Sie bewegte sich langsam durch den Kontrollraum. Sie schien etwas zu suchen. Nachdem sie ihre Augen ein paar Sekunden lang über das Bedienpult hatte streifen lassen, fand sie, was sie gesucht hatte. Einen Knopf der mit Invasion defend beschriftet war und den man erst drücken konnte, nachdem man einen kleinen Deckel über dem Knopf beiseite geklappt hatte.
Sie klappte den Deckel hoch und drückte entschlossen und ohne ein Zögern den Knopf.
Zufrieden sah sie, wie auf dem Pult eine entsprechende Lampe zu leuchten begann. Auf einem der Bildschirme war ein Übersichtsbild des gesamten Gebäudes zu sehen. Darauf waren alle Ausgangstüren grün markiert, wenn sie geschlossen waren. Offene Türen wurden rot dargestellt. Sie konnte erkennen, wie die Türen geöffnet wurden um die Menschen ins Freie zu entlassen.
Nachdem die Türen hinter den Menschen ins schloss vielen, wurde die Anzeige für die Tür nicht mehr grün, sondern blau. Nun war sie gegen das Öffnen von außen gesichert. Niemand würde diese Tür öffnen können. Auch nicht mit einem Schlüssel. Lediglich von innen ließen sich die so gesicherten Türen noch öffnen.
Diese Schutzmaßnahme war nach einigen Amokläufen in Schulen und öffentlichen Gebäuden angebracht worden. Es sollte verhindert werden, dass Attentäter ins Gebäude gelangten.
Im Februar 2015 hatten sich Politiker verschiedener Parteien an die Bundestagsverwaltung mit der Bitte um eine Erhöhung der Sicherheit für das Parlamentsgebäude gewandt. Aufgrund der immer stärker steigenden Anzahl von Anschlägen wollten sie das Gebäude besser abgesichert wissen. Die Verwaltung gab dem Drängen der besorgten Politiker gerne nach, konnte sie in die Kosten der Sicherheitsaufrüstung auch noch diverse andere Posten verstecken und zusätzliche Gelder beschaffen. Nicht umsonst wurden öffentliche Projekte immer deutlich teurer als ursprünglich geplant.
Der Bundestag wurde also innerhalb von kurzer Zeit mit einem modernen Schließsystem und automatischer Türsteuerung ausgerüstet. Dazu kamen noch verschiedene andere Sicherheitsspielereien. Unter anderem auch Techniken, die das mögliche Fernzünden von Bomben mittels Handy verhindern sollten indem sie das Mobilfunknetz manipulierten. Außerdem konnte man auf diese Art und Weise die Telefonate und Identitäten aller Besucher problemlos überwachen. Zumindest, wenn diese ein Smartphone hatten. Und das hatten inzwischen fast alle Bürger.
Nachdem man beschlossen hatte, Warn- und Katastrophenmeldungen nicht mehr über den Rundfunk, sondern ausschließlich per App über Katwarn zu verteilen, war der Besitz und das Mitführen eines Smartphones schon fast eine Lebensversicherung.
Die außen liegenden Glasscheiben waren im Zusammenhang mit der Sicherheitsaufrüstung alle gegen Hochsicherheitsscheiben ersetzt worden die selbst einem Beschuss aus einer Barrett M82 mit dem Kaliber 12,7 x 99mm für einige Zeit standhalten würde. Da würde eher das ebenfalls nachgerüstete Gebäude nachgeben, als diese Scheiben.
Das Gebäude war somit komplett abgeriegelt. Wer hier herein wollte musste schon stärkere Geschütze auffahren und dabei riskieren, einen großen Teil der historischen Gebäudesubstanz zu zerstören. Und dabei die sich im Inneren befindenden Personen möglicherweise zu töten.
Die Frau lies ihren Blick noch auf ein paar andere Schalter fallen und legte diese dann um. Sie hatte die TV Übertragung abgeschaltet.
Sie ging aus dem Kontrollraum heraus und sammelte die Nebelmaschinen ein, die sich hinter dem Platz des Bundestagspräsidenten sowie an verschiedenen Stellen vor dem Plenum auf dem Flur befanden. Manche der Nebelmaschinen waren aus kleinen Fächern in der abgehangenen Decke herunter gefallen. Einige waren in kleinen Verschlägen in der Wand eingearbeitet gewesen. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie komplett Batteriebetrieben waren und per Funk aktiviert werden konnten. Doch sie hatten ihre Aufgabe erfüllt und würden nicht länger benötigt werden.
