Spiel des Zufalls. Joseph Conrad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joseph Conrad
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750247857
Скачать книгу
konnte. Sie waren gute, dumme, ernsthafte Menschen und sehr besorgt. Das waren sie -- in der unbeherrschten Art, wie sie Durchschnittsmenschen eigen ist. Es gab kein Fleckchen in ihnen, das das Lampenlicht zu scheuen gehabt hätte.

      Sofort nach unserem Eintritt gab Fyne das Ergebnis bekannt, indem er im gleichen Tone wie am Zauntor, nach der Rückkehr vom Bahnhof, das Wort ›Nichts‹ aussprach. Und Frau Fyne gab ihr abschließendes ›Es ist, wie ich dir sagte‹ zurück, das wie das Echo ihrer Worte im Garten klang. Wir Drei sahen einander an, als erwarteten wir eine Erleuchtung. Ich weiß nicht, ob die Frau meine Anwesenheit mißbilligte. Von Zudringlichkeit konnte nicht gut die Rede sein. Wie denn auch? Der kleine Fyne hatte damit angefangen, so ging es weiter. Wir standen vor ihr, mit dem gleichen Schmutz bedeckt (Fyne sah fabelhaft aus), von den gleichen Dornen zerkratzt, mit dem gleichen Erlebnis hinter uns. Jawohl. Vor ihr. Und sie sah uns mit gekreuzten Armen an, übervoll von angenommener Richterwürde. Ich wagte es, sie anzureden.

      ›Sie glauben nicht an einen Unfall, Frau Fyne, oder doch?‹

      Sie schüttelte mit kurzer Verneinung den Kopf, während Fyne, lehmüberkrustet und mit unerhört ernsthafter Miene, ihr mit dem ganzen Gewicht seiner feierlichen Gegenwart Rückhalt zu bieten schien. Man konnte sich nichts Unsinnigeres vorstellen. Es war köstlich! Und ich sprach ehrerbietig weiter: ›Darf ich daraus schließen, daß Sie einen Selbstmord anzunehmen wünschen?‹

      Es ist mir nicht bekannt, daß ich etwa zu Wahnvorstellungen neige, und doch stand mir, während ich auf ihre Antwort wartete, plötzlich mit erschreckender Deutlichkeit das Bild dreier abgerichteter Hunde vor Augen, die auf den Hinterbeinen tanzten. Ich weiß nicht warum. Vielleicht infolge der übermäßigen Feierlichkeit. Es gibt nichts Feierlicheres auf Erden, als den Tanz dressierter Hunde.

      ›Sie hat es für richtig befunden zu verschwinden, das ist alles.‹

      Mit diesen Worten antwortete mir Frau Fyne. Der gereizte Ton war zuviel für meine Beherrschung. Im Augenblick fand ich mich außerhalb des Reigens, auf allen Vieren sozusagen, frei zu bellen und zu beißen.

      ›Den Teufel hat sie‹, rief ich. ›Hat es für richtig befunden ... Ganz einfach, so ohne weiteres, rücksichtslos, irgendwohin ... Ich habe den Vorzug gehabt, mit der waghalsigen und schroffen jungen Dame zusammenzutreffen, und muß sagen, daß sie mir mit ihrer Art eines gereizten Opfers ...‹

      ›Ganz genau so‹, sagte Frau Fyne unerwartet, als schnappte ein Fangeisen ein. Ich starrte sie an. Wie aufreizend sie war! So fuhr ich in meiner Tirade fort: ›Sie kam mir gleich im ersten Augenblick wie das unüberlegteste, verdrehteste junge Mädel vor, das ich jemals ...‹

      ›Warum sollte ein Mädchen unüberlegter sein als sonst jemand? Mehr als irgendein Mann zum Beispiel?‹ forschte Frau Fyne und entfaltete dabei noch höhere Würde.

      Natürlich wehrte ich mich dagegen, nicht sehr laut, das ist wahr, aber doch kräftig. Dürfte man denn die Gefühle von Freunden, von Verwandten und sogar von Fremden völlig außer acht lassen? Ich fragte Frau Fyne, ob sie es nicht für eine Pflicht halte, nicht nur auf die natürlichen Empfindungen, sondern sogar auf die Vorurteile unserer Mitmenschen eine gewisse Rücksicht zu nehmen?

      Ihre Antwort warf mich um.

      »Nicht für eine Frau.«

      Gerade so. Ich gebe zu, daß ich platt auf dem Rücken lag. Und in dieser Liegestellung offenbarte sich mir der wahre Sinn von Frau Fynes Frauenrechtlerei. Es war keine politische, keine soziale, es war eine Lehre wie ein Hammerschlag. -- Zum praktischen, persönlichen Gebrauch bestimmt. Du würdest es mir nicht danken, wenn ich sie dir des langen und breiten auseinandersetzen würde. Ich glaube ja auch nicht, daß sie selbst mich ganz eingeweiht hat.

