Wir überfallen die Polizei. Thorsten Nesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thorsten Nesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651055
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genannt werden wollte als beim Einchecken in den Club Mett.

      Ömmes räusperte sich, —Daniel Dreher. Ein neuer Vorname alleine macht noch kein neues Leben.

      —Mein neues Leben heißt Clarissa.

      Er überlegte mit dem Kugelschreiber an seinen Lippen und zeigte dann auf mich, als hätte Sherlock Holmes seinen schwierigsten Fall gelöst, —Das Mädchen, das dich am Anfang mal besucht hat?

      —Ja.

      —Ich habe sie danach nicht mehr gesehen.

      —Der Knast hat sie deprimiert, sagte ich.

      —Der deprimiert mich auch, trotzdem komme ich jeden Tag.

      —Sie werden dafür bezahlt. Clarissa nicht.

      Ömmes kreuzte Kästchen in dem Formular an, er kannte die ganzen drei Seiten auswendig, auch die Abstände zwischen den Kästchen. Seine Hand mit dem Stift schob sich über das Papier, als würde sie von einem Magneten unter dem Tisch gelenkt.

      —Schon komisch, wenn die Besuche aufhören, sagte er, als würde er laut denken.

      —Sie wartet auf mich.

      —Sicher?

      Auch wenn er mich gerade nicht ansah, erkannte ich seine hochgezogenen grauen Augenbrauen.

      —Sie hat mir geschrieben. Wir lieben uns! Das müssten Sie doch wissen, sie lesen doch jeden Brief.

      —Na, na, na, Vorsicht!, warnte er mich mit dem Zeigefinger, —Und dann? Wie geht’s dann weiter? Hast du einen Job in Aussicht?

      Er legte den Kugelschreiber weg und stempelte die Papiere.

      —Ich mache meinen Realschulabschluss nach und werde Automechatroniker.

      —War es vor einem Jahr nicht noch Boxtrainer?

      —Boxmanager! Aber mein Schützling hat es sich anders überlegt. Nun will ich was Solides.

      —Du?

      —Ich bin gut mit Autos, deswegen war ich hier auch in der Schlosserei.

      —Unsere Schlosserei stammt aus der Zeit, wo Autos noch das Lenkrad in der Mitte hatten.

      —Man muss alles können. Von der Pike auf.

      —Da hast du viel vor.

      —Den Hauptgewinn.

      Er kratzte sich am speckigen Nacken, —Na dann, viel Glück, das brauchst du, und halt die Ohren steif und die Finger weg von Drogen!

      Eine Anspielung auf den Grund meines Aufenthalts.

      —Das war nur Marihuana, wiegelte ich ab.

      —In der Bundesrepublik Deutschland sind das Drogen. Laut Paragraph ...

      —Ehrlich, ich wusste nichts von den 40 Kilo. Ich war nur in dem Wagen, weil ich per Anhalter mitgefahren bin.

      Ömmes lachte seinen erstickten Zigarillohusten, —Ich wette, wenn es ein Cabrio gewesen wäre, hättest du behauptet, der hätte dich kurz vorher angefahren und du wärst hinten auf seinem Rücksitz gelandet.

      —Glauben Sie mir nicht?

      —Ich glaube dem Richter.

      —Der hatte etwas persönlich gegen mich.

      —Junge. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir.

      Den Standardspruch brachte er bestimmt schon seit 20 Jahren.

      —Wenigstens einer von uns, sagte ich.

      Er ignorierte meinen Kommentar, —Wir wollen dich hier nicht wiedersehen.

      —Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit.

      —Dann tue auch was dafür.

      —Als Erstes suche ich mir einen Nebenjob, ich muss ja unser Leben irgendwie finanzieren.

      Das schien ihn zu enttäuschen, er fiel zurück in seine alte Tonlosigkeit, garniert mit einem Zucken im schlecht rasierten Mundwinkel, —Das sagt ihr alle.

      —Sie suchen nicht zufällig noch eine Urlaubsvertretung?, fragte ich ihn.

      Wieder stempelte er einen Vordruck, —Hier sind keine Vorbestraften erlaubt.

      —Echt? Wer hätte das gedacht?

