Artikel 20.4. Klaus Hammer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Hammer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738085167
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Zuschauer drangen, ohne auf die Hinweise der Durchsage zu hören nach oben. Hinauf auf den Rundgang, raus aus dem Parlament. Es gab auf dem oberen Rundgang gerade einmal drei Schwingtüren, die als Fluchtwege dienten. Der Vorraum, in dem sich auch die Garderoben befanden, war ganzflächig mit einer Glaswand abgetrennt. Vor dieser drängten sich die Besucher während sie sich vorwärts in Richtung der Fluchttüre schoben. Bei der Flucht von den Besucherrängen vielen und stolperten die Menschen über die Reporter, die auf dem oberen Rundgang standen. Kameras fielen zu Boden, Stative wurden umgerissen. Menschen stürzten. Der Geruch von Rauch und Feuer wurde immer intensiver.

      Mitten drin bleiben einzelne Personen stehen und begannen mit ihren Handys Filmaufnahmen des Feuers zu machen. Zumindest bis sie von Ordnern heraus gezerrt wurden um das Gebäude zu räumen.

      Inzwischen konnte man auch aus Richtung des Haupteinganges Feuer erkennen. So wie es aussah, stand der gesamte Bereich in Flammen. Die komplette Schleuse, der Bereich zwischen Plenarsaal und Haupteingang der auch mit Glaswänden abgetrennt war, war mit Rauch gefüllt. Im Rauch konnte man die Flammen meterhoch flackern sehen. Eine Flucht durch den Haupteingang war also unmöglich.

      Während von den Zuschauerrängen die Menschen ins Freie flüchteten, wurden die Parlamentarier unten im Plenum auf einem anderen Weg hinaus geführt. Die Wachleute, welche die Eingänge bewacht hatten, geleiteten sie zu Durchgängen, die seitlich hinter der Präsidiumswand lagen.

      Die Flucht aus dem Saal gestaltete sich ruhig und schnell. Bis auf ein paar blaue Flecke, die sich der ein- oder andere Parlamentarier beim Stoß gegen eine Tisch- oder Stuhlkante zuzog, gab es keine Verletzungen.

      Das Feuer im Plenarsaal hatte den Räumungsalarm für das gesamte Reichstagsgebäude ausgelöst. Alle Mitarbeiter, die sich in Büros im Gebäude aufhielten, mussten aus dem Gebäude flüchten.

      *

      9:30h Vor dem Reichstag

      Monika Holtzmann hatte die beiden Kollegen Petra Neumann und Jan Schäfer, die ihnen Paul Fiedler als Unterstützung geschickt hatte, in das bisher Geschehene eingeweiht. Die beiden noch sehr jungen Kollegen waren erst wenige Minuten zuvor bei ihnen eingetroffen. In Monikas Augen wirkten sie fast so, als wären sie gerade erst von der Uni gekommen. Die Kleidung hatte nichts, das man irgendwie vor die Kamera hätte lassen dürfen. Petra sah mit ihren Turnschuhen und der zerrissenen Jeans aus, als wäre sie per Zeitsprung aus den Achtzigern des vorigen Jahrhunderts in die Gegenwart gesprungen. Nur das schwarze T-Shirt mit dem Aufdruck einer Heavy-Metal-Band wollte nicht zum 80er Look passen. Jan hingegen war der typische Nerd. Auch sein immer leicht abwesender Blick lies Monika ahnen, dass Fiedler ihr nicht die besten Mitarbeiter geschickt hatte, die im Sender verfügbar waren. „Egal“, dachte sie sich. Sie musste nun das Beste aus der Situation machen. Sie hoffte, das ihr Gefühl sie nicht getäuscht hatte. Sonst würde sie sich von Fiedler ein paar blöde Sprüche anhören müssen. Denn dieser sparte nicht mit Kommentaren, wenn er der Ansicht war, die Mitarbeiter würden Mittel des Senders zum Fenster heraus werfen.

       Während sie und Jovi wieder in Richtung des Reichstagsgebäudes gingen, sollten die beiden über den 20.4. und seine Verbindung zum heutigen Tag recherchieren. Sobald sie etwas neues heraus bekommen würden, sollten sie sich unverzüglich bei Monika auf dem Regiekanal melden.

       Der Regiekanal war eine Funkverbindung zu dem kleinen Knopf, den sie im Ohr trug. So konnte Sie jederzeit, auch während einer Moderation, mit Informationen versorgt werden. Monika hatte in den zurückliegenden Jahren als Journalistin gelernt, sowohl auf das zu hören was sie durch den Minilautsprecher zugeflüstert bekam, als auch weiter zu reden als ob sie vollkommen ungestört wäre. Monika hatte es irgendwie im Blut. Heute würde etwas passieren. Diese seltsame Demo würde nicht alles bleiben. Und sie war hier. Sie hatte den Auftrag für diese eher langweilige Einspielung übernommen und würde heute etwas...

