Er zieht eine Schnute. »Der erste Teil deines Textes hat mir ganz gut gefallen. Der Zweite nicht so. So eine bist du also?«
»So eine bin ich. Genau. Fragt das der, der eine Wette für so etwas eingeht? Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Auch Frauen können sich Männer aufgabeln, wenn sie wollen.«
»Ja. Nur habe ich dich genau genommen aufgegabelt. Vom Steg.«
»Wortklauberei.« Trotzig recke ich meinen Kopf und er kommt dichter. Ich rieche dezentes Parfüm und spüre die Wärme, die von ihm ausgeht.
»Du steckst voller Überraschungen Ella.« Es klingt gut gelaunt und erfolgsverwöhnt. Aber das scheint er zu sein. Und er versteckt es noch nicht einmal.
»Da irrst du. Ich will mich nur nicht festlegen. Und ich mag es nicht, wenn man um mich wettet, wie um ein Stück Vieh.«
Ich versuche, mürrisch zu wirken, doch an seinem Gesicht lese ich, dass es mir nicht geglückt ist. Gut! Dann bin ich eben voller Überraschungen! Ich drängele mich an ihm vorbei, weil ich meinen Weg fortsetzen möchte. Ihm scheint es ja Spaß zu machen.
»Hast du Hunger?«, fragt er mich und fasst mich am Arm an, damit ich stehen bleibe.
»Du willst Zeit schinden?«
»Wenn du es so nennst«, entgegnet er und lacht so verführerisch, dass mir der Kuss von vorhin wieder in den Sinn kommt. Ich bin doch aber auch so eine dumme Pute. Kaum schmachtet mich einer an, der schöne Augen hat, schmelze ich. Himmel, das ist gefährlich.
»Wie nennst du es?«, frage ich vorwitzig und bleibe wieder stehen.
»Kennenlernen.«
»Kennenlernen?«
Ich sehe fassungslos in dieses dreist und hoffnungsvoll blickende Gesicht. Es scheint ihn überhaupt nicht zu beeindrucken, dass er sich um eine Kratzbürste bemüht.
Ich sehe seinem erhobenen Finger nach. Der deutet auf zu einem Döner-Laden, der vis-a-vis liegt. Vor dem Imbiss stehen ein Tisch und vier Stühle. Yanick sieht mit begeisterten Augen zu mir. Er lacht leise, denn ihn scheint mein verdutztes Gesicht zu erheitern. Ist er am Ende doch nett? Ich sehe Yanick an. Er hebt seine dunklen Augenbrauen fragend hoch.
»Kennenlernen?«, fragte ich skeptisch.
Es sind mehr vorsichtige Anteile als ungläubige, die mich zögern lassen.
Einerseits fand ich ihn auf seiner Terrasse anziehend. Er war sehr sympathisch. Jedoch kurz darauf wieder wie am Mittag oberflächlich und versnobt. Also was ist er denn jetzt wirklich?
»Woher weißt du so genau, dass ich das überhaupt nach all dem Scheiß heute Abend womöglich möchte?«, frage ich schnippisch nach.
»Nun«, setzt er an, »eben sagtest du: W enn ich so auf der Brücke gewesen wäre, wie jetzt, hättest du mich vielleicht angefangen zu mögen. Das heißt, doch, du würdest mich vielleicht gerne mögen. Du kennst mich nur noch nicht. Also lernen wir uns kennen. Ist doch logisch.«
»Nein. Ich sagte: Wir hätten Spaß haben können «, verbessere ich ihn, denn ich will bei der Wahrheit bleiben.
»Genau und um miteinander Spaß haben zu können, muss man sich ja ein wenig mögen. Und ich sagte: Das heißt, doch du würdest mich vielleicht gerne mögen. Du kennst mich nur noch nicht. Also lernen wir uns kennen. Ist doch logisch .«
Ich sehe zu Boden, denn er quatscht mich gerade in diesen.
»Quasselst du eigentlich immer so viel, dass es deinem Gegenüber schwerfällt dein Gesagtes überhaupt auf Logik hin zu überprüfen?«
Yanick zieht seine Mundwinkel nach oben und entblößt seine teuren Beißerchen. Da ist es wieder, dieses Lächeln, als hätte er meine Antwort schon vorher gewusst.