      —Nicht frech werden, und er deutete mit dem Stempel in meine Richtung, als wollte er ihn mir durch die Glasscheibe auf die Stirn setzen, —Ich dachte, du wolltest dein Leben umkrempeln? Du klingst noch sehr nach Ralf, Daniel!

      Themawechsel. Ab in die Offensive, —Ich bekomme noch mein Geld.

      Eine Antwort blieb er mir schuldig. Vertieft in seine Routinehandlungen zeitlupte er sich durch den frühen Morgen. Wir schwiegen wie zwei Verwandte, denen bei einer Familienfeier die Gesprächsthemen ausgegangen sind.

      —Hier, dein Geld, sagte er endlich.

      —Ist da ein Scheck drin?

      —Nein, Blattgold.

      —Ein Scheck, ein Scheck, was soll ich mit einem Scheck?

      Für die Auszahlung müsste ich erst einmal ein Konto eröffnen.

      —Das ist bald so viel, wie ich im Monat verdiene, sagte er.

      —Ich brauchte dafür aber ein Jahr.

      —Hattest dafür aber auch Kost und Logis frei.

      Überrascht von seinem eigenen Humor, bebte sein uniformierter Körper, als säße er auf einem Massagestuhl. Dabei drang lediglich ein asthmatisches Fiepsen aus seinem Mund.

      —Dafür kann ich mir nichts kaufen.

      —Gehst doch sowieso hartzen.

      —Hey, nä, sagte ich.

      Aber wir beide wussten es besser. Selbst mit der Beihilfe für entlassene Häftlinge wäre ich bald pleite, und ob ich bis dahin einen Job gefunden hatte, von dem ich und Clarissa halbwegs leben konnten, stand ja noch nicht einhundertprozentig fest. Vorstrafen und Jugendhaft konnte ich in meinen Bewerbungsmappen weglassen und Ausfallzeiten mit Bildungsreisen und Ähnlichem kaschieren. Demnach müsste ich sowas wie ein weitgereister Einstein sein. Sollte mich allerdings jemand zu einem Vorstellungsgespräch einladen, dann wollte der irgendwann sicher ein Führungszeugnis sehen. Da hieß es: Hosen runter.

      Apropos Hosen runter, das würde es heute Abend auch heißen, ich würde Clarissa sehen, endlich, nach fast einem Jahr. Action!

      Seit eineinhalb Jahren waren wir zusammen. Wir kannten uns aus der Schulzeit in Leverkusen. Damals hatte es aber noch nicht gefunkt. Bei ihr nicht. Bei mir natürlich schon. Ich war verrückt nach ihr. Gut, ich war verrückt nach allen Mädels, deren Fingerknöchel beim Gehen nicht über den Bürgersteig schleiften.

      Das musste sie doch gemerkt haben, gespürt haben. Es heißt doch, die Mädels hätten so einen tollen Sinn für so was!

      Deswegen fragte ich sie relativ bald, nachdem wir uns in einem Club in Köln getroffen hatten und zusammengekommen waren, in ihrer Einzimmerwohnung in Nippes, warum wir damals nicht schon in der Schule ein Paar gewesen waren. Und sie meinte, ihr wäre das zu peinlich gewesen. Angeblich nur wegen meiner Freunde, besonders Frank, dem Spanner, wie sie sagte, sie konnte ihn nicht ab, von dem Freak würde sie Gänsehaut kriegen.

      Natürlich verteidigte ich meinen Kumpel, aber genauso angeblich hatte ich ja gar keine Ahnung, was das für einer sei.

      Ein guter Boxer war er, das stand fest, das hatte ich jede Woche miterleben können, auf dem Schulhof oder nach der Schule. Außerdem war er im Boxverein, und nach dem eigenen K.O. bei seinem ersten Kampf stieg seine Formkurve kontinuierlich an. Wir wären ein gutes Team gewesen, ich als sein Manager, wir standen kurz davor, unser erstes Startgeld einzusacken. Aber dann hatte er sich verknallt. Wie das so ist mit den Mädels: Wenn man mit einem zusammen ist, hat man nur noch das Eine im Kopf.

      Clarissa