»Hinter dieser Tür werden Sie ihn finden«, sagt der Restaurantleiter, verneigt sich leicht zum Abschied und eilt davon.
»Vielen Dank!«, antworte ich leise und sehe ihm nach. Er entfernt sich zwischen den Stuhlreihen.
»Wie Jo damals sagte: Nobelrestaurant. Mama ist ganz aufgeregt«, flüstere ich und öffne das Tragetuch. Yan sieht sich neugierig um und hält sein Tuch fest in seiner Faust. Sein Mund steht offen. Er ist sehr an der ungewohnten Umgebung interessiert. Die Tür hinter mir öffnet sich und ich drehe mich um.
Es ist Yanicks Vater. Er sieht zu mir. Sein Gesicht erhellt sich und er tritt auf uns zu.
»Ella!«
Ich nicke.
»Bist du gekommen, um mich wieder einmal um die Öffnung einer Tür zu bitten?«, lächelt er mich an und senkt seinen Kopf dabei leicht. Ich muss leise lachen. Er ist witzig.
»Oh ja. Einmal muss ich Sie leider noch darum bitten. Allerdings bitte ich dieses Mal um Einlass.«
Er kommt näher und führt mich um eine Ecke.
»Ich freue mich, dich wieder zu sehen. Mit wiedererlangter Stimme und Enkel.« Er sieht Yan an, der ihn aufmerksam mustert und berührt ihn vorsichtig.
»Möchten Sie ihn nehmen?«
Er sieht mich an und raunt mir zu: »Nenn mich bitte Fabian, Ella. Und ja. Ich möchte ihn nehmen.«
Er hält die Hände ausgestreckt und ich setze Yan bequem hinein. Stolz wie Oskar besieht er sich seinen Enkel von Nahem.
»Ich habe deine Grüße in Warnemünde erhalten und mich wirklich sehr gefreut«, sage ich.
»Dann hoffe ich, dass ich dir Grüße ab heute nur noch persönlich ausrichten brauche«, sagt er erleichtert. Er führt seine Hand zu meiner Wange und belässt sie dort.
»Ich gehe von nichts anderem aus, Fabian. Ich habe gehört, dass du im Kindergarten warst und geholfen hast. Ich habe mich sehr gefreut, dass du die vergessenen Kinder nicht vergessen hast. Danke.«
»Gerne. Ihr leistet einen wichtigen Beitrag und ich wünschte, ich könnte noch mehr tun. Ach, da fällt mir ein, dass Yanick mich in Kenntnis gesetzt hat, dass er lediglich an seinem Pflichtteil interessiert ist. Den soll ich so klein wie möglich halten. Hast du etwas damit zu tun, Ella?« Fabian sieht mich eindringlich an. Ein spitzbübisches Lächeln steht auf seinem Gesicht.
»Wenn, dann indirekt«, antworte ich. »Aber letztlich ist es Yanicks Angelegenheit. Vielleicht beruhigt es dich, dass dein Enkel noch nicht hungern musste. Er wird es auch in Zukunft nicht. Du hast mir erzählt, dass du dir alles erarbeitet hast. Yanick wird das auch können, wenn er will.«
Seine Augenbrauen fahren hoch und er sieht mich erstaunt an. »Hat Yanick dir nicht erzählt, dass er das schon hat? Nein? Nun, das überrascht mich nicht. Er ist so bescheiden. Aber letztlich ist das seine Angelegenheit. Ich weiß, dass mein Enkel nicht hungern wird, Ella. Aber verwöhnen darf ich ihn doch, oder?«, fragt er und sieht vorsichtig zu mir. Ich lache und umschließe beide.
»Mit Liebe immer!«, antworte ich.
Er gibt mir einen Kuss auf die Wange. Nach all dem, was ich seinem Sohn angetan habe, begrüßt er uns überaus freundlich und warm.
Yan beginnt unruhig zu zappeln.
Fabian regt sich und flüstert. »Hallo Yan! Magst du mal deine Oma kennenlernen? Mama und Papa können sich dann in Ruhe unterhalten.«
»Er ist hier?«, frage ich hastig und wische mir nervös meine Hände ab. Sie sind schlagartig feucht geworden.
»Keine Angst Ella. Wer springt, um von einem Partyboot mitgenommen zu werden, muss sich nicht davor fürchten, was sich hinter dieser Tür befindet.«
Fabian dreht sich zum Gehen um, bleibt aber noch einmal stehen, um zu mir zu sehen.
