Ich reiße mich gewaltsam aus seinen Augen und hole tief Luft.
»Warum habt ihr angehalten?«, frage ich und bin mir bewusst darüber, dass ich einen schönen Moment mit Gewalt zerstöre. Aber ich habe Fragen und über das, was sich weiterhin in mir regt, möchte ich gar nicht erst nachdenken.
»Lisa kam zu mir gelaufen und hat gesagt, ich soll umdrehen.«
»Du hast auf der Brücke gesagt, ich habe ihr zu verdanken, dass ich an Bord bin.«
»Ja.«
»Und du?«
»Ich? Ich habe umgedreht.«
»Warum war Ninette so sauer?«, frage ich hart und ein Stein will meine Kehle hinabrutschen.
»Lisa hat gewettet, dass du springen würdest.«
»Gewettet?«
»Ja.«
»Mit wem?«, schneidender kann ich mit meiner Frage die Luft nicht durchtrennen.
»Mit mir.«
Meine Augen flackern, doch es sind nur meine Lider, die sich rasch heben und senken. Mein Mund öffnet sich, doch ich kann weder einatmen, noch ausatmen. Aber eine Drehung bekomme ich hin. Ich will ihn ansehen. »Worauf?«
»Auf dich.«
»Wie bitte?«
»Dass sie dich …«
»Verstehe!«, unterbreche ich ihn. Ich hebe meine Hand mit gespreizten Fingern. Das ist genug. Der Abend wird ja doch noch unterirdischer, als ich es vorhin für möglich gehalten hatte. »Lisa hat mir ihr Angebot unterbreitet.«
»So? Du hast abgelehnt?«, fragt Yanick überrascht. Seine Mimik wandelt sich und ein kleines Lächeln huscht über den schön geformten Mund. Er küsst so unglaublich und spricht so ... Er will wieder dichter treten.
»Ja!«, entgegne ich ihm barsch und blicke finster drein. »Was denkst du, warum ich nach Hause wollte?«
Schweigen. Ich versuche, meine Gedanken zu sortieren, doch alles überschlägt sich im Sekundentakt und ich fühle mich, als bestehe mein Körper aus Gummi. Eine Wette. Um mich. Um Sex. Mit mir.
In diesen Gedanken tritt er näher und berührt meinen Arm. Angeekelt weiche ich von ihm zurück. Ich hefte die Augen voller Widerwillen auf ihn.
»Worauf hast du gewettet?«, fauche ich angewidert. Ich kenne die Antwort, doch ich will es aus seinem Mund sagen hören. Ich will, dass er es mir in das Gesicht sagt.
»Sag!«, werde ich lauter, weil er mich nur betreten ansieht.
»Dass sie nicht gewinnt«, antwortet er leise und wirkt plötzlich klein. Ich schubse ihn so weit von mir, wie es möglich ist. Falsche Antwort!
»Worauf?«, zische ich und Hitze steigt mir in den Kopf hinauf.
»Dass du dich für mich interessierst«, gibt er zu und sieht mich an. Stoßweise entweicht meine Luft und mein Magen beginnt zu brennen. Ich halte mich am Geländer fest. Gebeugt suche ich Halt. Wenigstens ist er jetzt ehrlich. Aber das vorhin, mit dem Neubeginn. Er hatte mich hier hergebracht … Wegen der Wette? Ich komme mir so schmutzig vor. Und er hat mich schmutzig gemacht.
Und um ein Haar hätte ich mich wieder … Aber da wusste ich noch nichts von dieser Wette. Diese maßlosen, satten Reichen wetten um einen Menschen als Geburtstagsgeschenk. Vermutlich aus Tristesse.
»Du sagst nichts?«, fragt er leise.
Glaubt er jetzt, ich freue mich, oder was?
Empört über meine Naivität hebe ich den Kopf und sehe ihn an. Seine Iris ist jetzt dunkel. Kein bernsteinfarbenes Leuchten. Nichts, das annähernd so vertraut ist, wie der Blick in der Küche, der mir durch Mark und Bein gestrahlt hat oder mich eben fast weich gekocht hätte.
»Was kann ich dazu sagen? Du hast dir Mühe gegeben. Das muss ich dir lassen«, sage ich und lege alle Verachtung in diesen Satz, die mein Herz aufbringen kann. Mein Magen brennt wie Feuer und ich kann mich schwer konzentrieren.
