Wir überfallen die Polizei. Thorsten Nesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thorsten Nesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651055
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bessere Zeiten gesehen. Um genau zu sein, der Anzug sah aus, als hätte er ihn aus einem Mülleimer gefischt: Risse, Falten, Flecke, Knöpfe fehlten, und die Watte eines Schulterpolsters glänzte in der Sonne. Daneben das unrasierte und ungewaschene Gesicht eines Obdachlosen, eines Penners mit fettigen, strähnigen Haaren, der sich, Ende zwanzig, bereits aufgegeben und gehen gelassen hatte. Zwei Plastiktüten in der einen Hand, in der anderen einen schmalen Gehstock.

      Nein. Einen Golfschläger!

      Ich schnappte mir den Golfball und reckte ihn ihm entgegen, —Ist das deiner?

      Der Typ hob seinen Golfschläger über die eine Schulter, —Du gehst nicht oft Kegeln, oder?

      —Komm mir nicht noch blöde!, sagte ich, beschloss aber, es dabei zu belassen, schließlich hatte er einen Golfschläger in der Hand und ich nicht.

      Er streckte mir den Eisenknüppel entgegen, und erst dachte ich, er wollte mir drohen, doch dann meinte er, —Halte dich fest, ich ziehe dich hoch.

      Mein Stolz widerstrebte dem Angebot, aber mein in Mitleidenschaft gezogener Kopf entschied sich für die Hilfe. Mit einer Hand hielt ich mich fest. Endlich stand ich wieder, und mit meinem Seesack erklomm ich den Grabenrand. Ein spröder Plastikbecher zersplitterte unter meinen Füßen.

      —Tut mir echt leid, Mann, zum Glück hat der Ball nicht dein Auge getroffen.

      Er war ein Stück größer als ich, blond, mit den Augen eines ehemaligen Abiturienten.

      —Ja, ich bin schon ein richtiger Glückspilz, sagte ich und fegte mit der Hand Grashalme von meiner Wange, Shirt und Hose. Dabei drehte ich mich.

      —Du hast was verloren, sagte er hinter mir.

      —Was?, fragte ich.

      Er hielt mir meine Entlassungspapiere entgegen, sie waren mir aus der Hosentasche gerutscht.

      —Bitte, Kollege, sagte er.

      —Danke, Kollege?

      —Laut meinen Bewährungsauflagen haben sie mir den Umgang mit Ex-Knastis verboten. Ich dürfte gar nicht mit dir rumstehen und erzählen.

      —Die hätten dir besser das Golfen verboten. Weswegen warst du drin?

      —Eine Geldgeschichte.

      —Kenne ich. Und dann geben sie dir einen Scheck am Ende.

      Seine Augen blitzten auf, —Kann ich den sehen?

      —Wozu?

      —Vielleicht passt noch irgendwo eine Zahl in die Summe, oder zwei, ich nehme dreißig Prozent für meinen Service.

      Mein erster Instinkt war Freude, doch mein gesunder Menschenverstand konnte sich gegen mein Gefühl durchsetzen, —Meinst du nicht, die könnten misstrauisch werden bei einem Scheck, ausgestellt von der Strafanstalt, an dem herumgepfuscht wurde?

      Er schlug ein Bein über das andere wie ein Dandy, während sein Gewicht voll und ganz auf dem Golfschläger ruhte, —Das sieht keiner. Ich bin der Beste.

      Seine Plastiktüten knisterten.

      —Dann sag mir mal, du Bester, was du hier machst? In dem Aufzug.

      —Hatte Pech gehabt.

      —Und das will ich vermeiden. Außerdem habe ich das hinter mir gelassen.

      —Was?

      —Pech, Knast, Verbrechen.

      —Sicher?

      —So sicher, wie ich verliebt bin.

      —Wegen einer Schnecke, natürlich, verstehe.

      Meine Schläfe pochte, ich verzog das Gesicht.

      —Kann ich das irgendwie wieder gutmachen?, fragte er.

