Wir überfallen die Polizei. Thorsten Nesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thorsten Nesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651055
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wenn die sehen, was wir Erwachsenen machen? Guck dir doch die Nachrichten an, die Politiker, die Bänker, jeden mit einem Anzug, von wegen Politiker, denen sollte man die Berufsbezeichnung aberkennen! Durch etwas anderes ersetzen. Weißt du, dass Politik von Polis kommt? Das ist griechisch für „das Volk“!

      —Herrje, ich hab einen Gelehrten an der Theke.

      —Nur haben die nix mehr mit dem Volk zu tun. Von denen kommt keiner aus dem Volk, oder kennst du eine Ministerin, die vorher Krankenschwester war? Die kommen alle aus reichen Häusern, stinkreichen Häusern, da kann man auch nur so Politik machen, für Reiche, die kennen gar nichts anderes. Das kann man denen kaum zum Vorwurf machen. Aber dann soll man es auch nicht Politik nennen, sondern eher Firmenpolitik, oder so, ach, sagte er und winkte ab, als hätte Maria ihm geantwortet, und präsentierte stolz seine Wortschöpfung, —Firmenpolitiker, das sind sie, ja, und Firmenpolitik machen sie, das wäre ehrlich, und weil sie nicht so richtig für sich an die Steuergelder direkt rankommen, überweisen sie das Geld nach Griechenland. Geldwäsche ist das, Steuergeldwäsche, das sage ich dir, nichts anderes, vorne kommen Steuergelder rein, und hinten kommt Geld für die Taschen der Reichen raus, Banken, Versicherungen, da sitzen ihre Verwandten in den Vorständen und auf den Managerposten, perfekt. Unsereins wird entlassen, die Bänker werden staatlich unterstützt und kriegen weiter ihren Lohn. Schimpansen hätten nicht größeren Mist machen können als die all die Jahre. Den sollte man wenigsten den Lohn auf das deutsche Durchschnittsgehalt senken. Sollen sie damit mal klarkommen. Mal sehen, was sie dann sagen würden. Arrogant, wie die sind.

      —Bist du fertig?, seufzte Maria mehr, als dass sie fragte.

      —Die Gesichter würde ich gerne sehen. Das wäre was. Perfekt!, echote er für sich noch einmal. Aber weil er ihr ansah, dass sie seine Worte im Ordner mit der Aufschrift Kneipengefasel ablegte, und er spürte, dass er etwas weit ausgeholt hatte, wie immer bei dem Thema, fügte er noch etwas Allgemeingültiges hinzu, —Die Jugend hat einfach keine Vorbilder mehr.

      —Außer uns, meinst du?

      +

      Meinte er wohl, oder so ähnlich. Was weiß ich, was er meinte, ich meinte auf jeden Fall irgendwann, es wäre besser, loszumarschieren und nicht länger auf ihn vor dem Gefängnistor zu warten. Außerdem wollte ich auch so schnell wie möglich weg von der Anstalt. Wie sieht das denn aus? Ewig vor dem Tor zu warten? Nachher denken die wirklich, ich will gar nicht raus, oder ich hätte nichts Besseres zu tun.

      Und so latschte ich durch die brütende Hitze entlang der schnurgeraden Landstraße zwischen Feldern und Wiesen Richtung Stadt. Es roch nach Teer und toten Tieren, die wohl irgendwo verwesten.

      Ich schwitzte wie ein Eisbär beim Sex im Zoo. Mein Seesack hatte das Gewicht eines kleinen Himmelskörpers angenommen, und weil er nur einen Riemen hatte, wechselte ich in immer kürzeren Abständen die Schulter. Schweiß tropfte aus meinen Haaren zu Boden. Ich hörte nur das Schlurfen meiner Sohlen und das helle Summen der Wespen und Bienen in den Büschen.

      —Elendige Hitze, von wegen abholen. Wenn ich mich schon mal auf jemanden verlasse, selbst auf meinen Alten, meinen richtigen. Wie blöde kann man eigentlich sein?

      Ich spuckte aus, mein Speichel weiß wie Kleister. Der Schweiß rann in meine Augen, das Salz brannte. Meine Sicht verschwamm, und der Asphalt flimmerte, trotzdem erkannte ich in der Ferne den Bus. Er war bereits auf seiner Rückfahrt.

      Auch ich musste deutlich auf der Straße zu erkennen sein, denn der Fahrer blinkte mit den Scheinwerfern auf und hupte erfreut.

      Als er an mir vorbeifuhr, winkte er fröhlich aus dem offenen Fenster, und ich hörte seine dreckige Lache, wobei er mir sein komplettes weißes Gebiss zeigte.