»Mühe? Ich verstehe nicht.«
Ich sehe in den dunkel gewordenen Himmel hinauf und wünsche mich weg gebeamt. Müde schließe ich meine Lider. Er versteht nicht! Wie auch. Bloß schnell weg hier.
»Du hast gesagt, wir löschen alles und fangen von vorne an«, bitter lache ich auf und sehe wieder zu ihm. Fast habe ich angefangen, ihm zu verzeihen. Dann das hier. Eine Wette. Um mich. »Fast hätte ich dir geglaubt. Fast.«
»Ella, denkst du, ich erzähle dir das, weil es mir noch um die Wette geht?«
»Ja, das denke ich!«, erwidere ich laut und wer würde es anders tun?.
Er schweigt und setzt sich. »Ging, Ella, ging«, sagt er matt und öffnet seine Handflächen. Verständnislos sehe ich zu ihm. Ging oder geht, ist doch vom Motiv her dasselbe.
»Was willst du von mir? Für einen kurzen Moment hätte ich schwören können, du bist gar nicht so, wie ich auf der Brücke dachte. Aber das war ein Fehler. Ich weiß nicht, was mit euch hier oben nicht ganz rund läuft.« Ich hebe eine Hand an die Schläfe und drehe den Zeigefinger im Kreis. »Aber etwas funktioniert dort gehörig in die verkehrte Richtung!«
Wütend speie ich meinen letzten Satz in sein Gesicht, das mich mit großen Augen anstarrt. Eilig haste ich an ihm vorbei. Meine Finger öffnen sich und lassen das Handtuch zu Boden gleiten. Ich brauche jetzt seine Wohltätigkeiten nicht.
Nur weg!
Hastig eile ich durch seine Wohnung die Treppe hinab. Yanick setzt mir nach, denn ich höre es hinter mir poltern.
»Ella, warte!«
Unten angekommen sehe ich mich kurz um. Irgendwo muss es ja einen Ausgang geben. Ich sehe zur Villa und stürme darauf los.
Meine offenen Haare wippen, als ich mit großen Sprüngen diesem Albtraum entfliehe. Quer über den Rasen laufe ich und werde immerzu von Yanick gerufen, der kaum Schritt mit mir halten kann.
»Warte! Warte doch!«
Er bekommt meine Hand zu fassen, die ich ihm sofort entziehe und stehen bleibe.
»Was!«, brülle ich und drehe mich wutentbrannt um. Ich fühle mich zum zweiten Mal tief gekränkt von ihm. Wasser beginnt sich in meinen Augen zu sammeln. Doch er schweigt, bekommt keinen Ton heraus.
»кобель Kabjel! (Hund)«, schreie ich in sein verdutztes Gesicht, das mich anstarrt. Doch seine Miene bleibt verwirrt und kein Ton entfährt dem Mund, der versucht hat mich zu verwirren.
»Wo ist der verdammte Ausgang?«, frage ich und drehe mich suchend im Kreis.
Yanick schweigt betreten. Meinen Ausbruch scheint er zwar nicht zu verstehen, andererseits reagiert er auch nicht darauf. Ich drehe mich immer panischer um und entdecke ein schmiedeeisernes Tor. Dorthin renne und rüttele hysterisch daran herum.
»Mach mir auf!«, schreie ich ihn an. Yanick steht in einigem Abstand hinter mir und sieht zu. Beruhigend sagt er: »Ella! Lass mich erklären!«
Stracks drehe ich mich um, hole tief Luft und schreie, so laut ich kann: »Mach mir verdammt noch mal diese Scheiß Tür auf!«
»Was ist hier los?«, fragt jemand. Während ich geschrien habe, ist die Eingangstür der Villa geöffnet worden. Ein Mann Mitte fünfzig steht dort und sieht uns fragend an. Anhand der Figur und des äußeren Erscheinungsbildes vermutlich sein Vater.
Er ist groß, schlank und seine Haare schimmern an den Schläfen schon grau. Ich eile auf den Mann im gestreiften Morgenmantel zu, bis ich vor ihm stehe und sehe in braunen Augen, die wie Yanick und Lisa einen dunklen Rand schmücken.
»Ich würde gerne das Grundstück verlassen, aber Ihr Sohn öffnet