»So?«, fragend gleiten seine Augen an mir hinunter. Stimmt ja, ich bin barfuß und im Bikini. Ich sehe an mir hinab und entdecke sein Problem nicht. Ist doch besser als nackt.
»Ich will nur schnell weg, bitte.«
Yanicks Vater verlagert sein Gewicht auf ein Bein, hält mir seine ausgestreckte Hand hin und winkt mich mit der Handfläche nach oben zu sich. Es sieht sehr gebieterisch aus und auch er ist gewohnt, dass getan wird, was er verlangt. Aber ich reagiere nicht, sehe ihn nur trotzig an.
»Hübsches Kind!«, beginnt er und lässt seine Hand sinken. »So lasse ich Sie schon ganz gewiss nicht in die Dunkelheit.« Eindringlich werde ich von ihm angesehen. Weil ich noch immer nicht reagiere, streckt er sich und fügt an: »Wir suchen wenigstens schnell etwas zum Überziehen, damit Sie nicht halb nackt und barfuß auf der Straße laufen müssen. Dann öffne ich Ihnen das Tor. Versprochen.«
Darauf reagiere ich und forsche zurzeit in seinem Gesicht, ob er mir vertrauenswürdig erscheint. Seine dunklen Augen ruhen auf mir. Er wirkt geduldig und drängt mich nicht. Als Folge dessen trabe ich auf ihm zu, blicke jedoch noch einmal seitlich neben mir, wo Yanick steht, der das Gespräch verfolgt hat.
Ich sehe ihn wie ein Insekt an, vor dem mir grault und verziehe meine Augen zu schmalen Schlitzen. Wenn ich daran denke, dass er mich vorhin geküsst hat … und ich bescheuerte Pute fand das auch noch so reizvoll, dass ich weiche Knie bekam und mir mehr vorstellen konnte.
An der Tür angekommen geleitet der Vater mich in die Villa. Ich stehe in einer riesengroßen Empfangshalle. Das reinste Statement und ich fühle mich verloren.
Eine große, breite Treppe führt in die oberen Stockwerke. Alles, selbst der hochglanzpolierte Tisch mit einem teuren Blumengesteck und der Marmorfußboden schüchtern mich hier ein.
Verunsichert bleibe ich stehen und wartete auf das, was jetzt folgt.
Yanicks Vater richtet sich an seinen Sohn: »Geh bitte etwas von Lisa holen! Irgendetwas.«
Unwillig tut er, wie ihm geheißen wurde, ohne den Blick von mir abzuwenden. Langsam steigt er die überdimensional breite Treppe hinauf und ich senke meinen Blick auf den Boden. Meine Augen flackern nervös und ich will, dass er sich beeilt.
Doch er geht mit seinem Schneckentempo die Treppe hinauf. Das macht er jetzt extra so langsam. Mach hin , schreie ich ihm in Gedanken nach.
Als er außer Hörweite ist, wende mich an Yanicks Vater, der mich sensationssüchtig mustert: »Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt. Er hätte mich einfach gehen lassen können. Dann wäre gut.«
Entschuldigend blicke ich drein. Solche Leute verabscheuen doch gewiss derartige Szenen.
Zudem fühle ich mich an diesem Ort unwohl. Fehl am Platz. In dieser riesigen Villa, vor einen fremden Mann, der im Übrigen auch noch stinkreich zu sein scheint, empfinde ich mich mehr als nackt. Ich komme nicht umhin mir hier Ninette vorzustellen und verstehe kaum, wie sie sich das hier als Ziel ihrer Träume auserkoren hat.
»Ich habe noch nicht geschlafen.« Er wischt mit einer verharmlosenden Geste seine Hand in der Luft. »Was war denn los?« Gut, wenigstens ist er freundlich. Aber Lisa und Yanick sind seine Kinder. Und Eltern lassen selten Kritik an ihren Kindern zu. Also Obacht und Diplomatie.
»Sie haben um mich gewettet. Das habe ich eben von Yanick erfahren. Das macht mich wütend«, antworte ich knapp mit den Fakten.
»Sie waren auf der Party?«
Ich nicke. »Ja.«
Dabei huscht mir ein Lächeln über mein Gesicht, weil ich mich an mein Gefühl auf dem Steg erinnere.
»Das Boot fuhr an mir vorbei. Ich habe zur Musik getanzt und sie sind zurückgekommen, um mich mitzunehmen. Ich bin gesprungen und zum Boot geschwommen. Sie haben mich mitgenommen.« Bei dem letzten Satz lache ich leise, weil es für mich immer noch unglaublich ist. Ein sehr schönes Gefühl und ich strahle stolz Yanicks Vater an.