      Es müssen noch einige Punkte darin gewesen sein, die für Männerohren nicht geeignet waren. In Kürze aber lief es wohl, soweit ich in meiner Bestürzung der schauerlichen Einfalt zu folgen vermochte, etwa darauf hinaus: daß keine Rücksicht, kein Feingefühl, keine Zärtlichkeit, kein Bedenken eine Frau (die ja durch die bloße Tatsache ihres Geschlechts zum Opfer der Lebensverhältnisse vorherbestimmt war, wie sie die eigennützigen Leidenschaften, die Laster und die unerträgliche Herrschsucht der Männer geschaffen hatten), daß also nichts der Art eine Frau hindern sollte, auf dem kürzesten Wege für sich selbst die denkbar günstigste Daseinsform zu erstreben. Sie hatte sogar das Recht, aus dem Leben zu gehen, ohne Rücksicht auf irgend jemandes Gefühl oder auf Schicklichkeit, da ja so vielen Frauen durch die kurzsichtige Niedertracht der Männer das Leben tatsächlich unmöglich gemacht wurde.

      Ich sah sie an, wie sie da unter der Lampe saß, um ein Uhr morgens, mit ihrem reifen, glatten, männlich geschnittenen Gesicht, dem die Müdigkeit etwas von seiner Frische genommen hatte; sah ihre Augen, getrübt durch diese sinnlose Nachtwache. Ich sah auch Fyne an. Der Schmutz begann auf ihm zu trocknen. Auch er war offenbar müde. Müde von der Entfaltung aller der Würde. Doch bewahrte er unbeugsam seine feierliche Miene und schien bereit, alles auf sich zu nehmen, wie es einem guten und treuen Gatten zukommt.

      ›Ach so,‹ sagte ich, ›keine Rücksichten ... Nun, ich hoffe nur, daß es Ihnen so recht ist.‹

      Sie machten mir mehr Spaß, als ich mir in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Nach dem ersten Schreck begann ich mich ziemlich rasch zu erholen. Die Weltordnung war fest genug. Er war Staatsbeamter, und sie sein gutes, treues Weib. Wenn man sich aber erst einmal mit Menschen auseinanderzusetzen beginnt, dann darf man auf alles, aber auch auf alles gefaßt sein. So hielt auch meine Verblüffung nicht lange an. Wieviel von dieser gewissenlosen und weltfremden Lehre sie vor ihren jungen Freundinnen zu entwickeln pflegte, die für ihren Gatten nur gleitende Schatten waren -- das konnte ich nicht sagen. Sie behielt wohl schwerlich etwas für sich. Und er sah zu, stimmte bei, billigte alles, weil eben diese netten jungen Mädchen für ihn nur Schatten waren. Oh, übertugendhafter Fyne! Er schlug die Augen nieder. Es paßte ihm nicht ganz. Aber ich sah ihn mit heimlichem Haß an, denn er hatte mich unter falschen Vorwänden dazu verführt, hinter ihm drein zu rennen.

      Frau Fyne hatte für mich nur ein sehr ausdrucksvolles, sehr selbstsicheres Lächeln. ›Oh, ich verstehe sehr gut, daß Sie die volle Verantwortung auf sich nehmen‹, sagte ich. ›Ich bin die einzig lächerliche Figur in diesem -- diesem -- ich weiß nicht, wie ich es nennen soll -- Theaterstück. So oder so, ich habe hier nichts mehr zu tun, und darum will ich gute Nacht sagen, oder guten Morgen, denn es muß ein Uhr durch sein.‹ --

      Vor dem Abschied erklärte ich mich aber doch in simplem Anstand bereit, ein paar Telegramme mitzunehmen, wenn sie welche abschicken wollten. Meine Wohnung läge näher zur Post als die ihre, und ich wollte die Telegramme als erstes am nächsten Morgen hinbringen. Ich nahm an, daß sie sich wenigstens wegen des Gepäcks mit den Verwandten der jungen Dame in Verbindung setzen wollten ...

      Fyne, der schon recht erschöpft aussah, lehnte dankend ab.

      ›Es ist wirklich nicht ein einziger da‹, sagte er sehr ernst.

      ›Nicht ein einziger!‹ rief ich aus.

      ›Tatsächlich nicht‹, schnitt Frau Fyne ab.

      Und meine Neugier wuchs wieder.

      ›Ach, ich verstehe, eine Waise!‹

      Frau Fyne wandte traurig den Blick ab, und Fyne sagte eifrig: ›Ja‹, schränkte aber dann diese Bejahung durch den Zusatz ein: ›Bis zu einem gewissen Grade.‹

      Nun kam mir selbst plötzlich meine an Erschöpfung grenzende Müdigkeit zum Bewußtsein. Ich verbeugte mich vor Frau Fyne und verließ die Villa, fand mich aber draußen der sternenflimmernden Unendlichkeit gegenüber. Die Nacht war noch nicht weit genug vorgeschritten, als daß die Sterne verblaßt gewesen wären, und die Erde schien mir in noch tieferen Schlaf versunken, -- vielleicht weil ich jetzt allein war. Da ich Fyne nun nicht neben mir hatte, ließ ich mich in der Richtung des Bauernhauses zu treiben. Es war kein Gehen. Sichtreiben -Lassen ist die einzige nicht anstrengende Art der Bewegung (frag' irgendein Schiff, ob das nicht stimmt) und daher dem Nachdenken förderlich. Und ich grübelte: Wie kann man eine Waise sein ›bis zu einem gewissen Grade‹? Keine noch so nachdrückliche