„Ja, ein Oh ist hier wohl angebracht“, sagte Schmidt und musste beinahe über diesen verwunderten Ausruf seines Freundes lachen. „Ich kann dir auch gleich sagen, dass es mit Sicherheit weitaus mehr Zeit in Anspruch nimmt als letztes Mal, als die kleine Einmotorige ins Feld gefallen ist. Du kannst auch die langen Unterhosen und deinen dicken Pullover mit einpacken. Bei uns ist es schweinekalt geworden.“
„Hast du sonst noch eine gute Nachricht für mich, oder war’s das?“, fragte Gerbig spitz zurück.
Schmidt wusste, wie er es zu nehmen hatte: „Nein. Wie schon gesagt, wird es wohl etwas länger dauern. Es war eine zweistrahlige Cessna 550. Sie hat sich kurz vor Freilassing unangespitzt in den Boden gerammt. Wann wirst du hier sein?“
„Lass mich mal nachsehen“, brummte Gerbig, und Schmidt hörte im Hintergrund, wie er seinen Terminkalender mehrmals hin und her blätterte. „Also, den größten Teil meiner Termine kann ich verschieben, und wenn ich den einen, der noch übrig bleibt, meinem Kollegen aufs Auge drück, so gegen zwei, halb drei. Ich werde mir unsere Maschine nehmen.“
„Gut. Ich bereite schon mal alles vor. Wo möchtest du schlafen; in der Goldenen Gans?“
„Ja, wenn das ginge?“
„Sicher. Also bis heute Mittag.“
„Ja, bis heute Mittag“, gab Gerbig zurück und hängte ein. Schmidt behielt den Hörer noch einige Zeit in den Händen und spielte gedankenverloren damit herum, bis er seine eigene Nummer wählte. Nach dem Gespräch mit seiner Frau ging er in den Kontrollraum zurück.
Kapitel 3
Bewegungslos schwebte der Polizeihubschrauber über den brennenden Trümmern. Der Pilot gab den Feuerwehrwagen, die mit schwerem Gerät anrückten, Hinweise, welchen Weg sie in dem unwegsamen Gelände nehmen sollten, und dirigierte sie in weitem Bogen zur Unglücksstelle.
Langsam ließ der Fahrer des größten Wagens sein Fahrzeug durch das Unterholz rollen und bahnte somit einen Weg für die nachfolgenden Fahrzeuge. Wagen für Wagen rollte nun dichter an das Flugzeugwrack heran, und einige Feuerwehrmänner liefen den Fahrzeugen bereits voraus, um geeignete Standplätze vorzubereiten. Nach fast halbstündiger Anfahrt hatten sie ihr Ziel endlich erreicht. Die Besatzungen sprangen von den Fahrzeugen, sicherten die Standplätze und bereiteten die Ausrüstung mit geübten Handgriffen vor.
Kurze Kommandos schallten über das scheinbare Wirrwarr der Männer hinweg, von denen aber jeder genau wusste, was er zu tun hatte. Die lauten Befehle ihres Kommandanten, die durch das Stimmengewirr der Männer und das Prasseln des Feuers hindurchdrangen, waren eher gut gemeinte Orientierungshilfen als dienstliche Anweisungen. Innerhalb von nur wenigen Minuten lagen Schläuche kreuz und quer auf dem Waldboden verteilt, und aus Schaumkanonen quoll flockiger milchig weißer Schaum. Langsam über den Boden hinwegkriechend, begrub er alle Flugzeugteile unter sich und erstickte jede noch so kleine Flamme.
Nach einiger Zeit drangen nur noch an wenigen Stellen kleine Rauchwolken aus dem Waldboden hervor, und bis zum frühen Nachmittag war auch der letzte Funke, der im Boden noch glimmte, gelöscht.
Der Geruch von verbranntem, nassem Holz, Kunststoff und Kerosin hing in der Luft und legte sich über den frischen, klaren Duft des Waldes. Doch wer nahe an das Flugzeugwrack herankam, roch noch etwas anderes. Einen ekligen Geruch – verbranntes Fleisch.
*
Die Piper rollte auf dem abgetrennten Teil des Rollfeldes, das nur für Sportmaschinen und Hubschrauber ausgewiesen war, aus. Schmidt sah der Maschine durch die Seitenscheibe seines Wagens mit Freude, aber gleichzeitiger Betroffenheit entgegen. Schwerfällig stieg er aus dem warmen, immer noch laufenden Fahrzeug aus, und die schneidende Kälte, die schon seit Tagen in der Region herrschte, bohrte sich mit spitzen Nadeln in sein Gesicht.
