während mir ein Horn aus der Stirn wächst und von draußen ein zaghaftes Hallo? zu hören ist.

      Der Schlipsträger steht jetzt schräg hinter mir und fragt: „Alles in Ordnung?“

      „Geht schon.“ Witzbold.

      Ich bleibe über das Waschbecken gebeugt. Der glotzt mir bestimmt auf den Hintern und versucht krampfhaft abzuschätzen, ob ich eine Figur habe, für die es sich lohnt. Pech gehabt, du Schmock! Tarnung ist das halbe Leben.

      „Soll ich einen Arzt holen?“

      Jetzt hat er auch noch Angst, dass ich ihn verklage.

      „Mir ist nur schwindelig. Bin gleich wieder soweit.“

      Seine Stimme passt nicht zu dem, was ich denke. Ich drehe mich um. Er ist mittelalt, schon Geheimratsecken, die übliche Beamtenspießerkleidung. Er schaut mich an, als hätte er noch nie eine Frau gesehen. Aber mir gefallen seine Augen. Sehr sogar. Sie sind offen. Dahinter sehe ich ein Licht. Das kann doch nicht sein. Ich glaube, jetzt starre ich auch. Er schluckt schwer und wir sehen bestimmt beide höchst dämlich aus, wie wir uns hier anglotzen. Ich schiebe eine Haarsträhne zurück unter mein Kopftuch. Schade, dass er meine Haarfarbe nicht sehen kann. Henna. Heute morgen erst gemacht. Ob sie ihm gefallen würden? Oh Esther, jetzt krieg dich wieder ein, der ist unter Garantie verheiratet und hat Kinder in einem schmucken Einfamilienhaus im Grünen. Einen Ring trägt er allerdings nicht. Das sind die Schlimmsten.

      Jetzt nimmt er auch noch meine Hand!

      Seine ist ganz warm.

      Ich kann nicht anders und schaue ihn wieder an. Wir kennen uns schon ewig, kein Zweifel.

      „Es geht schon wieder“, sage ich und nehme meine Hand wieder aus seiner. „Es war meine Schuld.“

      „Nein, nein“, stammelt er, „es war meine Schuld. Ich hätte nicht so hektisch die Tür aufstoßen dürfen. Entschuldigung.“

      Ich muss lächeln, obwohl ich mich zurückhalten will. Am liebsten würde ich ihn umarmen. Fast schon rührend, wie er dasteht und nicht weiß, was er tun soll.

      Ich drehe den Wasserhahn zu, nehme Putzeimer und Mopp und stehe auch ganz unschlüssig vor ihm.

      „Ich müsste jetzt da raus“, sage ich schließlich.

      Er nickt und tritt zur Seite.

      „Was ist mit Ihrer Beule? Wir sollten sie kühlen.“

      „So schlimm ist das nicht. Danke.“

      Ich blicke mich noch einmal um und verschwinde dann. Mannomann.

      Ich kann das nicht einordnen. Obwohl ich weiß, wer er ist. Alles um mich herum hat sich verschoben. Ihm geht es genauso. Dieses Licht kam von ganz weit her. Oder täusche ich mich?

      Herr Grünwaldt

      Ich habe dieses Gesicht schon mal gesehen. Fein geschwungene Augenbrauen. Wie gemalt. Und erst die Augen! Hellgrün, eingebettet in ein Meer aus strahlendem Weiß! Beschützt von langen schwarzen Wimpern. Das sind die schönsten Augen, die ich je gesehen habe. Zum Träumen!!

      Ich muss aufpassen, dass ich nicht irgendwo gegen laufe.

      Farshad