Sie lachte, als sie daran dachte wie einfach es war, mit ein paar LED Lampen den Eindruck von Feuer zu erzeugen, wenn erst ein mal genug Rauch in der Luft war. Außerdem hatten sich ihre Kontakte zu den immer klammen und überwiegend korrupten Baufirmen welche für die Regierung Aufträge ausführten inzwischen ausgezahlt.
Sie lies ihren Blick durch den Plenarsaal und den Vorraum schweifen. Alle Glasflächen waren inzwischen von innen matt grau. Der „Rauch“ aus den Nebelmaschinen hatte sich wie erwartet auf die Scheiben gelegt, so dass man nicht mehr hindurch sehen konnte. Ein unschätzbarer Vorteil bei ihrem Vorhaben.
Inzwischen tauchte eine zweite Person auf. Bis auf die Tatsache, dass sie eher männliche Züge trug, war sie von der ersten Person nicht zu unterscheiden.
„Nr2?“
„Ja, 1“
„Stelle bitte oben die Kameras in der Mitte direkt auf das Präsidentenpult, die seitlichen Kameras drehe nach außen, wie besprochen.“
„Soll ich die Kabel der äußeren Kameras durchschneiden?
„Ja. Wir gehen auf Nummer sicher. Und sieh nach, ob nicht noch irgendwo ein Handy mit aktiver Aufnahmefunktion herum liegt. Wir wollen doch nachher keine illegalen Mitschnitte unserer Veranstaltung im Web finden, nicht wahr?“
Nr2 lachte und nahm ein kleines Gerät in die Hand. Dann ging sie in Richtung zum oberen Rundgang, dem Bereich, den normalerweise Besucher betreten würden. Sie sah sich um und ließ das kleine Gerät hin und her wandern.
„Hier ist nichts. Keine Handys.“ rief sie zu Nr1 herunter.
Eine dritte Person in schwarz erschien durch eine Seitentür und ging direkt in die Richtung des TV Kontrollraums. Auch dies schien ein Mann zu sein. Er hatte eine größere Tasche umgeschnallt die ein Rucksack sein konnte. Dann betrat er den Kontrollraum, setzte sich an das Pult und begann direkt an den Kontrollen zu arbeiten.
Er nahm aus seiner Tasche einige technische Geräte und verband sie mit den Systemen im Kontrollraum. Dafür öffnete er einige Abdeckungen des Pultes, zog Kabel heraus und stecke andere Kabel in die mitgebrachten Module und das Pult. Nachdem er die Arbeiten kontrolliert hatte, schloss er die Abdeckungen wieder. Auf einem der Monitore erschien eine gekachelte Darstellung von Fernsehbildern. Man konnte die Bilder aller größeren Sender mit einem Blick erfassen.
Nun nahm er ein Notebook aus seiner Tasche und verband es mit einem der bereits vorher installierten Module. Dann schaltete er das Gerät ein und startete einige Programme.
Er lächelte.
Ein kurzer Blick auf die Monitore und das Display des Notebooks. Dann sah er durch die Scheibe hoch in Richtung Nr1. Er hob den Daumen zum Zeichen dass alles erfolgreich vorbereitet war.
Er war sendebereit.
9:35h U55
Dieter Freeh hatte wieder zu seinem normalen Rhytmus zurück gefunden. Den Flashmob, der gerade einmal eine halbe Stunde hinter ihm lag, hatte er schon wieder verdrängt. In seinem Kopf hatte wieder diese herrliche Leere Platz genommen, die ihm die Arbeit erträglich machte. Nur nicht nachdenken.
Er fuhr wieder einmal von der U-Bahn Station Hauptbahnhof in Richtung Brandenburger Tor ab. Der Zug beschleunigte und tauchte in das Schwarz des Tunnels ein. Normalerweise geschah absolut nichts auf dem Weg, zumindest bis er den hellen Schein der Haltestelle Bundestag aus dem Dunkel auftauchen sah. Erst dann musste er auf die Signale achten und den Zug verlangsamen.
Gelegentlich kam es vor, dass Fahrgäste etwas aus dem Gleisbett herausholen wollten und unvorsichtiger weise vom Bahnsteig auf die Schienen herunter stiegen. Dann musste er schnell handeln. Doch das geschah selten. Sehr selten.
Doch auf dem Weg zwischen den Haltestellen? Da gab es leere und Schwärze. Und nichts zu beachten. - Fast nichts. - Es gab durchaus Signale auf dem Streckenabschnitt. Doch die waren immer Grün. Diese Signale würden nur in einem Notfall umgeschaltet, damit zum Beispiel ein Zug nicht in einen U-Bahnhof einfuhr, in dem es brannte.
Er war schon fast an dem roten Haltesignal