      „Monika? Hier Petra. Es geht etwas vor im Reichstag.“

      Monika blickte auf. Hatte sie bisher eher in Richtung Boden gesehen, um nicht auf dem Kopfsteinpflaster mit ihren Pumps um zu knicken, so sah sie jetzt geradewegs in Richtung des Haupteinganges des Reichstages. Alles schien normal zu sein. Da sie gerade nicht live auf Sendung war, konnte sich Monika erlauben, mit Petra direkt zu sprechen: „Was ist denn, gibt es eine Schlägerei im Bundestag? Das wäre ja mal ganz etwas neues.“

      „Nein. Wie Du weißt, haben wir hier den Stream der Übertragung des Parlamentsfernsehens laufen, so dass wir sehen können, was drinnen abgeht.“

      „Sag mir etwas, das ich nicht weiß!“ Monika wurde immer recht schnell ungehalten.

      „Ich habe gerade in einer Einstellung Rauch unter dem Bundesadler gesehen. Wenn das wirklich der Fall ist, bricht da drinnen gleich die Hölle los.“

      „Jovi?“ Monika begann zu beschleunigen. „Wir müssen Richtung Haupteingang. Am besten so fünfzig Meter davon entfernt.“

      Jovi, der ebenfalls auf dem Regiekanal mithörte, nickte nur. Das konnte spannend werden. Nur sollten sie nicht zu nahe an den Eingang heran gehen. Sonst konnte es sein, dass sie von den heraus stürmenden Menschenmassen überrannt wurden.

      Sie hatten ihre gewünschte Position fast erreicht, als mit einem mal ein ohrenbetäubender Lärm losbrach. Der Feueralarm des Reichstages heulte. Man hätte fast meinen können, es wäre wieder 1945 so laut waren die Sirenen.

      Monika und Jovi konnten den Drang, sich die Ohren zuzuhalten, nur mit Mühe unterdrücken. Da schoss es Monika wie ein Blitz durch den Kopf: „Die Nazis hatten es also wieder getan.“ Sie schüttelte leicht den Kopf. Wie schon 1933 hatten die Nazis nun wieder den Reichstag angezündet. Vierundachtzig Jahre nach dem ersten Brand sollte sich jetzt das Schicksal dieses Gebäudes wiederholen? Doch was hatten die Nazis davon? Was wollten sie erreichen? Sie waren eine kleine unverbesserliche Splittergruppe ohne großen Rückhalt in der Bevölkerung. Monika erhielt keine Gelegenheit, sich intensiver ihren Gedanken um die Naziverschwörung zu widmen.

      Aus allen Türen und Ausgängen erbrach sich eine Flut von Menschen auf den Platz der Republik. So wie es aussah, würde der komplette Reichstag evakuiert werden. Nicht nur das Parlament. Also musste das Feuer deutlich größer sein, als es eben in der Liveübertragung zu sehen war.

      „Monika?“ Petra meldete sich wieder aus dem Übertragungswagen. „Die Liveübertragung ist gerade abgebrochen. Du bist auf Sendung in 3 – 2 – 1“

      Monika gab Jovi schnell ein Zeichen, damit er die Kamera auf sie richtete. „Hier ist Monika Holtzmann. Live vom Platz der Republik. Direkt vor dem Deutschen Bundestag. Wie wir soeben gesehen haben, ist im Parlamentsgebäude ein Feuer ausgebrochen.“

      Jovi begann die Kamera langsam zu schwenken und zeigte nun direkt auf die Menschenmassen, die aus dem Gebäude flüchteten.

      „Derzeit können wir noch nicht mit Sicherheit sagen, wie groß das Feuer ist und wer hinter diesem Ereignis steckt. Es ist aber zu vermuten, dass es im Zusammenhang mit der nicht genehmigten Kundgebung vor etwa einer halben Stunde steht.“ Monika war sich noch nicht sicher, ob sie ihre Vermutung bezüglich der Nazis zu diesem Zeitpunkt schon äußern sollte. Wenn sie Richtig lag, würde man sie mit Lob überschütten. Wenn nicht, teeren und federn. „Dabei wurden von vermummten Demonstranten die Zahlen 20.4 hier auf dem Platz der Republik ausgelegt. Dabei scheint es sich nach ersten Einschätzungen um ein Datum zu handeln. Ein Datum, dass insbesondere in rechten Kreisen hoch gehalten wird.“ Monika hoffte, dass ihre beiden jungen Kollegen im Übertragungswagen so auf Draht waren, dass sie die Aufzeichnung ihres Drohnenfluges von vorhin einspielen würden. Wenige Sekunden später erhielt Monika die Bestätigung auf ihrem Regiekanal, dass die Aufzeichnung gesendet wurde.

      „Wir sind jetzt für eine Weile vom Sender. Paul sagt, sie senden jetzt ein paar Hintergründe zum Reichstag und dem Brand von 1933. Außerdem hat da jemand eine Doku über die Umbauarbeiten nach 1990 und die letzten Sicherheitsverbesserungen.“

      Ein leichtes Knacken in der Leitung zeigte Monika, dass Petra das Gespräch beendet hatte.

      Jovi machte sich bereits schnellen Schrittes auf den Weg in Richtung Menschenmenge. Was sie jetzt brauchten, waren ein