      Ich musterte ihn demonstrativ von oben bis unten, seine Füße steckten in ausgelatschten Romeka Slippern, —Du? Wie willst du jemals irgendetwas wieder gutmachen können?

      —Mit einem Drink, sagte er betont ruhig, die Frage hatte er erwartet.

      —Mit einem Drink? Wo? Im Restaurant von deinem Golfclub?

      Ich gab ihm den Golfball wieder und hob meinen Seesack auf.

      —Für einen Cross-Golfer ist die ganze Welt ein Golfplatz, sagte er und steckte sich den Ball in die Jackentasche.

      —Cross-Golfer? Du bist ein Penner mit einem Golfschläger.

      Er zog ein beleidigtes Gesicht, —Also ich kann dem Herrn wohl nicht helfen. Entschuldigung nochmal, machs gut.

      Mir fiel ein, dass sich der Typ hier auskennen könnte. Vielleicht wusste er den kürzesten Weg zum nächsten öffentlichen Telefon, dann könnte ich meinen Vater anrufen, nachhören, was er treibt. Vielleicht würde mir der Typ auch mit fünfzig Cents aushelfen. Schmerzensgeld quasi. Und wenn so einer Geld hat: dann Kleingeld.

      —Weißt du, wo hier die nächste Telefonzelle ist?

      Er lehnte den Golfschläger elegant an sein Bein und fischte ein Handy aus der Sakkotasche.

      Das hatte ich nicht erwartet, —Gibt es die Dinger schon als Nachtisch in der Suppenküche? Wie lange habe ich gesessen?

      —Jetzt komm mal unter. Ruf an, nicht zu lange, und gut ist.

      Und dann warf er mir sein Handy zu.

      Kratzer zogen sich über das Nokiagehäuse, und unten links im Display leuchtete ein rotes Dreieck, das seine Farbe nicht veränderte, egal, was man drückte. Es besaß nur die Grundfunktionen, alles andere als ein Smartphone.

      Ich tippte die Nummer ein, die ich bei seinem ersten Anruf auf einer Serviette notiert hatte und seitdem mit mir herumtrug. Es tutete so lange, ich wollte schon aufgeben, da meldete sich die bekannte Säuferstimme, —Ja?

      —Hallo, hier Dreher, ich hätte gern ein Taxi!, sagte ich.

      —Sohnemann!

      —Scheiße Sohnemann. Wo bist du?

      —In Köln.

      —Schön für Köln. Köln ist groß. Du wolltest mich abholen.

      —War nicht so leicht, einen Wagen zu bekommen.

      —Dann hättest du doch einem Pförtner Bescheid sagen können. Dann hätte ich wenigstens nicht wie blöde gewartet.

      —Wenn er es dir gesagt hätte! Du weißt, wie die sind.

      Das wusste ich, aber ich sagte, —So wäre ich jetzt sauer auf ihn und nicht auf dich.

      —Ich habe nicht dran gedacht.

      —Scheint so. Hättest mich auch mit dem Bus abholen können.

      Nur sein Atmen in der Leitung. Und dieser Chris schaute mich die ganze Zeit an, als würde er unser Gespräch belauschen. Wenn andere neben mir telefonieren, dann tue ich wenigstens so, als würde ich nicht zuhören.

      —Bist du noch da?, fragte ich.

      —Ja.

      —Du hast mir versprochen, mich abzuholen.

      —Sorry, Sohnemann. Aber immerhin bin ich zu deiner Entlassung in die Stadt gekommen.

      —Auf niemanden ist Verlass. Niemanden!

      —Natürlich kannst du dich auf mich verlassen, auf mich kannst du dich immer verlassen! Ich bin doch keine Frau, mein ... aua ...

      Er sprach vom Telefon weg, war nur noch leise zu hören, —Wofür war der denn jetzt?

      Marias entfernte Stimme, die ich da noch nicht kannte, sie äffte ihn nach, —Ich bin doch keine Frau.

      —Das war doch nicht so gemeint.

      —Wie kann man so was meinen?

      Flirteten die?

      —Hallo! Hallo!, rief ich in das Telefon.