»Ich muss schon sagen. Du siehst umwerfend aus. Ich fand dich in deinem Bikini und mit offenen Haaren auch nicht übel«, sagt er breit grinsend und kommt noch einmal zurück. »Ich freue mich wirklich, dich wieder zu sehen. Jetzt komm! Ich mach dir die Tür auf.«
»Danke«, flüstere ich leise.
»Bereit?«
»Ja«, hauche ich. Mein Herz klopft wie wild in meiner Brust und ist doch zeitgleich die Ruhe in Person. Fabian öffnet die Doppeltür. Ich sehe einen großen Saal vor mir, der in seinen roten Wänden eine Wärme ausstrahlt, die mich überflutet und schwer atmen lässt. Leises Gläserklirren, Gemurmel und Lachen von vielen Menschen dringt an mein Ohr. Fabian steht an einer Tür gelehnt und sieht mich an, doch ich bin zu sehr mit meinen Sinnen beschäftigt, um davon Notiz zu nehmen.
Ich hebe Daumen, Zeige- und Mittelfinger und führe sie an meine Stirn.
»Im Namen des Vaters …«
Meine Finger führe ich an den Bauch.
»… Des Sohnes …«
Meine Finger berühren den rechten, dann den linken Brustkorb.
»… Und des Heiligen Geistes …«
Ich sehe auf und meine Augen richten sich in den großen Saal, in dem nun Fabian mit Yan auf den Arm schreitet und ruft. »Besuch!«
Er dreht sich zu mir und winkt mich zu sich.
»Amen«, beende ich mein Gebet und gehe nun bedächtig auf Fabian zu. Was auch immer gleich passiert. Ich beschließe, mich der göttlichen Ordnung zu überlassen. Ich gehe Schritt für Schritt in den Saal. Als ich im rechten Augenwinkel eine lange Tafel wahrnehme, halte ich verschreckt inne. Dort sitzen unzählige Menschen.
Es wird still und Köpfe drehen sich zu mir. Unendlich viele Augenpaare sehen mich an, aber das Augenpaar, das ich suche, finde ich nicht.
Totenstille, die unterbrochen wird und ich der geliebten Stimme zuordne, wegen der ich kam: »Ella!«
»Yanick!«, rufe ich und suche ihn in den vielen Gesichtern. Ich sehe, dass er am Ende der Tafel aufsteht und herbei eilt. Erleichtert atme ich aus und gehe ihm entgegen.
»Ella!« In seinem Gesicht sehe ich Freude.
»Yanick«, antworte ich noch einmal und mir bricht meine ohnehin schon heisere Stimme.
»Yanick!«, ruft noch jemand, allerdings zischender und unfreundlicher. Ninette hat sich ebenfalls erhoben. An der gegenüberliegenden Seite. Sie hastet zu mir und ihr Gesichtsausdruck verheißt mir nichts Gutes. Ihre Augen funkeln mich böse an. Sie sprühen vor Hass.
»Yanick!«, schreit sie erneut und ich bleibe stehen. Ich überlege, ob ich zu Yan eile. Er sitzt aber sicher bei Fabian auf dem Arm. Eine Frau steht neben den Beiden. Sicher Yanicks Mutter. Ich sehe zu der Pudelblondine.
»Yanick? Was macht die denn hier?«, entrüstet sie sich.
Da springt jemand auf und hält Ninette am Arm fest. Lisa.
Neben ihr erhebt sich Kai und baut sich ebenfalls vor der Pudeldame auf. Sie wird nun von den Beiden keinen Schritt weiter gelassen. Beide nicken unmerklich zu mir und geben mir zu verstehen, dass sie Ninette im Griff haben. Dankbar senke ich kurz meinen Kopf.
Diese begreift, dass ihr Weg zu Ende ist. Sie dreht sich zu Yanick, der jedoch zu mir sieht und mich anlächelt.
»Und bringt auch noch ein Balg mit!«, ergänzt sie bösartig und verabscheuend.
Yanick, der nur noch weniger Meter von mir entfernt ist, bleibt augenblicklich stehen. Sein Gesichtsausdruck wandelt sich.
Fehler!
Er senkt seinen Kopf. Sein Brustkorb hebt sich in Sekundenschnelle und saugt Luft für eine kleine Ansprache ein. »Ninette! Ich erlaube dir zu gehen. Keiner