»Wirklich?«
Ich nicke eifrig.
»Ich bin wirklich gesprungen. Verrückt, oder?«
»Nur ein bisschen.« Nachdenklich sieht er an mir hinab.
»Und wer von den Beiden mich rumkriegt«, erzähle ich weiter und verdrehe meine Augen, »bekommt mich als Geschenk zum Geburtstag.«
Der Vater zieht seine Augenbrauen in die Höhe und saugt seine Lungen mit Luft voll.
»Sie werden sicher verstehen, warum ich hier schleunigst verschwinden will?«, frage ich vertrauensvoll. Er nickt.
»Haben Sie Hunger?«
»Ja. Nein. Bitte … Ich will weg hier. Ich bin …«
Gequält sehe ich ihn an und suche nach Worten. »… Satt.«
»Verstehe.«
Das beruhigt mich, denn Essen geht jetzt gar nicht und ich finde seine Einladung auch irgendwie merkwürdig. Wie kommt er darauf, dass ich hier essen möchte?
»Ehrlich gesagt habe ich keine Lust darauf mich bei Ihnen über das Verhalten Ihrer Kinder auszuheulen. Ich möchte nur weg«, sage ich entnervt und hoffe, er versteht das.
Er lächelt mich an. Gewiss würde Yanick ihm in ein paar Jahren ähneln. Graue Schläfen, Brille und ein souveränes Verhalten. Aber was ging mich das an.
»Wie alt sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Einundzwanzig.«
»Einundzwanzig. So jung.« Seine Hand dreht sich und er sieht mich eigentümlich an. Aus den Augenwinkeln sehe ich Yanick, der ebenso langsam, wie er die Treppe hinaufgestiegen war, wieder hinunterkommt. In seiner Hand hält er eine Strickjacke, eine leichte Sommerhose und Flip-Flops. Er reicht mir alles mit einem gequälten Blick.
»Ella. Lass es mich doch endlich erklären!«
»Was gibt es da zu erklären!« Ich zerre wütend an den Sachen und ziehe sie mir eilig an. »Keiner von euch hat seine Wette gewonnen. Punkt! Schönen Geburtstag noch!«
Die Klamotten passen. Ich trete ein Stück näher zu ihm und fauche: »Weißt du, ich hatte den schönsten Nachmittag meines Lebens. Aber du … Ihr … müsst wetten, weil ihr Dekadenten euch über andere stellt. Deine Eltern haben wahrscheinlich ne Menge Geld. Aber hier«, ich tippe ihn mit meinem Zeigefinger an seinen Brustkorb, »hier bist du so was von armselig drin. Mein Bikini ist billig. Und es kann sein, ich bin aus deiner Sicht auch billig. Aber: Ich bin lieber billig und einfacher Herkunft, als arrogant, überheblich und herabsetzend – ein Arschloch von und zu!«
Yanick schluckt schwer, doch er holt Luft und schnauzt zurück: »Ja! Ich habe mich wie ein Arschloch verhalten. Aber als ich vom Neubeginn geredet habe, war es ehrlich gemeint. Was weißt du denn schon von mir!«
Sein Brustkorb hebt und senkt sich schnell und wir stieren uns an. Unsere Köpfe sind einander zugeneigt. Keiner von uns will zurückweichen.
»Einen Dreck weiß ich von dir, Yanick. Genau nur den Dreck, den du mir von dir gezeigt hast«, presse ich hervor und senke meine Stimme: »Sage mir jetzt nicht, dass für dich plötzlich alles anders war. Wir sind hier nicht im Film!«
Nicht heulen! Ja nicht heulen! Doch meine Stimme bricht und ich wende mich ab. Dort betrachtet mich sein Vater, der schweigend, aber fasziniert unseren Disput verfolgt hat.
»Darf ich Sie jetzt an Ihr Versprechen erinnern? Die Öffnung der Tür.« Mit meinen Worten erwacht Yanicks Vater und strafft sich, doch ich werde an meinem Arm festgehalten.
»Bitte schön, geh! Geh doch! Aber ich habe dir nicht nur Dreck gezeigt!«
Überraschenderweise bricht seine Stimme ebenfalls. Dessen ungeachtet fahre ich herum und unterbreche ihn: »Ich war nicht einmal ganz bei dir. Wie kommst du darauf, dass ich von dir gehe?«
Seine