„Scheiß-Kälte“, fluchte er vor sich hin, während er zur Maschine lief, bei der sich der Propeller noch das letzte Mal stockend drehte, ehe er durch den Widerstand des ausgeschalteten Motors zum Stillstand gezwungen wurde.
Klaus Gerbig, der ihn bereits gesehen hatte, winkte ihm aus dem Cockpit heraus zu und kletterte kurz darauf aus der Maschine heraus. „Verflucht, ist das kalt hier“, waren die ersten Worte, noch ehe er Schmidt begrüßte. „Was habt ihr denn für Temperaturen? Das ist ja wirklich schweinekalt“, hängte er noch lachend an und nahm Schmidt freundschaftlich in den Arm.
„Hab ich dir doch gesagt. Hast mir wohl nicht geglaubt, was?“, gab Schmidt lachend zurück und drückte Gerbig so herzlich, dass diesem fast die Luft ausging.
„Hallo, hallo! Ich freue mich ja auch, dass wir uns nach so langer Zeit mal wieder sehen“, flachste Gerbig, und Schmidt lachte verlegen, da er sich wirklich so benahm, als ob er ihn schon seit Monaten nicht mehr gesehen hatte.
„Tut mir leid“, sagte Schmidt daher knapp und ließ seinen Freund los. Beschämt, seine Hände tief in die Taschen seiner dicken Winterjacke vergrabend und mit beiden Füßen stampfend, stand er nun in der Kälte und wusste nicht mehr so recht, was er sagen sollte.
„Komm, lass mal gut sein. Ich weiß ja, wie du es meinst“, sagte Gerbig und sah Schmidt mit einem verständnisvollen Blick an. „Was ist, du alter Schwede? Muss ich hier erst erfrieren, ehe ich in deinen neuen Wagen darf, oder was ist?“
„Oh, tut mir leid. Bin wohl etwas durcheinander, natürlich … komm …“, stammelte Schmidt noch immer verlegen und lief los. Beide gingen zum Wagen, einem großen amerikanischen Jeep, der leise vor sich hinblubberte und zwei weiße Dampffontänen aus den Auspuffrohren in die klare Luft stieß.
„Er ist doch neu, oder?“, fragte Gerbig und deutete dabei auf den Wagen.
„Ja. Vor zwei Tagen hab ich ihn geholt. War ein gutes Angebot vom Händler. Musste einfach zuschlagen. Schön, nicht wahr?“
„Ja.“
„Na, dann lass uns mal das Baby spazieren fahren. Ich schlage vor, du bringst mich rüber zur Absturzstelle und danach ins Gasthaus.“
„Genau das hatte ich vor, komm.“ Schmidt ging um den Wagen herum, während Gerbig seine Reisetasche und einen Metallkoffer auf dem Rücksitz verstaute. Danach kletterte er in das hochgelegte Fahrzeug hinein.
„Welche Informationen hast du für mich?“, fragte Gerbig, während Schmidt bereits zügig vom Flughafengelände fuhr und er alle Mühe hatte, festen Halt an einem der Haltegriffe zu finden.
„Na ja, was soll ich sagen. Letzter Kontakt eine Minute vor Absturz. Es bestand klare Sicht, wolkenloser Himmel. Lufttemperatur minus acht Grad. Die Maschine befand sich auf Instrumentenanflug. Wir hatten die Cessna auf dem Schirm und plötzlich war sie verschwunden. Von einer Sekunde auf die andere. Ich hab mir die Aufzeichnung angesehen, und es scheint so, als ob sie wie ein Stein vom Himmel gefallen ist. Das passt auch zu den ersten Berichten der Polizei. Der Pilot des Polizeihubschraubers gab durch, dass alle Wrackteile der Maschine in einem sehr begrenzten Radius liegen.“
„Habt mal wieder den Funkverkehr der Polizei abgehört, was?“, unterbrach Gerbig und drohte dabei lustig mit dem Zeigefinger.
„Ja, natürlich. Ich wollte schon wissen, was da los ist. Außerdem wissen die Jungs dort, dass wir mithören.“
„Und? Gibt es Funksprüche oder Hinweise auf eine Kollision oder einen technischen Defekt?“
„Nein, nichts. Die Maschine war in dem betreffenden Luftraum vollkommen alleine und der Pilot meldete ziemlich genau eine Minute vor dem Absturz, dass alles in Ordnung sei, und bestätigte das Landen über Instrumentenlandesystem. Den genauen Ablauf findest du in dem Bericht.“
„Kenn ich ihn?“
„Wen?“
„Den Fluglotsen?“
„Nein, ich