»Wenn du mich kennengelernt hast, wirst du dir ein Urteil bilden können. Ich laufe dir bis nach Tokio hinterher, wenn es sein muss. Es sei die Ehre nach den Taten erwiesen .«
»Oh Mann!« Mit weit aufgerissenen Augen drehe ich mich um meine eigene Achse. Ist der gewieft! Jetzt haut er mir das russische Sprichwort um die Ohren und Schwups … stehe ich in Zugzwang.
»Komm, setzt dich! Ich habe Hunger und kann dir so unmöglich bis nach Tokio hinterherlaufen oder klar denken.«
»Und das will ja keiner«, sage ich mit gesenkter Stimme.
»Ich hoffe«, grient er mich offen an. »Ich meinte es mit dem Neustart ohne Scheiß ernst.«
»Also gut.« Von seiner Unbeirrbarkeit ein kleines Bisschen beeindruckt, tippele ich mit meinen nackten Füßen auf die andere Seite der Straße. Ich setze mich auffällig stoffelig auf einen der freien Stühle. Er muss ja nicht sofort merken, dass mir seine Hartnäckigkeit sehr imponiert.
Wenig später essen wir türkische Pizza. Yanick scheint Appetit zu haben. Sein Kinn ist voll Soße getropft, weil er so gierig schlingt.
Ich muss lächeln, denn es erinnert mich an Uta. Sie knabbert aus sehr merkwürdig an meinen Zucchini-Röllchen. Wie ihr sehe ich ihm jetzt erheitert zu.
»An was denkst du?«, fragt er mich und mustert neugierig mein Gesicht. Mir gefällt, wie er mich ansieht. Das liegt sicher an seinen schönen Augen.
Ich kaue meinen Bissen und antworte: »Uta, meine Freundin. Du hast mich eben an sie erinnert. Sie war mit auf dem Steg.«
»Ehrlich gesagt habe ich nur auf dich geachtet«, sagt er und ich stutze. Denkt er etwa, er beeindruckt mich damit? »Wo sind die Flip-Flops hin?«
»Irgendwo im Straßengraben. Ich habe sie entsorgt. Sie waren zu klein, haben gescheuert und mich belastet. Mir egal, ob da Givenchy drauf stand«, antworte ich und kaue.
Yanick lacht mit Essen im Mund laut auf und ich bekomme bei diesem Anblick Angst, dass er sich verschluckt. Er hat ja Manieren oder ihn kümmert es nicht, was ihn letztlich Punkte bringen würde. Spitzbübisch sieht er mich an und ich stimme in sein Lachen ein. Wahrscheinlich ist er doch anders, als vermutet.
»Was machst du beruflich?«, fragt er mich und beißt ein großes Stück ab.
»Ich bin Kindergärtnerin. Und du?«
»Das Übliche. Nachwuchs in Vaters Unternehmen.«
»Das da wäre?« Was kann das schon interessantes sein, denke ich und ahne, dass jetzt irgendetwas kommt, dass mich langweilt.
»Jurist.«
»Gott, wie trocken«, gebe ich gelangweilt von mir. Und dann noch unter den Fittichen vom Vater.
»Davor habe ich ein paar Semester Psychologie studiert. Das war erst trocken. Rechnen, rechnen, rechnen …«
Meine Augen werden schmale Schlitze und er unterbricht seinen Satz. Darum hatte er zum Beispiel das Spielchen mit Ninette durchschaut? Kopfschüttelnd spreche ich meinen Gedanken aus: »Dazu sage ich jetzt mal nichts. Der Schuster hat immer die schlechtesten Leisten …«
»Du hast gesagt, du sagst nichts dazu! Ich will nicht bis an mein Lebensende darüber reden, was ich einmal falsch gemacht habe. Ich bin auch nur ein Mensch. Ja! Es war falsch. Ja, aber jetzt ist auch mal gut!«
Die Serviette fliegt auf den Tisch und er lehnt sich zurück. Jede Bewegung an ihm verrät mir Gereiztheit. Die Augen, die mich ansehen, die Hand, die zur Serviette greift, der Hals, der krampfhaft den Bissen hinunterwürgt. Der Satz wiederholt sich in meinen Kopf als Endlosschleife.
»Bis an dein Lebensende?«
Er schweigt auf meine Frage und beißt in den Rest der türkischen Pizza. Ich straffe meinen Oberkörper und beobachte ihn aufmerksam. Kauend sieht er mir geradeaus in mein Gesicht. Eben hat