      Ich zeigte ihm mit beiden Händen an ausgestreckten Armen den Mittelfinger und rief ihm nach, —Komm, halt an, trau dich, dann kriegst du von mir ein paar aufs ...

      Ein plötzlicher Schlag am Kopf.

      Die Welt kippte zur Seite.

      Es wurde Nacht.

      +

      —Träumst du?, fragte mein Vater Maria.

      —Hör auf, mir mit deinen Fingern vor dem Gesicht herumzuschnippen. Wer glaubst du, bist du? David Copperfield?

      Er verlagerte sein Gewicht, und der hölzerne Barhocker knarrte unter ihm, —Hast du geträumt?

      —Das hier ist nicht der Ort zum Träumen.

      —Was hast du dann?

      —Ich habe geschlafen.

      —Mit offenen Augen?

      —Klar, sonst zapfst du dir dein nächstes Bier doch selber.

      Er schaute sich um, als gäbe es etwas Neues in der alten Kneipe zu entdecken. Dann sagte er, —Du denkst zu schlecht von den Menschen.

      —Muss an meiner guten Schule liegen, sagte sie und deutete mit beiden Armen um sich.

      Die Innenseiten ihrer Oberarme zierten zwei kleine tätowierte Sterne. Nur wenn man genau hinschaute, erkannte man, dass sie über die Jahrzehnte eine leicht ovale Form angenommen hatten.

      Ansonsten stachen ihre dunklen, kajalumrundeten Augen heraus, weil es eine Menge Kajal war. Um ihren Hals rollten gleich drei dünne Goldkettchen, und goldene Ringe zierten, mehr oder weniger eng, sämtliche Finger bis auf zwei, ihre Ringfinger.

      Mein Vater schüttelte den Kopf, —Glaube nicht, einfach zu wissen, wen du vor dir hast. Vergleiche mich nicht so schnell mit den anderen. Du könntest dich leicht verschätzen.

      Sie beugte sich vor, wobei sie sich mit einer Hand auf der Theke abstürzte, —Okay, sag Bescheid, wenn ich falsch liege.

      Und sie zählte mit den Fingern der anderen Hand ihre Vermutungen auf, —Du bist seit heute Morgen in Köln, diese Kneipe hat dir ein Süffelbruder am Bahnhof empfohlen, du bist Ex-Musiker, arbeitslos, vorbestraft, mehrfach geschieden, hast zwei Kinder, deine ...

      —Falsch! Ein Kind.

      —So weit du weißt.

      —Sehr witzig.

      —Mädchen oder Junge?

      —Junge. Na ja, eigentlich ein junger Mann schon. Ich weiß erst seit einem halben Jahr von ihm.

      —Was?

      —So eine Schlampe aus Leverkusen hat einen Test machen lassen.

      —Typisch Leverkusenerinnen.

      —Na ja, Es gab eine ganze Reihe möglicher Väter. Ich wette, die Ärzte haben sich die Kohle eingesteckt und einfach aus den zwanzig Kandidaten gelost.

      —Und du hast gewonnen?

      —So würde ich das nicht nennen.

      +

      Langsam kam ich wieder zu mir. Mein Puls schlug so hart, dass es sich anfühlte, als wollte ein stumpfer Gegenstand von innen meine Schädeldecke durchstoßen.

      Ich schlug die Augen auf. Alles war grün, eine ganze Wand, meine Pupillen stellten sich scharf, und ich erkannte, dass ich seitlich im Gras im Graben neben der Straße lag. Grüne Halme zitterten vor meinen Augen, als sich meine Lider mühsam öffneten.

      Ein Meter weiter lag mein Seesack. Meine linke Schläfe fühlte sich an wie nach einem Schlag mit einem Gummiknüppel. Kleine Fliegen umschwirrten mich. Es roch modrig. Ein Insekt krabbelte mir über die Lippen, ich pustete es weg und rieb mir mit dem Handrücken über den Mund.

      Stöhnend stützte ich mich ab, bis ich aufrecht saß. Durch meine Arme und Beine schien Wackelpudding zu fließen. Der Boden bewegte sich, ich kniff die Augen zu und öffnete sie wieder, mehrmals. Ein neongelber Punkt stach aus dem Grün heraus, ich konzentrierte mich auf ihn. Zunächst erkannte ich ein Ei, dann einen Flummi, einen Tischtennisball, aber es war ein Golfball.

      Hinter mir hörte ich Schritte und eine Männerstimme, —Hey, alles in Ordnung?

      Mühsam